| # taz.de -- Bildband über Punk: „Why? Who the hell knows“ | |
| > Revolte, schnell und unmittelbar: Der Band „The Singles Cover Art of Punk | |
| > 1976–1980“ widmet sich dem Design angloamerikanischer Punksingles. | |
| Bild: Cover aus dem besprochenen Band. | |
| Beim Punk-Kongress in Kassel 2004 hatte David Thomas einen großen Auftritt. | |
| Der Gründer der US-Band Pere Ubu aus Cleveland spielte ein Konzert mit | |
| seiner extra für das Veteranentreffen in Nordhessens Punk-Metropole | |
| reanimierten Proto-Punk-Band Rocket From The Tombs und ließ mich, während | |
| er zügig eine Flasche Remy Martin Cognac leerte, wissen, dass Rock ’n’ Roll | |
| eine genuin amerikanische Errungenschaft sei. | |
| Briten hätten da rein gar nichts beigetragen. Ja, aber Beatles? Pistols? | |
| Gang of Four? Nix da, noch das hinterletzte Album von John Cougar | |
| Mellencamp werde er, David Thomas, jederzeit dem Gesamtwerk eines Briten | |
| wie Morrissey vorziehen, mitsamt den gottverdammten Smiths. | |
| „Nein, wir waren nie Teil von Punk“, stellt Thomas klar. „First, we’re | |
| American and have no use for your punk music, gringo.“ Auch Stuart Baker, | |
| Koautor des Fotobandes „Punk 45. The Singles Cover Art 1976–1980“, hat | |
| seinen Spaß mit dem alten Grantler. „Why Cleveland?“ Fragt der Brit-Gringo. | |
| Warum ist ausgerechnet Ohios einstige Industriemetropole am Eriesee für | |
| Punk so bedeutend? | |
| „The mistake on the lake“ wird Cleveland auch genannt. Der Fehler am See, | |
| in den der Cuyahoga mündet, der Fluss ist von Industrieabwässern so | |
| verdreckt, dass er Feuer fängt, 1952 und 1969. Der Fehler am See, mit dem | |
| Niedergang der Autoindustrie verarmt, von seinen Bewohnern verlassen, 1978 | |
| als erste Stadt nach der Großen Depression Bankrott. Vor Detroit. | |
| ## Warum? Darum! | |
| „Why Cleveland?“ Die Frage ist als Vorlage gedacht. Sie suggeriert, dass so | |
| ein Moloch zwangsläufig den postindustriellen Rocklärm hervorbringen muss, | |
| den Rocket From The Tombs verbrochen haben, und, sublimiert, Pere Ubu, | |
| vornedran ein furchteinflößender Mann von Orson-Welles’scher Wucht, der | |
| britischen Pop verachtet, sich auf Surrealisten und Nouvelle Vague beruft | |
| und seine Band nach einem Stück des französischen Symbolisten Alfred Jarry | |
| tauft: König Ubu. | |
| Warum Cleveland? Er hasse solche Fragen, sagt Thomas. „’Why?‘ ’WHY?!‘… | |
| the hell knows? Why? Because.“ Warum? Darum. Thomas, der als Crocus | |
| Behemoth auch Pere-Ubu-Coverdesign gestaltet hat, unterläuft das als Frage | |
| getarnte Interpretations- und Identifikationsangebot. Er verweigert die | |
| Rolle des vom Niedergang seiner Heimatstadt in den Proto-Punk-Noise | |
| getriebenen Opfers, das Rettung in der Außenseiterkunst findet und sich | |
| einreiht in die Ahnenreihe der Außenseiter, die post festum fixiert wird | |
| als: Wegbereiter des Punk. | |
| Thomas lässt sich nicht ein auf die Freud’sche Nachträglichkeit, auf „eine | |
| Gegenwart, die sich eine Vergangenheit zurechtlegt“, so Robert Pfaller über | |
| „jene Gegenwart, die bestimmte Elemente der Vergangenheit zu Ursachen | |
| erklärt, um in der Folge sich selbst als deren Wirkung darzustellen.“ („Das | |
| Unendliche und das Gute“, „Kultur und Gespenster“ 2013) | |
| ## Keine posthume Verklärung | |
| Die mitunter willkürliche und spekulative Verknüpfung von Ursachen und | |
| Wirkungen ist das Metier des Historikers und sie macht den Reiz von | |
| Geschichtsbüchern aus – und die Tücke. Wenn Jon Savage mit Stuart Baker | |
| abermals ein Buch über Punk herausgibt, dann weiß er um solche Aporien. Mit | |
| „England’s Dreaming“ oder „Teenage – die Erfindung der Jugend“ hat … | |
| britische Pop-Historiker bereits gezeigt, dass Vergangenheitskunde nicht in | |
| der Nostalgiefalle enden muss. | |
| Ihr Bildband „Punk 45. The Singles Cover Art 1976–1980“ erzählt die Revo… | |
| in Bildern. Single-Covers aus der Punk-Ära, die für Baker/Savage 1969 in | |
| Detroit beginnt, mit den Proto-Bands MC5 und Stooges, Ursachen für eine | |
| Wirkung, die zu beweisen war. Flankiert wird die Chronologie von | |
| Interviews: Richard Hell, der Designer Jamie Reid (der unter anderem die | |
| frühen Singles der Sex Pistols gestaltete), Geoff Travis, Begründer des | |
| Londoner Independent Labels Rough Trade. Als einzige Frau kommt Gee Vaucher | |
| von den Anarcho-Punks Crass zu Wort, erstaunlich, tauchen doch in den | |
| Jahren 1978/79 geballt weibliche Bands und Künstlerinnen auf. | |
| War Punk tatsächlich die Zeit der weiblichen Selbstermächtigung oder ist | |
| das eine posthume Verklärung, Jon Savage? „Im Buch gibt es viele weibliche | |
| Acts, das ist keine Willkür, es spiegelt die Situation von 1978, 1979. Für | |
| mich war es neu und aufregend, wie Punk die Geschlechterbilder auf den Kopf | |
| stellte. Frauen wie Siouxsie, The Slits, Gaye Advert, Poly Styrene, Frauen, | |
| die Geräusche machten wie vor ihnen keine Frau. Siouxsie war die Domina, | |
| Poly Styrene eine Art Öko-Kriegerin. Das war sehr wichtig für Punk ’77, das | |
| ist keine posthume Verklärung.“ | |
| ## Fester Bestandteil der Musikindustrie | |
| Die Gefahr der retromantischen Verklärung lauert, wenn man | |
| 7-Inch-Singles-Covers, die vor, 45, 40, 35 Jahren mit wenig Geld für den | |
| Moment produziert wurden, für ein Coffee-Table-Book kommodifiziert. | |
| „Singles waren großartig.“ Sagt Savage. „Anfangs sah es nicht so aus, als | |
| sollte Punk lange dauern, es gab diese Dringlichkeit, alles, was man hatte, | |
| rauszubringen. Das Tolle an Punk war, dass der Weg von der Idee zur | |
| Umsetzung so kurz war. Man ging nicht ins Studio, um ein Album zu | |
| produzieren, nein, ein Tag, zwei, drei, vier Songs rausgehauen, auf eine | |
| Single gepresst, Cover dazu, fertig. Punk war schnell, unmittelbar, ein | |
| Teenager-Medium. Eine Single zu produzieren war billig. The Seven inch 45 | |
| rpm record was King.“ | |
| Kein Mensch hätte sich 1977 vorstellen können, dass 45er-Singles von The | |
| Panik, The Suburban Studs oder The Mirrors (aus Cleveland) 2014 in einem | |
| Buch landen. „Kein Mann für fundamentalistische Punk-Nostalgie“, schrieb | |
| die taz vor 20 Jahren über Jello Biafra, Ex-Dead-Kennedy. Anlass war sein | |
| Song „Nostalgia for an age that never existed.“ Auch Jon Savage ist keiner | |
| für fundamentalistische Punk-Nostalgie. Doch bleibt die Frage, ob nicht | |
| auch die im Freud’schen Sinne nachträglich gestiftete, von der Chronologie | |
| gestützte Ordnung der Punk-Dinge nostalgische Bedürfnisse bedient in einer | |
| „Gegenwart, die sich eine Vergangenheit zurechtlegt“. | |
| Zumal Savage Punk so großzügig definiert, dass er als Ferment für Revolten | |
| jeder Art auch noch in hundert Jahren eine Retrospektive hergibt: „Punk hat | |
| sich über die Jahre immer wieder verändert und bis heute entdecken junge | |
| Leute seine wahren Inhalte: Selbstermächtigung, Do it yourself, keine | |
| Regeln, die echte Bedeutung von Anarchy. Ob nun Occupy oder Pussy Riot, die | |
| interessantesten Punkphänomene passieren heutzutage außerhalb der Musik. | |
| Als musikalischer Stil ist Punk längst kommodifiziert und fester | |
| Bestandteil der Musikindustrie. Punk ist eher als Idee bedeutend, wenn | |
| junge Leute etwas verändern wollen, und das wollen sie immer.“ | |
| Im Zweifel für den Zweifel, deshalb ein letzter Satz zum N-Wort vom | |
| britischen Kritiker Mark Fisher auf seiner Homepage [1][k-punk.org]: „Eine | |
| Methode, Nostalgie zu umschiffen, ist, dass man den verlorenen | |
| Möglichkeiten jeder Ära nachschaut.“ Je länger man den Satz anschaut, desto | |
| ferner … | |
| 9 Mar 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://k-punk.org | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Walter | |
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