# taz.de -- Kommentar Deutsche Flüchtlingspolitik: Asylpolitischer Rollback | |
> Bundesinnenminister de Maizière geht das Asylrecht an. Wie schon 1993 | |
> geht es dabei nur darum, brachial gegen die Flüchtlinge vorzugehen. | |
Bild: In Sachen Asyl gilt in Deutschland: zurück zur alten Härte. Syrische Fl… | |
Am Donnerstag wollen Bund und Länder endlich beschließen, etwas mehr | |
Menschen aus dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland zu holen. Die Rede | |
ist von 10.000 – nötig und machbar wäre das Zehnfache. Die Marschroute von | |
Innenminister Thomas de Maizière in Sachen Asyl ist dieser Tage aber | |
generell eine andere: zurück zu alter Härte. | |
Viele in der Union dürften mit wachsendem Unmut beobachtet haben, was mit | |
ihrer mühevoll durchgesetzten Demontage des Asylrechts geschehen ist: Der | |
Asylkompromiss von 1993 wurde in den letzten Jahren langsam aufgeweicht. | |
Doch wofür man hart geschuftet hat, das lässt sich niemand gern kaputt | |
machen. | |
Aus Sicht der Union ist der Asylkompromiss ein Erfolgsmodell. Bis 2008 | |
drückte er die Zahl der Asylanträge in Deutschland um etwa 92 Prozent. | |
Dafür sorgte vor allem die Drittstaatenregelung, mit der Deutschland sein | |
Flüchtlingsproblem auf die Nachbarländer abwälzte. Jene, die trotzdem | |
kamen, erwarteten Schikanen: Lagerleben, Arbeitsverbot, fast halbierte | |
Sozialbezüge, vorzugsweise auszuzahlen als „Sachleistungen“. | |
Es kam nicht von ungefähr, dass das Bundesverfassungsgericht 2012 diese | |
Praxis kippte und Flüchtlingen faktisch das gesetzliche Existenzminimum | |
zusprach. Solche Urteile sind auch Gradmesser gesellschaftlicher | |
Stimmungen. In früheren Jahren wäre der Richterspruch anders ausgefallen. | |
Ab 2008 fanden die ersten Kommunen es nicht länger vertretbar, Flüchtlinge | |
in Lager zu zwängen, obwohl Wohnungen billiger sind. Landkreisen wurde das | |
Gutscheinsystem zu aufwendig, sie zahlten Bargeld aus. Bundesländer | |
lockerten die Residenzpflicht. | |
## Proteste mit Wirkung | |
Nach der Wahl 2009 wollte die FDP nicht länger hinnehmen, dass eine ganze | |
Bevölkerungsgruppe per Arbeitsverbot gezwungen wird, der Allgemeinheit auf | |
der Tasche zu liegen, statt selbst für sich zu sorgen – was die | |
Asylsuchenden noch viel mehr störte als die Stammtische. Damals hielt die | |
Union am Arbeitsverbot fest, heute, eine Legislaturperiode später, musste | |
sie dessen Abschmelzung zustimmen. Zuletzt kündigte selbst Bayern an, die | |
Verpflegung per Essenspaket abzuschaffen. | |
Die jahrelangen Proteste gegen die Asylpolitik blieben also nicht ohne | |
Wirkung. Sie hinterließen selbst im Koalitionsvertrag Spuren. Einige | |
fortschrittliche Vorhaben – etwa Reformen der Residenzpflicht oder eine | |
Altfallregelung für langjährig Geduldete – wurden vereinbart. Damit war die | |
Schmerzgrenze der Union offenbar erreicht. | |
In diesen Wochen zu besichtigen ist der konservative asylpolitische | |
Rollback, für den de Maizière gleich mehrere Gesetzentwürfe vorgelegt hat. | |
So will er die Abschiebehaft massiv ausweiten; Flüchtlinge, die über einen | |
anderen EU-Staat gekommen sind, sollen generell eingesperrt werden. Das | |
wird auch zahlreiche Syrer betreffen. | |
Auch das lange versprochene Ende der sogenannten Kettenduldungen steht | |
wieder zur Disposition. Knapp 50.000 Menschen werden seit über sechs Jahren | |
in Deutschland geduldet: Der Staat kann sie nicht abschieben, hält sie | |
dafür aber in einem weitgehend rechtlosen Zustand. Der Koalitionsvertrag | |
verspricht, dies mit einer überfälligen Bleiberechtsregelung abzustellen. | |
De Maizière will hingegen feststellen, dass fast alle geduldeten, | |
abgelehnten Asylbewerber ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen und nur zum | |
missbräuchlichen Bezug von Sozialleistungen eingereist seien. Die Folgen: | |
Arbeitsverbot, Kürzung der Sozialleistungen, Verbot einer | |
Aufenthaltserteilung und eine Einreisesperre für die gesamte EU. | |
De Maizière fordert, „verantwortungsvoll“ mit dem Asylrecht und seiner | |
Akzeptanz umzugehen. Tatsächlich will er den Aufwärtstrend der Asylanträge | |
so brachial umkehren, wie es 1993 getan wurde. | |
11 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
## TAGS | |
Thomas de Maizière | |
Asylrecht | |
Flüchtlinge | |
Residenzpflicht | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schengen-Raum | |
American Football | |
Abschiebung | |
Abschiebehaft | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
Flüchtlinge | |
Oranienplatz | |
Sitzblockade | |
Schwarz-rote Koalition | |
Abschiebung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Polizeikontrollen in Zügen: Die Flüchtlingsfänger | |
Ihre Aufgabe ist es, irreguläre Migration zu bekämpfen. Stichprobenartig | |
kontrollieren Bundespolizisten Reisende im Zug. Ein heikler Job. | |
Asylbewerber beim Football: Auswärtsspiele gehen nicht | |
Madiama Diop ist Spieler bei den Würzburg Panthers. Doch wenn sein Team für | |
Spiele weiter wegfährt, darf er nicht mit. Eine Grenze, für alle. | |
Kommentar EuGH-Urteil Abschiebehaft: Es geht nicht um Strafe | |
Flüchtlinge, die vor der Abschiebung stehen, gehören nicht in normale | |
Gefängnisse. Doch die Humanisierung der Abschiebehaft ist nur ein | |
Nebenschauplatz. | |
EuGH-Urteil zur Flüchtlingspolitik: Kein Knast für Abschiebehäftlinge | |
Ausländer, die aus Deutschland abgeschoben werden sollen, gehören nicht ins | |
Gefängnis, urteilt der Europäische Gerichtshof. Das hat Folgen. | |
Aufnahme von Asylsuchenden in München: Keine Zeltstadt als Begrüßung | |
Viele Kommunen in Deutschland haben sich nicht auf die steigende Zahl von | |
Asylsuchenden vorbereitet. In München wurde nun ein Plan zur Behelfslösung | |
verworfen. | |
Deutschland nimmt Flüchtlinge auf: Das Nadelöhr weitet sich etwas | |
Die Länderinnenminister beschließen, weitere 10.000 syrische Flüchtlinge | |
aufzunehmen. Gerangel gibt es noch um die Asylrechtsreform. | |
Asylanträge in Deutschland: 60 Prozent mehr als 2013 | |
Bis Ende Mai beantragten in diesem Jahr 62.600 Personen Asyl in | |
Deutschland. Die meisten Anträge kamen von Syrern, gefolgt von Serben. | |
Flüchtlinge vom Oranienplatz: Berlin vergisst Abmachung | |
Ein erster Asylbewerber vom Kreuzberger Oranienplatz soll schon am | |
Donnerstag abgeschoben werden. Weitere sind gefährdet, trotz Senatszusagen. | |
Proteste der Lampedusa-Flüchtlinge: Polizei löst Sitzblockade auf | |
Vor dem Hamburger Rathaus demonstrierten Lampedusa-Flüchtlinge für ein | |
Bleiberecht. Die Polizei nahm einige von ihnen gewaltsam fest. | |
Koalition will Integrationskurse: De Maizière sucht 45 Millionen Euro | |
Gerne lobt der Innenminister die gut besuchten Integrationskurse. Nur: Das | |
nötige Geld dafür hat er im Haushalt nicht einkalkuliert. | |
Flüchtlingspolitik in Niedersachsen: Säugling von Abschiebung bedroht | |
Der Landkreis Cuxhaven droht einem 24 Tage alten Kind aus Stade mit | |
„zwangsweiser Rückführung“. Tausende fordern ein Bleiberecht. | |
Eröffnung Asylbewerberheim: Herzlich willkommen | |
Beim Asylbewerberheim in Adlershof praktiziert eine engagierte Bürgerschaft | |
eine schöne Willkommenskultur. |