# taz.de -- Asylpolitik in Europa: Willkommen im Lager | |
> Nirgendwohin schiebt Deutschland mehr Menschen zurück als nach Polen. | |
> Dort werden Flüchtlinge eingesperrt, bis sie selbst ausreisen. | |
Bild: Knast hinter Zäunen statt Asyl: Alltag in Polen | |
KROSNO ODRZANSKIE taz | In Mikolaj Femlaks Gefängnis gibt es keine | |
Geheimnisse. Jede Tür schließt der Direktor auf, jede Zelle zeigt er her, | |
den Tischtennis-Raum, den Lesesaal. Mit jedem Gefangenen darf man sprechen, | |
sogar allein. In den dicken brauen Türen sind Gucklöcher, sieben Betten | |
links, rechts zwei Toiletten. Sie haben keine Wände; nur kleine Mauern, | |
etwa 60 Zentimeter hoch. Wer im Bett liegt, schaut seinen Nachbarn beim | |
Geschäft zu. | |
Zelle neun ist voll belegt: ein Inder, ein Pakistaner, ein Kongolese, ein | |
Ukrainer, ein Russe, ein Syrer, ein Afghane. Tagsüber dürfen sie raus: | |
Jetzt, am späten Vormittag, stehen sie auf dem Gang und spielen mit ihren | |
Handys. Einige raufen, die Wachen rufen ihnen auf Polnisch zu, sie sollen | |
nicht so wild sein. „Die hier ist für die Familien“, sagt Femlak und | |
schließt die letzte Zelle im Gang auf: An der Wand hängt ein großes Bild | |
mit einer Stadt, die von breit lachenden, bunten Autos bevölkert wird, auf | |
dem Boden liegen bunte Teppiche. Spielzeug gibt es nicht. Es sind meist | |
Familien tschetschenischer Bürgerkriegsflüchtlinge, die hier eingesperrt | |
werden; jetzt ist sie leer. | |
Femlak tritt hinaus. Ein kleiner Hof, umgeben von einer Wellblechwand, die | |
Sonne scheint, zwei Männer rauchen. „Sie können immer hier raus, | |
jederzeit“, sagt Femlak. Die Männer schauen die Besucher an, sagen nichts. | |
Die Lubuskiej-Kaserne im westpolnischen Krosno Odrzanskie ist ein | |
weitläufiges Gelände. Es sind hellbeige, frisch angestrichene Gebäude mit | |
Erkern, Zinnen und roten Dächern. Das Internierungslager für die | |
Flüchtlinge ist ganz hinten. Es gibt schlimmere Gefängnisse auf der Welt. | |
Doch die Gefangenen des Grenzschützers Mikolaj Femlak sitzen nicht hier, | |
weil sie eine Straftat begangen hätten. Es gibt keine Anklage, kein | |
Ermittlungsverfahren gegen sie. | |
## 25.000 Haftplätze | |
Der Grund, weshalb sie hier sind, ist ihr Asylantrag – in Polen oder im 30 | |
Kilometer weiter westlich gelegenen Deutschland. Acht Gefängnisse wie das | |
in der Lubuskiej-Kaserne gibt es in ganz Polen, etwa 170 EU-weit. Nach | |
Angaben des Global Detention Projects der Uni Genf haben sie etwa 25.000 | |
Haftplätze. Und die Zahl wächst. Allein Griechenland baut derzeit an 30 | |
neuen solcher Internierungslagern – finanziert von Brüssel. | |
Denn seit 2013 erlaubt das europäische Recht die Internierung von | |
Asylsuchenden – auch von Kindern, für bis zu 18 Monate zur „Feststellung | |
der Identität“, zur „Beweissicherung“, zur „Prüfung des Einreiserecht… | |
wegen „verspäteter Asylantragstellung“, aus Gründen der „nationalen | |
Sicherheit und Ordnung“ und zur Verhinderung des „Untertauchens“. Also | |
immer. | |
Essenszeit. Zwei Soldaten schieben einen großen Wagen über den Flur; es | |
gibt Kohlsuppe, Brot, Äpfel. Die Männer schlurfen in den Speisesaal, | |
zwinkern einer Wärterin zu. Im oberen Gang gibt es eine Küche, die Tür | |
steht offen, doch sie sieht aus, als ob sie kaum benutzt würde. „Die Wachen | |
kaufen für die Leute ein, dann können sie sich hier was kochen“, sagt | |
Femlak. | |
Wie jedes Gefängnis der Welt ist auch das von Mikolaj Femlak eine | |
Klassengesellschaft: Kochen kann nur, wer Geld hat. Wer keins hat, muss | |
essen, was die Großküche liefert. Die meisten haben keins. Wer einen Laptop | |
oder ein Handy besitzt, kann sich von den Wachen eine SIM- oder UMTS-Karte | |
kaufen lassen und darf ins Internet oder telefonieren. Die anderen haben | |
Pech gehabt. Sozialleistungen, Taschengeld oder Verdienstmöglichkeiten gibt | |
es nicht. | |
## Türsteher der Oder-Neiße-Grenze | |
Polen ist die östliche Flanke des Schengenraums. Wer über Polen in die EU | |
kommt, darf nur hier einen Asylantrag stellen, so will es die | |
Dublin-III-Verordnung der EU. Viele ziehen trotzdem weiter, nach | |
Deutschland, Benelux, Frankreich, Skandinavien. Doch ihr Asylantrag wird | |
dort nicht geprüft; sie werden direkt nach Polen zurückgeschoben. Seit | |
Anfang 2013 gab es allein aus Deutschland rund 2.800 sogenannte | |
Dublin-Überstellungen an den östlichen Nachbarn. Das war fast die Hälfte | |
aller innereuropäischen Abschiebungen. | |
Auch jene, die auf dem Weg Richtung Deutschland aufgegriffen werden, kommen | |
oft ins Gefängnis. Femlaks Kompanie ist eine Art Türsteher der | |
Oder-Neiße-Grenze. Es werden auch Flüchtlinge gefangen genommen, die in | |
Deutschland durchaus Aussicht auf Asyl hätten, aus Syrien zum Beispiel. | |
Doch sie werden nicht durchgelassen. „Sie kommen dann in die geschlossenen | |
Heime“, sagt der Kommandant. „Drei bis elf Monate ist normal, wenn sie | |
einer Abschiebung zustimmen, kann es schneller gehen. Aber sie versuchen | |
immer wieder Asyl zu bekommen. Dann können sie ein Jahr hier bleiben. Aber | |
sie haben Anwälte“, versichert er. | |
Polen sperrt die Menschen ein, um sie entweder zu zwingen, ihren Asylantrag | |
zurückzuziehen oder ihre Identität offenzulegen – und damit das Land, in | |
das sie abgeschoben werden können. Denn viele haben keinen Pass. Wer ein | |
Jahr durchhält, wird meist entlassen und kann vorerst im Land bleiben. Das | |
Prozedere dient der Abschreckung – davon profitiert auch Deutschland. | |
Künftig allerdings will auch Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière | |
Flüchtlinge einsperren. | |
Eine Frau und 38 Männer sind heute in der Lubuskiej-Kaserne. Wie halten die | |
teils traumatisierten Flüchtlinge die Gefangenschaft aus? „Manche sind in | |
einer schrecklichen psychischen Verfassung“, räumt Femlak ein. Gibt es | |
Suizide? Er wiegt den Kopf. „Manche sprechen davon, manchmal tun sie so, | |
als versuchen sie, sich aufzuhängen.“ Und dann? „Sie werden dann von einem | |
Psychologen begutachtet.“ Wann kam das zuletzt vor? „Am Freitag.“ Gibt es | |
für sie im Gefängnis Therapieangebote? „Nein.“ | |
## Lager trotz Traumatisierung | |
„Deutschland schiebt auch körperlich und psychisch schwer kranke | |
Flüchtlinge und Kinder nach Polen ab“, sagt Simone Tetzlaff vom | |
Brandenburger Flüchtlingsrat. „Dort landen sie trotz anderslautender | |
Zusagen über Monate in Haft.“ Die Organisation wisse von vielen Fällen, in | |
denen akut behandlungsbedürftige, traumatisierte Flüchtlinge aus | |
Deutschland in die polnischen Lager geschickt worden seien. | |
Pana Abdul Aziz ist ein kleiner, stiller Mann mit kahl geschorenem Kopf und | |
einem schwarzen Jogginganzug, Badelatschen. Nächsten Monat wird er 24, seit | |
157 Tagen ist in der Lubuskiej-Kaserne. Der Pakistaner stammt aus | |
Peschawar. „In der Gegend herrschen Taliban-Banden. Wenn man da rausgeht, | |
ist man nie sicher, ob man zurückkommt. Deswegen bin ich hier“, sagt er. | |
Hat er einen Anwalt? Er schüttelt den Kopf. Er zeigt einen leicht | |
zerfledderten Stoß Papier, 13 geheftete Seiten, eng beschrieben, drei | |
Wochen ist das Schreiben alt. Aziz spricht kein Wort Polnisch. Doch er | |
weiß, dass die Ausländerbehörde ihm in dem Schreiben mitteilt: Sein | |
Asylantrag wird abgelehnt. Beim Interview habe es keinen | |
Paschtu-Dolmetscher gegeben, sagt er. Wenn er nicht freiwillig ausreist, | |
muss er vorerst noch drei Monate in der Lubuskiej-Kaserne bleiben. | |
Dabei ist Aziz mit einer Polin verheiratet. In Brüssel habe er sie | |
kennengelernt, ihretwegen kam er nach Polen. Dort wurde er verhaftet – er | |
hatte kein Visum. Am 23. Oktober haben sie Hochzeit gefeiert, im Gefängnis. | |
Ein Aufenthaltsrecht bekommt Aziz trotzdem nicht: „Die Ausländerbehörde | |
sagt, die Ehe sei nicht echt. Ich hätte für die Hochzeit bezahlt.“ Die Frau | |
darf zu Besuch kommen. Aber seit einem Monat werden sie dabei per Video | |
überwacht. „Bei der Ausländerbehörde hat man ihr gesagt, wir können ja | |
klagen, wenn wir wollen. Aber wir würden mit Sicherheit verlieren.“ 2.500 | |
Zloty kostet der Widerspruch gegen die Haft mit Anwaltskosten, etwa 600 | |
Euro. Für die beiden unbezahlbar. | |
## Zu acht in einer Zelle | |
Nach einer Weile kommt ein Wärter herein, setzt sich in die andere Ecke des | |
Raumes und zieht sein Handy aus der Tasche. Der Bitte, wieder zu gehen, | |
kommt er nach. Ihm selbst gehe es noch gut, doch die Gefangenschaft mache | |
„die Leute verrückt“, sagt Aziz, nachdem der Wärter die Tür geschlossen | |
hat. „Dann prügeln sie sich und werden bestraft.“ Isolationshaft. | |
„Die Wachen misshandeln uns nicht. Aber wir wissen nicht, was wir tun | |
sollen und was mit uns passiert.“ Seine Zelle teilt sich Aziz mit sieben | |
Männern, ein Inder sitzt schon seit einem Jahr. „Wenn man Verbrecher | |
einsperrt, das kann ich verstehen. Aber wir haben nichts getan.“ | |
Hätte er gewusst, was ihm in Polen blüht, wäre er „nie hierhergekommen“, | |
sagt Aziz. Der polnische Staat setzt darauf, dass sich sein Umgang mit | |
Flüchtlingen herumspricht. Kommt nicht, hier landet ihr im Gefängnis – das | |
ist die Botschaft. Warum können die Asylsuchenden nicht in offenen | |
Einrichtungen leben? Femlak zuckt mit den Schultern. Das sei eben so. Im | |
Übrigen sei der Freiheitsentzug durchaus im Sinn der Gefangenen, sagt er: | |
„Diese Menschen haben nur wenig Geld. Wären sie frei, würden sie das immer | |
wieder für die Schlepper ausgeben. Sie können dabei alles verlieren. Hier | |
im Lager sind sie immerhin sicher vor den Menschenschmugglern.“ | |
Am 12. Mai haben seine Häftlinge genug von so viel Fürsorglichkeit. Sie | |
drohen mit einem neuen Hungerstreik, schreiben einen offenen Brief, | |
fotografieren ihn mit einem Handy und stellen die Bilder ins Netz. „Wir | |
sind in einer schrecklichen Lage, es gab einen Selbstmordversuch“, | |
schreiben sie. „Niemand sagt uns, was mit uns geschieht und wie lange wir | |
hier drin bleiben müssen. Wir haben alles versucht, aber niemand hilft | |
uns.“ | |
23 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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