Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mark Fisher im Berliner Hebbel am Ufer: Die Hürde der Endlosschlei…
> Der britische Kulturkritiker Mark Fisher stellte am Freitag seinen
> Essayband „Ghosts of my Life“ im Berliner Hebbel am Ufer vor.
Bild: London, der „negative Prophet“ der neoliberalen Agonie: Docklands Lig…
Es gibt keine Zukunft mehr, sie ist uns abhanden gekommen. Heute ist es
einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende der
Wirtschaftsordnung, lautet die Zeitdiagnose des britischen
Kulturtheoretikers Mark Fisher.
Auch sein aktueller Essayband „Ghosts of my life“, den der Autor am
Freitagabend im gut gefüllten Berliner HAU vorstellt, handelt wie schon das
Vorgängerbuch „Kapitalistischer Realismus“ vom Verlust des Glaubens an eine
bessere Zukunft, deren Symptom die kulturelle Stagnation ist. Fisher
untermauert seine pessismistische Gegenwartsdiagnose mit Beispielen aus der
Popkultur und nicht zuletzt der Musik, die bis Ende des 20. Jahrhunderts
noch der Ausdruck der Gegenwart schlechthin war.
Heute sei jedoch selbst der Begriff Retro hinfällig. „Retro in Beziehung zu
was?“, entgegnet Fisher einer Frage aus dem Publikum. Es sei keine
Kategorie mehr, da mittlerweile jede Musik rückwärtsgewandt sei. Ein
Gedankenexperiment: Bekämen Menschen aus den Neunzigern Musik von heute zu
hören, würde dies kaum Verwunderung auslösen. Im Vergleich dazu könnte der
Kontrast zwischen Elvis Presleys „Blue Suede Shoes“ (1956) und Donna
Summers Proto-Housetrack „I feel love“ (1977) nicht größer sein.
Die hyperschnelle Polyrhythmik von Jungle Anfang der neunziger-Jahre war
für Fisher der letzte „future shock“ des Pop. Heute kann Kultur nicht mal
mehr die Gegenwart adäquat abbilden. Auch, weil ständiges Onlinesein freies
Denken blockiere, ergo auch kreative Arbeit.
## Das Phänomen der kulturellen Starre
Die kulturelle Starre ist Fisher zufolge vor allem ein psychologisches
Phänomen, das er „hedonistische Depression“ nennt, bei der die ständige
Möglichkeit zu Genuss und Zerstreuung nur zur Unfähigkeit führt, sich zu
langweilen. Denn in Smartphones sei stets der Zwang zur Kommunikation
eingeschrieben, was außerdem eine „Nicht-Zeit“ hervorgebracht hat, die
Fisher als Analogie zur Marc Augés „Nicht-Orte“ anführt, also die
monofunktionalen, identitätslosen öffentlichen Räume (Einkaufszentren,
Bahnhöfe), die unsere Städte kolonisiert haben.
Ursachen dieser Entwicklung verortet der Brite im Siegeszug des
Neoliberalismus sowie dem Postfordismus als spezifische Form der
Arbeitsorganisation, der vor allem mit der Aufforderung zur
Selbstverwirklichung als perfide Form der Ausbeutung einhergeht. Dass die
Zeit der größten kulturellen Innovationen zumindest in England in die Ära
der Sozialdemokratie fällt, ist kein Zufall. So boten ein intakter
Sozialstaat und günstige Mieten noch mehr kreative Freiräume als heute. Ein
Zustand, von dem vor allem London als „negativer Prophet“ heute weit
entfernt ist, wie Fisher dem Berliner Publikum warnend entgegenhält.
Dass Fisher dann den Song „All me“ des kanadischen HipHop-Stars Drake
vorspielt und damit Musik doch noch ein Potenzial als Spiegel der
Gesellschaft zuspricht, ist dann nur ein vermeintlicher Widerspruch. So
wirke Drakes Text auf den ersten Blick wie der übliche euphorische
Radikal-Individualismus eines Rappers, doch spreche aus der melancholischen
Musik eine existenzielle Traurigkeit. Und zwar darüber, dass das von
neoliberalen Anforderungen getriebene Selbst eigentlich zutiefst einsam
ist.
## Hauntology als musikalische Marke
Auch die Musik des Londoner Dubstep-Produzenten Burial, für Fisher ein
Paradebeispiel seines „Hauntology“-Konzepts, atmet die Sehnsucht nach
Kollektivität. Aus Burials gesampeltem Plattenknistern und den
geisterhaften Dancefloor-Zitaten sprechen ein melancholisches Verlangen
nach der Blütezeit des britischen Rave. Eine Ära, in der kollektives Tanzen
mit der Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft verbunden war.
Dass Hauntology inzwischen selbst zur musikalischen Marke geworden ist, wie
die im Publikum sitzende New Yorker Bassmusic-Produzentin Laurel Halo
anmerkt, zeigt, wie sehr wir in einer kulturellen Endlosschleife gefangen
sind. Eine Hürde, die überwunden werden muss, da sie die Sicht auf die
Zukunft versperrt.
13 Apr 2014
## AUTOREN
Philipp Rhensius
## TAGS
London
Kapitalismuskritik
Mark Fisher
Neoliberalismus
Depression
Mark Fisher
Performance
Neues Album
Großbritannien
Punk
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nachruf auf Mark Fisher: Die Geister seines Lebens
Der britische Theoretiker Mark Fisher analysierte die Nostalgie der
gegenwärtigen Popkultur als Zeichen einer verlorengegangenen Zukunft.
Schwule Grindr-Performance in Berlin: Wanna play? No!
Ein Künstler projizierte Dating-Chats im öffentlichen Raum. Nun wurde die
Installation vorzeitig beendet. Fragen bleiben.
Neue Platte von The Bug: Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Kevin Martin alias The Bug hat in Berlin zu sich selbst gefunden: Das Album
„Angels & Devils“ ist eine Emanzipation von seinem düsteren Image.
Grundlagenwerk zur Poptheorie: In die Zukunft
Der britische Autor Mark Fisher präsentiert seinen Essayband „Ghosts of my
Life“. Er ist gesellschafts- und ökonomiekritisch.
Bildband über Punk: „Why? Who the hell knows“
Revolte, schnell und unmittelbar: Der Band „The Singles Cover Art of Punk
1976–1980“ widmet sich dem Design angloamerikanischer Punksingles.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.