| # taz.de -- Moogfest in North Carolina: Erst Disco Brunch, dann Séance | |
| > Digital Blackness als Genre, Kampf gegen das Transgendergesetz und Jaron | |
| > Lanier flötet. Eindrücke vom Moogfest in North Carolina. | |
| Bild: Alan Thompson beim Workshop „Black Wall Street Beats“ | |
| Das Leben ist ein Workshop. Wenn dieser Geschichte mit Gegenwart verbindet, | |
| wird man in die Zukunft transportiert: So geschehen in einem Raum, Black | |
| Space genannt, halb Raumschiff, halb Büro, gelegen in Downtown Durham, im | |
| US-Bundesstaat North Carolina. Vor Ort steigt gerade das viertägige | |
| Moogfest, eine Mischung aus elektronischem Musikfestival, Technikmesse und | |
| wissenschaftlichem Labor, organisiert von der Familie des | |
| Synthesizerpioniers Robert Moog. | |
| Musiker und Autor Pierce Freelon richtet zusammen mit Alan Thompson den | |
| Workshop „Black Wall Street Beats“ aus, Teil der Moogfest-Reihe | |
| „Afrofuturism“. Freelon sagt, Afrofuturismus sei Inkubator von kreativer | |
| Energie und sozialer Gerechtigkeit, verloren gegangene Traditionen werden | |
| darin symbolisch wiederhergestellt. | |
| Mit spirituellem Anklang: Die Wände des Black Space sind mit Sankofa, | |
| Symbolen aus der Zeit der westafrikanischen Shanti-Herrschaft, bemalt. Ein | |
| Vogel blickt nach hinten, um ein Ei aufzufangen: „Geh zurück und berühre | |
| die Geschichte“, bedeutet das Zeichen. Sampling sei dessen moderne | |
| Entsprechung, erklärt Freelon. | |
| ## Black Wall Street Beats | |
| Eine Black Wall Street namens Parrish Street existierte im Durham der | |
| 1910er Jahre tatsächlich. Während der Segregation eröffneten dort neben der | |
| größten von Schwarzen geführten US-Bank auch Versicherungsgesellschaften | |
| und Wohltätigkeitsvereine, die der Community den Umgang mit Geld und | |
| anderes hauswirtschaftliches Know-how vermittelten. Daran knüpfen die | |
| beiden Musiker an, unterrichten Schüler im Umgang mit neuester | |
| Aufnahmetechnik und alten Klangquellen. | |
| Basis von „Black Wall Street Beats“ sind alte Soulsongs aus der Region, | |
| daraus baut Freelon umwerfende Drumloops. Natürlich darf ein | |
| Mini-Moog-Synthesizer nicht fehlen, aus dem Thompson spacige Tontrauben | |
| rupft. Dazu rappt Freelon: „Go back and touch it“: Geschichte wird | |
| lebendig. | |
| Wie auch etwas später im Carolina Theatre: Ein Oktett führt dort | |
| „Instrumentals“, ein Werk des 1992 an Aids verstorbenen New Yorker | |
| Avantgarde- und Discomusikers Arthur Russell, 41 Jahre nach der Premiere | |
| erneut auf. Eine ganze Riege von Musikern mit klingenden Namen ist an der | |
| Aufführung beteiligt: Rhys Chatham, Ernie Brooks, Peter Gordon und sein | |
| Sohn Max, dazu Mitglieder des LCD Soundsystem. Furios schlingernd, | |
| scheppernd, immer atemloser spielen sie sich durch Russells unglaublich | |
| seltsame Komposition. Szenenapplaus des begeisterten Publikums. | |
| Wie vielschichtig das Festival kuratiert ist, zeigt am selben Abend der | |
| House-Produzent Afrikan Sciences aus Chicago im Pub The Pinhook. „Digital | |
| Blackness“ hat ein Kritiker kürzlich dessen Sound getauft. Effektgeräte und | |
| Sequenzer verknüpft er mit Synthesizern. Könnte glatt als elektronische | |
| Variante von Sun Ras Keyboard-Alchemie durchgehen. | |
| Die endlose Verkabelung seiner Maschinen zelebriert Afrikan Sciences (Eric | |
| Porter-Douglass) als Teil der Performance. Welch Erleichterung, als er | |
| loslegt: Kosmische Zwitschertöne prallen auf ungerade Rhythmen, Kaskaden | |
| von Melodien zerstieben im tosenden Beatgewitter. Afrikan Sciences kommt | |
| nie zum Punkt – zum Glück für die Zuhörer, denn in seiner eigenwilligen | |
| Mischung aus verbastelter Technikaffirmation, Jazzschwelgerei und | |
| futuristischer Beatwissenschaft entsteht eine charakteristische Mixtur. | |
| ## We don't care | |
| Um politische Inhalte geht es auch: „Synthesize, Love and Fuck HB2“, das | |
| diesjährige Motto macht Front gegen das Gesetz „HB 2“, das | |
| Transgendermenschen vorschreibt, welche Toiletten sie zu benutzen haben. | |
| Das ganze Land spricht inzwischen von „Bathroom Wars“. Dass die Regelung | |
| auch juristische Schritte von Arbeitnehmern gegen Diskriminierung am | |
| Arbeitsplatz erschwert, empört einen Banker aus Charlotte, der bei einem | |
| Vortrag neben mir sitzt. Er nennt den konservativen Gouverneur gar einen | |
| „Mullah“. An vielen Toiletten in Durham prangen aus Protest „We don’t | |
| care“-Sticker. Verrichte dein Geschäft, wo du möchtest. | |
| Widerstreitende Positionen sind es auch, die im Carolina Theatre in den | |
| Vorträgen zur „Zukunft der Kreativität“ zur Sprache kommen. Eine | |
| Eastcoast-Diskursfraktion erkennt in Technologie und Digitalisierung auch | |
| dystopische Potenziale: Ihre Galionsfigur ist Laurie Anderson, die in einer | |
| Art Werkstattbericht ihren eigenen Ansatz – Multimediakunst – als | |
| bedeutungslos brandmarkt. „Meine besten Kunstwerke basieren auf Problemen | |
| und beginnen im Chaos.“ | |
| Demgegenüber blickt der posthumanistische kalifornische Flügel optimistisch | |
| in die Zukunft. Jaron Lanier, Erfinder des Begriffs „Virtual Reality“, wird | |
| bei seinem Vortrag umjubelt wie ein Popstar. Er kommt in Filzgewand und mit | |
| asiatischer Flöte auf die Bühne, erklärt, das Moogfest komme seiner | |
| Vorstellung von Utopie sehr nahe. In Umkehrung von Marx’ Zitat ereigne sich | |
| Geschichte zuerst als Farce und ende dann in einer Tragödie, sagte er und | |
| wies darauf hin, dass seine Vorfahren im Holocaust ermordet wurden. | |
| ## Ein Mäandertaler | |
| Dann spielt er Flöte und spricht über die Seidenstraße – den Handelsweg, | |
| auf der einst Seide von Asien in die Welt exportiert wurde – als Vorläufer | |
| des Internets. Ganz der kalifornische Mäandertaler: Musik sei zuerst da | |
| gewesen; erst bimmelten Glocken, dann wurden Kanonenkugeln daraus. Seine | |
| Hoffnung, dass das Internet die Empathiefähigkeit steigern werde, habe sich | |
| indes nicht erfüllt – aber er glaube, Technologisierung verbessere die | |
| Kommunikationsfähigkeit. Zum Schluss spielt er ein Video über seinen ersten | |
| Versuch, mit einem „Power Glove“ (einer Art sounderzeugendem Handschuh) | |
| Musik zu machen. Der Clip von 1987 hat etwas Fossiles, wie überhaupt Lanier | |
| rüberkommt wie jemand aus einer fernen Welt. | |
| In Durhams Stadtbild sind die Grenzen von Laniers Optimismus zu sehen: | |
| Einst war die Stadt ein Zentrum der Tabakindustrie, einige | |
| Moogfest-Veranstaltungen finden auf dem Gelände der ehemaligen | |
| Lucky-Strike-Fabrik statt. Heute sind hier Start-up-Firmen untergebracht. | |
| Die Stadt gilt als „Tech Hub“, als Drehkreuz mit mehr als 46.000 | |
| Beschäftigten und Milliardenumsätzen. Von den 300 Start-ups werden 22 | |
| Prozent von Schwarzen geleitet, 29 Prozent von Frauen, alles weit über dem | |
| Landesdurchschnitt. | |
| Und trotzdem ist Downtown teils entwohnt, riesige Baulücken klaffen neben | |
| Hotels – selbst an der historischen Black Wall Street. Der Busfahrer, der | |
| mich zum Moogfest bringt, ist verblüfft darüber, dass das Stadtzentrum | |
| während des Festivals so stark bevölkert ist. Schön, wenn man, begleitet | |
| von dem Chicagoer DJ Hieroglyphic Being, einen „Disco Brunch“ zu sich | |
| nehmen kann, aber was kommt nach dem Moogfest? | |
| Um Netzprojekte zur afroamerikanischen Erinnerungskultur ging es beim Panel | |
| „FutureCities“. Die Stadtplanerin Wanona Satcher mahnte, es fehle in den | |
| USA diesbezüglich an Ideen. Nur gebe es auch einen digital divide: Gerade | |
| ein Drittel der meist schwarzen Einwohner Detroits verfüge über | |
| Internetanschluss. In Durham klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer | |
| weiter auseinander. Die Mitte erodiert. Durchschnittlich liegt das | |
| Mittelklasse-Einkommen in der Stadt heute um 6Prozent unter dem von 1999. | |
| ## Psychos und Schamanen | |
| Beim Moogfest sind die Preise moderat. Kostenlos ist der Besuch der | |
| Soundinstallation eines Songs der jungen kanadischen Künstlerin Grimes – | |
| „Realiti“ dringt aus 22 Lautsprecherboxen. Davor sind schwarze Netze | |
| gespannt, in die man bei der Begehung des dunklen Zelts stolpert. Mit jeder | |
| Berührung ändert sich der Songaufbau, verschiedene Tonspuren werden in den | |
| Vordergrund gerückt, beim Streicheln der Netze stößt man auf die erogenen | |
| Zonen von Grimes’ „Realiti“. | |
| „Nur Psychos und Schamanen erschaffen ihre eigene Realität“, hat der | |
| US-Biologe und Mathematiker Terence McKenna einmal postuliert. Wie es | |
| aktuell darum bestellt ist, untersucht beim Moogfest die Reihe | |
| „Techno-Shamanism“. Im Workshop „Hypnotic Scéance“ von der „Church of | |
| Space“, einem Team der Hochschule Georgia Tech, kann man einen raffinierten | |
| Mix aus Okkultem, Psychologie und Performance erleben. Männer in weißen | |
| Kitteln geleiten die Teilnehmer zu den spiralförmig angeordneten Sitzen; | |
| Türen und Augen werden geschlossen. | |
| Einer der Weißkittel kommandiert per Headset zur musikalischen | |
| Modularsynthese: „Stell dir vor, du bist ein Kind und blickst auf den Grund | |
| eines sonnendurchfluteten Swimmingpools.“ Alle sind in Trance, einer | |
| notiert: „Sei der, der du sein möchtest“, wiederholt die | |
| Wissenschaftlerstimme, erst ruhig, dann eindringlicher. Schließlich spricht | |
| er über physikalische Formeln, Einsteins „E = mc2“ etwa und die | |
| Vakuumpolarisation nach Feynman. In der Quantenphysik gebe es eine Hölle, | |
| ein schwarzes Loch. Die Musik wird verspulter, Echo liegt über der Stimme. | |
| Das Beste zum Schluss: „Es ist eine gute Nachricht, denn die Hölle zwingt | |
| dich, aus ihr zu entfliehen.“ | |
| 27 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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