| # taz.de -- Debatte Gesundheitsdaten-Sammelei: Krankes System | |
| > Wer einmal an einem Gewinnspiel teilgenommen hat, kann seine Daten kaum | |
| > wieder einfangen. Besonders wertvoll sind persönliche Gesundheitsdaten. | |
| Bild: So erschwinglich wie ein Los: persönliche Informationen | |
| Firmeninhaberin: 0,086 Dollar. Plant den Kauf eines Mobiltelefons: 0,0125 | |
| Dollar. Interessiert sich für Auslandsreisen: 0,03 Dollar. Erwartet ihr | |
| erstes Kind: 0,095 Dollar. Leidet an Diabetes: 0,26 Dollar. | |
| Persönliche Informationen zu marktüblichen Preisen, hier auf Basis einer | |
| Datenbank der Financial Times. Die Größenordnung ist realistisch: Bei einem | |
| großen Adresshändler, der in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätig | |
| ist, lassen sich Datensätze mit Namen und Privatadresse, gefiltert etwa | |
| nach Altersgruppen, Wohnsituation oder Interessen ab 24 Cent das Stück | |
| erstehen. Wer 13 Cent drauflegt, bekommt noch die Telefonnummer dazu, wer | |
| statt mehreren zehntausend nur ein paar tausend Adressen haben will, muss | |
| noch mal ein bisschen mehr zahlen. | |
| Persönliche Informationen sind heute für fast alle Unternehmen | |
| erschwinglich. Und genauso gehen sie auch damit um: Firmen, Auskunfteien, | |
| Adresshändler kaufen und verkaufen die Daten munter weiter. Wer einmal | |
| unbedacht an einem Gewinnspiel teilgenommen, einen Nachsendeauftrag | |
| eingerichtet oder eine Rabattkarte genutzt hat, wird es schwer haben, seine | |
| Daten wieder einzufangen. Glücklich schätzen kann sich, wer nur die | |
| Interessenkategorie Haus und Garten in der Kartei stehen hat. Und nicht die | |
| Psychotherapie wegen Depressionen. | |
| Denn Krankheiten – das zeigen die oben genannten Preise – sind es, die | |
| Verbraucher ganz besonders interessant machen für die werbetreibende | |
| Industrie. In lebensverändernden Situationen – und dazu gehören neben | |
| Heirat, Hausbau oder Schwangerschaft gerade Krankheiten – sind Menschen | |
| besonders empfänglich für Werbung. Schließlich müssen sie sich neu | |
| orientieren, stellen sich Fragen, die vorher nicht aufgekommen sind. Und | |
| die sich dann im Supermarkt oder in der Apotheke manifestieren in Form von: | |
| Sind das tatsächlich die besten Kompressionsstrümpfe gegen | |
| Wassereinlagerungen? Oder: Welches Müsli treibt den Blutzucker am wenigsten | |
| nach oben? | |
| ## Von wegen anonym | |
| Weil Krankheitsdaten lukrativ sind, wecken sie Begehrlichkeiten. Das | |
| bekommen derzeit Patienten in Großbritannien zu spüren. Seit März fasst | |
| dort ein neues Institut Gesundheits- und Krankheitsdaten der Versicherten | |
| sowohl aus der stationären als auch aus der ambulanten Versorgung in einer | |
| Datenbank zusammen. | |
| Das erklärte Ziel: die Forschung verbessern, etwa dadurch, dass | |
| Nebenwirkungen von Medikamenten nun flächendeckend erfasst werden. Und | |
| nicht nur dann, wenn ein Patient die Symptome zufällig dem Arzt schildert | |
| und der sie auch noch mit der verschriebenen Arznei in Verbindung bringt. | |
| Eigentlich eine lobenswerte Idee also – hätte sie nicht einen ganz | |
| gravierenden Haken: Die Daten werden keinesfalls anonymisiert. Ja, Name und | |
| Adresse verbleiben nicht in der Datenbank, deshalb ist auch offiziell davon | |
| die Rede, dass Rückschlüsse auf die zu den Daten gehörenden Personen in der | |
| Regel nicht möglich sein sollen. | |
| Doch unter anderem Geburtsdatum, Postleitzahl und Geschlecht bleiben mit | |
| den Daten über den Gesundheitszustand verknüpft. Dabei hat bereits im Jahr | |
| 2000 eine Studie in den USA festgestellt, dass sich allein mit | |
| Geburtsdatum, Postleitzahl und Geschlecht knapp 90 Prozent der Menschen | |
| eindeutig identifizieren lassen. Nur mit dem Geburtsdatum, Geschlecht und | |
| einer weiteren Angabe wie Stadt oder Gemeinde sind es immer noch die | |
| Hälfte. | |
| ## Interessant für Versicherungen | |
| Die Frage ist also nicht – wie es die Verantwortlichen für die Datenbank | |
| einräumen –, ob einzelne Patienten identifiziert werden können, etwa wenn | |
| Versicherungen die neuen Daten mit bereits bei ihnen vorhandenen | |
| zusammenführen. Sondern eher, ob es in den ganzen Datensätzen überhaupt | |
| eine Person gibt, die nicht eindeutig identifiziert werden kann. Und damit | |
| wird einiges zuordenbar: Krankheiten, auch psychische, Arztbesuche, | |
| Behandlungen, Operationen, verschriebene Medikamente, Rauch- oder | |
| Trinkgewohnheiten. | |
| Es braucht in diesem Szenario nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass | |
| gerade Versicherungen hier ein spezielles Interesse haben, weit über | |
| Werbung hinaus. Arztbesuche wegen Rückenschmerzen, und seien sie zwölf | |
| Jahre her? Dann wird es wohl schwierig mit der | |
| Berufsunfähigkeitsversicherung. Für die Betroffenen gilt ein „opt-out“: S… | |
| werden nicht gefragt, ob sie der Datenspeicherung und -weitergabe | |
| zustimmen, sondern müssen von sich aus widersprechen, wollen sie nicht im | |
| Pool landen. | |
| Es ist nicht nur Großbritannien. Auch in Dänemark werden Gesundheitsdaten | |
| schon zentral gespeichert. Das Argument dabei: So haben Patienten selbst | |
| die Möglichkeit, die Daten im Internet einzusehen und etwa Diagnosen zu | |
| kontrollieren. Und in Deutschland ist der erste Schritt hin zu einer | |
| zentralen und dauerhaften Speicherung von Krankheitsdaten mit der | |
| elektronischen Gesundheitskarte ebenfalls gemacht. | |
| ## Zentral ist nicht besser | |
| Pharmakonzerne und Versicherungen sind nicht die einzigen, denen eine | |
| Zentralisierung gelegt kommt. So berichtet ein Manager eines europäischen | |
| Unternehmens für Sicherheitssoftware euphorisch und völlig ohne Ironie | |
| davon, welche Lehren aus der NSA-Debatte gezogen werden sollten. Zum | |
| Beispiel sei es doch unverantwortlich, so etwas Sensibles wie | |
| Gesundheitsdaten auf den einzelnen mutmaßlich ungesicherten Rechnern der | |
| Ärzte zu lagern. | |
| Besser sei eine zentrale europäische Cloud mit definierten | |
| Sicherheitsstandards. Dass es immer noch Mediziner gibt, die lieber mit | |
| papiernen Karteikarten arbeiten, dass nicht jeder Arztrechner auch am | |
| Internet hängt, dass ein Interessent ziemlich viele Angriffe fahren und | |
| recht genau wissen müsste, wo seine Zielperson zum Arzt geht, um hier etwas | |
| herauszufinden – das alles fällt bei der Argumentation unter den Tisch. | |
| So begrüßenswert eine bessere Erforschung von Nebenwirkungen oder mehr | |
| Kontrolle von Patienten über ihre eigenen Daten sind – sie dürfen nicht als | |
| Feigenblatt für Datensammelei in großem Stil dienen. Schließlich sind die | |
| am besten geschützten Daten immer noch die, die gar nicht erst gespeichert | |
| werden. | |
| 16 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
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