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# taz.de -- Grundlagenwerk zur Poptheorie: In die Zukunft
> Der britische Autor Mark Fisher präsentiert seinen Essayband „Ghosts of
> my Life“. Er ist gesellschafts- und ökonomiekritisch.
Bild: Auch in der Poptheorie toben sich die Geister der Geschichte aus.
Der britische Musikkritiker Mark Fisher hat schon des Öfteren den Versuch
unternommen, angloamerikanische Kultur im frühen 21. Jahrhundert zu
charakterisieren, in dem er sie mit den wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Gegebenheiten abgleicht.
Sein neues Buch, „Ghosts of my Life“, ist eine Sammlung von Essays zu den
Themenfeldern Musik, Literatur und Film, zuerst erschienen in britischen
Magazinen wie The Wire und Sight & Sound. Popstars wie Burial und Tricky,
Schriftsteller wie David Peace oder John Le Carré, Filmemacher wie
Christopher Nolan klopft Fisher auf ihren Gegenwartsgehalt ab, und er
findet in ihrem Werk immer auch Spuren einer Vergangenheit, die in die
Zukunft verweist.
2013 ist sein Essay „Kapitalistischer Realismus“ auf Deutsch erschienen.
Fisher setzte sich darin kritisch mit der Vorstellung vom Kapitalismus als
einzig möglichem politischen und ökonomischen System auseinander.
Bekannt geworden ist der 46-Jährige für sein von Derrida abgeleitetes
Konzept der „Hauntology“: Als Entgegnung auf das von Francis Fukuyama
eingeläutete „Ende der Geschichte“, erkannte Derrida nach dem Untergang des
real existierenden Sozialismus 1989, dass die Geister des Kommunismus
weiter in der Geschichte herumspuken. Ihnen nachzutrauern, erschien ihm
vergeblich.
## Zwischen "nicht mehr" und "noch nicht"
Andererseits, schreibt Fisher, verflüssigt und verflüchtigt sich auch der
Kapitalismus mehr und mehr im Virtuellen, befindet sich in einem
Schwebezustand zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“. Ein gespenstisch…
Zustand, der Freiräume birgt. Fisher sieht diese etwa im Klangbild
britischer Künstler wie Belbury Poly, deren Sound er als „Hauntological
Pop“ bezeichnet.
Wie schon am Titel seines neuen Werks ersichtlich beschwört er
autobiografische Lebensgeister, „Ghosts of my Life“, herauf. Schreibend hat
Fisher eine Depression überwunden. „Ghosts of my Life“ ist aber kein
Lebenshilfebuch. Es setzt sich mit dem Skeptizismus auseinander, der in der
britischen Linken weit verbreitet ist. „Ghosts of my Life“ heißt auch ein
archetypischer Jungle-Track des britischen Produzenten Goldie (1992), für
Fisher Musik einer Ära, in der zukunftsweisende Popmusik leichter möglich
war als heute.
Der Zukunftsglauben sei uns abhanden gekommen, schreibt Fisher, damit
einhergehend zeige sich eine „Deflation von Erwartungen“ an das Kommende.
„No Future“, die spielerische Negation von Punk, für Fisher ist sie im 21.
Jahrhundert längst zur Realität geworden, während die Gegenwart sich durch
Ermüdungszustände, einen Zwang zur Wiederholung und ständige Retrospektion
kennzeichnet. Hauntological Pop orientierte sich zwar bewusst an den
Klangwelten der sechziger Jahre, seine Nostalgie ist für Mark Fisher aber
durchaus kitschresistent.
## Die Abgründe von Pop
„Ghosts of my Life“ untersucht auch die hässliche, die verdrängte Seite v…
Pop: Sein Porträt des BBC-DJs und Kinder-TV-Moderators Jimmy Savile gerät
zum Panoptikum der britischen Klassengesellschaft. Fisher beschreibt, wie
Savile unter Duldung von Politik, Behörden und Medien seinen Neigungen
nachgehen konnte, unzählige Kinder missbrauchte und gleichzeitig arbeitsam
und erfolgreich war.
Die Kriminalromane von David Peace leisten für Fisher mehr Aufklärung als
die Berichterstattung der britischen Medien. „Wir fühlen uns davon
angezogen, weil die Common-Sense-Welt, in der wir gern leben würden, einer
Figur wie Savile nicht mehr angemessen ist.“
Was zunächst als Rezension der Science-Fiction-TV-Serie „Sapphire and
Steel“ aus Anlass ihrer DVD-Edition beginnt, nimmt Fisher in dem Text „The
Slow Cancellation of Future“ zum Anlass, um über die Transformation der
Arbeitswelt im digitalen Zeitalter nachzudenken. Die Individuen sind in
einem Stand-by-Existenzialismus gefangen
„There’s no time here, not any more“: Die Schlussszene der Serie erscheint
Fisher geradezu als das Mahnmal eines „traumatischen“ Wandels. Kultur müsse
sich anstrengen, schließt er, sonst schaffe sie es gar nicht mehr,
Gegenwart zu erzeugen und sich adäquat auszudrücken.
10 Apr 2014
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Großbritannien
Mark Fisher
Mark Fisher
Coming-of-Age
Punk
Ridley Scott
elektronische Musik
Depression
London
Punk
Großbritannien
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