Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Opfer von Homophobie in BaWü: Schwul und immer noch vorbestraft
> SPD und Grüne in Baden-Württemberg wollen sich bei den Opfern des
> Schwulenparagrafen 175 entschuldigen. Betroffene sollen rehabilitiert
> werden.
Bild: Bis 1969: verbotene Liebe.
STUTTGART taz | V-Männer in der Schwulenszene, eine Fotosammlung mit
Verdächtigen – in den Fünfzigerjahren brüstete sich die Stuttgarter
Sittenpolizei damit, „zum Schrecken der Homosexuellen Stuttgarts geworden“
zu sein. Ein hochrangiger Beamter lobte „tüchtige Beamte“, denen die
gesteigerte Anzeigen-Zahl zu verdanken sei. Grundlage war der sogenannte
Schwulenparagraf 175 im Strafgesetzbuch, in dem es hieß: „Ein Mann, der mit
einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen
lässt, wird mit Gefängnis bestraft.“ Der Paragraf 175 galt in dieser
Nazifassung bis zum Jahr 1969.
In der Nachkriegszeit war Baden-Württemberg Vorreiter bei der Verfolgung
Homosexueller. Allein 1959 wurden dort 29 Prozent aller bundesweiten
Urteile nach Paragraf 175 verhängt. Zwischen 1957 und 1969 gab es nach
Recherchen der Grünen-Fraktion im Landtag insgesamt 5.400 Verurteilungen.
Die Männer – heute 65 Jahre alt oder älter – gelten noch immer als
vorbestraft.
Dieser Geschichte will sich nun auch die Landespolitik stellen. Die
grün-rote Regierungskoalition hat beantragt, dass sich Baden-Württemberg
offiziell bei den damals Verurteilten entschuldigt und deren Ehre
wiederherstellt – was nur eine Aufhebung der Urteile bedeuten kann.
Betroffenen soll für Zeiten der Haft Entschädigung gezahlt und
gegebenenfalls bei der Aufarbeitung von Traumata geholfen werden.
Ralf Bogen hat ein Stück homosexuelle Geschichte des Landes aufgearbeitet
und in dem Buch „Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern“
veröffentlicht. Er kennt zwei Männer, die nach Paragraf 175 verurteilt
wurden. Bis heute wollen sie damit nicht an die Öffentlichkeit. „Die sind
traumatisiert“, sagt Bogen, „sie sind ihr ganzes Leben ausgegrenzt und
kriminalisiert worden. Nie hat jemand sie ermutigt, das Unrecht, das sie
erlebt haben, mitzuteilen.“ Der ideelle Aspekt einer Entschuldigung sei
daher viel wichtiger als Geld. „Es geht darum, das Leid anzuerkennen.“
## „Jetzt muss man was anbieten“
Brigitte Lösch, grüne Landtagsvizepräsidentin, war Antreiberin des nun
gestellten politischen Antrags. Vorgeprescht und mit der Neuigkeit an die
Öffentlichkeit gegangen ist aber SPD-Landeschef Nils Schmid. Lösch hat nach
eigenen Angaben seit eineinhalb Jahren an dem Antrag gearbeitet. Doch von
der SPD sei lange keine Reaktion gekommen. In diesem Jahr ist Schmid
Schirmherr des Christopher Street Day in Stuttgart. „Jetzt muss man ja was
anbieten“, sagt Lösch.
Für Christoph Michl, Vorsitzender der Interessengemeinschaft CSD, zählt vor
allem der Antrag. „Der Weg dahin ist mir egal“, sagt er. Mit der
CSD-Schirmherrschaft nehme seine Interessengemeinschaft Politiker wie Nils
Schmid in die Pflicht, sich mit den Forderungen der Community
auseinanderzusetzen. Die Vorkämpfer für ihre Belange seien freilich andere.
Für eine Entschuldigung bleibt nicht mehr viel Zeit. Klaus Beer, 82, war
Richter am Ulmer Amtsgericht, zwischen 1963 und 1965 hat er mehrere
Homosexuelle nach Paragraf 175 verurteilt. Vor zwanzig Jahren hat er jedoch
begonnen, über das Thema zu schreiben, heute fordert er eine offizielle
Entschuldigung seitens der Politik bei den Betroffenen. Für seine eigene
Entschuldigung sei es schon zu spät, sagt er der taz, die von ihm
Verurteilten seien längst verstorben. Den späten Zeitpunkt, zu dem sich das
Land Baden-Württemberg nun zum Handeln entschließt, hält er für feige. „D…
Politik hängt sich an das Thema, wo es im Volk durch ist.“
Für Brigitte Lösch hat das Thema aber durchaus Brisanz. „Wir brauchen ein
gesamtgesellschaftliches Signal gegen einen wiederauflebenden Hass auf
Homosexuelle, wie er sich etwa in den Diskussionen um den Bildungsplan
stellenweise gezeigt hat“, sagt sie.
Auch Thomas Ulmer, Landes- und Bundesvorsitzender des Verbandes lesbischer
und schwuler Polizeibediensteter, hält das Signal für wichtig: „Die
Kollegen sind nicht mehr im Dienst, die den 175 mit Härte durchgesetzt
haben. Aber sie haben ihre Einstellungen noch lange an junge Kollegen
weitergegeben.“ Ressentiments gegen Homosexuelle hielten sich bei der
Polizei bis heute, sagt er.
13 Jul 2014
## AUTOREN
Lena Müssigmann
## TAGS
Homophobie
Baden-Württemberg
Grüne
SPD
Christopher Street Day (CSD)
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Paragraf 175
Paragraf 175
Paragraf 175
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Göttingen
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Homosexuelle
China
Normalität
Bildung
Kirche
Maischberger
Baden-Württemberg
## ARTIKEL ZUM THEMA
LSVD über Rehabilitierung von Schwulen: „Die Entschädigung kommt zu spät“
Bis 1969 wurde Sex zwischen Männern strafrechtlich verfolgt. Manfred Bruns
(LSVD) erklärt, warum heute so wenige Verurteilte Entschädigung fordern.
Rehabilitierung homosexueller Männer: Akten sind weg, Aufarbeitung dauert
Die Linkspartei kritisiert die schleppende Rehabilitierung verurteilter
Schwuler. Der Paragraf 175 wurde schon 1994 abgeschafft.
Rehabilitierung verurteilter Schwuler: Die Grünen machen Druck
Ein „monströser Schandfleck“ sei es, dass nach Paragraf 175 Verurteilte
noch nicht entschädigt wurden, finden die Grünen. Sie haben nun einen
Gesetzentwurf vorgelegt.
Kommentar Verurteilte Homosexuelle: Die Entschuldigung fehlt
Männer, die nach Paragraf 175 verurteilt wurden, gehören nicht nur
rehabilitiert – sondern auch um Verzeihung gebeten.
„Schwulenparagraf“ 175: „Wunde unseres Rechtsstaats“
Tausende Opfer des bis 1969 gültigen Naziparagrafen sollen rehabilitiert
werden. Das sagt ein Rechtsgutachten der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes.
Bildungsplan in Baden-Württemberg: 192.000 können doch irren
Bildung bleibt unterm Regenbogen: Der Petitionsausschuss in BaWü lehnt eine
Petition ab, die sich gegen sexuelle Vielfalt im Lehrplan aussprach.
50. Deutscher Historikertag: Vorkämpfer für Urninden und Urninge
Weg mit dem Anti-Homo-Paragraphen 175: Das forderte schon im 19.
Jahrhundert Karl Heinrich Ulrichs. Nun wurde er in Göttingen mit einer
Gedenktafel geehrt.
Homophobie in Kirgisien: Angriffe auf Schwule und Lesben
In Kirgisien werden LGBT-Aktivisten oft auf Polizeiwachen misshandelt.
Propaganda für homosexuelle Lebensformen könnte bald strafbar sein.
Homosexuelle in Deutschland: Kapitalismus pink lackiert
Die CSD-Saison nähert sich ihrem Ende. Und wie steht die homosexuelle
Bewegung da? Statt rosa Revolte, politisch ganz schön abgeschlafft.
Homosexuelle in China: Gericht verhandelt „Therapie“
Eine Klinik muss vor Gericht die Praxis verteidigen, Homosexualität mit
Elektroschocks „heilen“ zu wollen. Ein Patient klagt wegen Traumatisierung
auf Entschädigung.
Homophobie in Deutschland: Vater, Mutter, Kind
Für den Erhalt der Traditionsfamilie reproduziert die Mittelschicht alte
Vorurteile gegen Schwule und Lesben. Beim Kindeswohl endet die Toleranz.
Diskussion um „sexuelle Vielfalt“: „Ich will nicht erduldet werden“
Auf Einladung der taz diskutierten Minister, Kirche und Homosexuelle über
den Bildungsplan in Baden-Württemberg, der nun überarbeitet wird.
Homosexueller Politiker in BaWü: Sichtbar schwul– und das in der CDU
Auf seiner Schule gab es keine Homos: Der Stuttgarter
CDU-Bundestagsabgeordnete Kaufmann ist schwul und kämpft für eine Kultur
sexueller Vielfalt.
Homo-Debatte bei Maischberger: Lecken im Zeichen des Kreuzes
Falsch, falscher, Maischberger: Wie beim Thema Homosexualität Putins
Propagandaabteilung in eine deutsche TV-Talkshow geriet.
Kommentar Homophobie in BaWü: Verlogen und kinderfeindlich
Beim Coming-out von Hitzlsperger jubelte die Nation. In BaWü findet derweil
ein Backlash statt. Die Debatte um sexuelle Vielfalt im Lehrplan ist
bigott.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.