# taz.de -- Neues Denken in der Psychologie: Depression neu begreifen | |
> Schwermut ist durch die Evolution in uns verankert. Ab und an ganz | |
> nützlich, prallt sie nun mit dem modernen Leben und seinen Zielen | |
> zusammen. | |
Bild: Opfer einer tödlichen Krankheit: Charlotte Dawson, australischer Fernseh… | |
Schwermut wird oft als eine Krankheit des Nervensystems definiert und als | |
solche auch behandelt – mit Medikamenten, Apparaten oder genetischer | |
Ursachenforschung. Es wird nach organischen Schäden oder Ungleicheiten im | |
Stoffhaushalt gesucht und dann mit Medikamenten behandelt. | |
Psychologieprofessor Jonathan Rottenberg, in seiner Jugend selbst an einer | |
Depression leidend, gibt zu bedenken: Diese Behandlungen helfen nur einem | |
kleinen Teil der Betroffenen dauerhaft. Und die Zahl der Depressiven steigt | |
endemisch, jeder zehnte erwachsene US-Amerikaner kämpft damit. Rottenberg | |
leitet das „[1][Mood and emotions Lab]“ der University of Southern Florida, | |
zu übersetzen vielleicht mit „Forschungsstelle für Stimmungen und Gefühle�… | |
Rottenbergs Ansatz: nicht fragen, wo die Krankheit ihren Sitz hat, sondern | |
warum sie auftritt. Warum hat die Natur uns mit der Fähigkeit zur | |
Depression ausgestattet? Sie ist ein Ergebnis der Evolution, denn | |
euphorische und auch niedergeschlagene Stimmungslagen helfen Mensch und | |
Tier, das Leben zu bewältigen: Euphorie setzt mehr Energien zum Erreichen | |
von Zielen frei. Schlechte Stimmung jedoch fokussiert besser auf | |
Bedrohungen als Begeisterung, zum Beispiel. | |
Warum aber steigert sich die von Zeit zu Zeit ganz praktische | |
Niedergeschlagenheit beim modernen Menschen immer öfter in Depression? Laut | |
Rottenberg prallt das überkommene Stimmungssystem mit dem heutigen | |
Lebensumfeld zusammen. Unsere Fähigkeit zu langfristigem Planen und das | |
Vergleichen mit immer mehr Menschen bringt immer mehr Gelegenheiten, bei | |
denen wir uns als Versager fühlen. Unsere Kultur nährt Erwartungen der | |
Glückseligkeit, die unmöglich zu erfüllen sind. Zu viele, zu hohe Ziele. | |
## Was tun, außer Medikamenten? | |
Dagegen gibt es keine Wunderpille. Über Jahrzehntausende im langen Weg der | |
Evolution verdrahtete Verhaltensweisen lassen sich nicht einfach | |
abschalten. Aber wir müssten dieses Stimmungssystem der Evolution (die | |
„ecomony of moods“, wie er im Original schreibt) mehr erforschen, damit wir | |
Ursache und Wirkung besser verstehen. Lebensweisen mit zu viel Arbeit und | |
zu wenig Schlaf zum Beispiel seien wenig hilfreich. | |
Außerdem müssten mehr Menschen bestimmte Routinen bekannt sein, schreibt | |
Rottenberg – trainierte Werkzeuge, die das Abgleiten in die zu depressiven | |
Stimmungen unterbrechen, bevor sie in eine lang anhaltende Depression | |
übergehen. Solche Werkzeuge beinhalten auch eine veränderte Einschätzung | |
der persönlichen Position in der Welt, von Ereignissen um uns herum, der | |
Verhältnisse in und des Umgangs mit unserem Körper. | |
27 Apr 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://uweb.cas.usf.edu/mood | |
## AUTOREN | |
Reiner Metzger | |
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