| # taz.de -- Homo-Debatte bei Maischberger: Lecken im Zeichen des Kreuzes | |
| > Falsch, falscher, Maischberger: Wie beim Thema Homosexualität Putins | |
| > Propagandaabteilung in eine deutsche TV-Talkshow geriet. | |
| Bild: Maischberger-Talk oder orthodoxe Messe in Bulgarien? Entscheiden Sie selb… | |
| „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, | |
| wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ Dieser berühmte Satz Niklas | |
| Luhmanns gilt mit gleicher, vielleicht sogar noch größerer Wucht für alles, | |
| was wir über unsere Gesellschaft nicht wissen (wollen). [1][Sandra | |
| Maischberger ist es am Dienstagabend gelungen,] das Nichtwissen über unsere | |
| Gesellschaft zu mehren. | |
| Die Sitzordnung ihrer Gäste folgt den geraden und schrägen Linien des | |
| orthodoxen Kreuzes. An seiner Spitze sitzt die Moderatorin. Rechts von ihr | |
| erklingt im Verlauf der Sendung immer seltener der basso profundo der | |
| Transe Olivia Jones. Ihr gegenüber sitzt Birgit Kelle. Zusammen bilden die | |
| Tunte und die Focus-Fundamentalistin die erste kurze Querachse des Kreuzes. | |
| An den Enden der zweiten langen Querachse sitzen der Evangelikale Hartmut | |
| Steeb und das strahlende Verkündungsengelchen Hera Lind. Am aufragenden | |
| Ende der dritten schrägen Querachse sitzt der Bundestagsabgeordnete Jens | |
| Spahn. Er ist so alles andere als orthodox, dass er genau aus diesem Grund | |
| an dieser Stelle sitzen muss. | |
| Denn durch ihn hindurch erfolgt heilsgeschichtlich in der Figur des | |
| orthodoxen Kreuzes die Himmelfahrt. Am anderen schräg nach unten führenden | |
| Ende schmoren wir – das verwirrte Publikum – in der Hölle. | |
| ## „Droht die 'moralische Umerziehung'?“ | |
| Die Sitzordnung bildet die konfuse Dramaturgie der Sendung so perfekt nach, | |
| dass von Zufall keine Rede sein kann. „Homosexualität auf dem Lehrplan: | |
| Droht die 'moralische Umerziehung'?“ Die Gänsefüßchen, die die „moralisc… | |
| Umerziehung“ zieren, [2][verdanken wir Stefan Niggemeier.] Erst nach seinem | |
| Aufschrei entschloss sich die ARD in letzter Sekunde zu der diskreten | |
| Distanznahme. Im Titel wird alles zusammen gerührt, was keine gute Suppe | |
| gibt. | |
| Es fängt an mit der Phantasmagorie der Homosexualität, von der wir doch | |
| wissen, dass es sie nicht gibt, es sei denn als fixe Schreckensidee. Als | |
| unverkörperte Abstraktion namenlosen Schreckens kickt die | |
| Maischberger-Redaktion diese Figur nun auf den Lehrplan. Aha, raunt es da | |
| aus unserer Hölle. Das kann man also lehren? Um Himmels Willen! Was für ein | |
| Stoff ist das denn? Vor welche Prüfungen stellt er uns? Gibt es dafür Kopf- | |
| oder Leistungsnoten? | |
| Den Sog ins Ungewisse verstärkt der Untertitel. Ohne jede Distanz spricht | |
| er aus, was Tango ist: Was droht uns da? Was sollen wir, ach was, was | |
| sollen die armen Kinder künftig gut heißen, was wir doch alle schlecht | |
| finden? Das gesunde Volksempfinden bäumt sich historisch gehorsam dagegen | |
| auf (die schräge Achse aus der Hölle in den Himmel). | |
| Die Schulen, dieses verlorene Paradies in Serie gebrochener | |
| Aufstiegsversprechen, verwandeln sich durch diese Drohung in Straflager, | |
| die Lehrer in Politkommissare, die Kinder in Azubi-Perverse im Wartestand. | |
| So ist der Widerstand gegen das nur gut Gemeinte programmiert, stellt einen | |
| Kraftschluss her in die so fern liegende letzte Nachkriegszeit, wie sie die | |
| Reeducation-Versuche der Alliierten kommunikativ beschwieg. | |
| ## Putins Propagandaabteilung | |
| Die ARD erweckt den Eindruck, als hätte sie alleine für das Aushecken | |
| dieses Titels pietistische Redakteure zu einem Crash-Kurs in Putins | |
| Propagandaabteilung gejagt. Sie haben alle Zutaten übernommen, die wir aus | |
| Russland kennen: die Angst um die Kinder, das Phantasma der Propaganda, die | |
| Idee der Verführung unter der überwölbenden Idee elterlicher Sorge. | |
| In der Rhetorik kennen wir diese Anordnung als Chiasmus, als | |
| Überkreuzstellung, als sprachliche Figur, die das in ihr verborgene Rätsel | |
| durch die Anordnung der Worte offenbart. Durch den Titel macht sich die | |
| Maischberger-Redaktion die Idee eines Kulturkampfes zu eigen. | |
| Was hat Maischberger aus diesen Zutaten gemacht? Darauf gibt es eine kurze | |
| Antwort: Sie hat es einigermaßen verstanden, sich selbst aus der | |
| Schusslinie zu nehmen. Die lange Antwort ist unerfreulicher. | |
| Es fängt mit den Einspielern an, O-Töne aufgebrachter Demonstranten aus | |
| Stuttgart, und das unsägliche Füllmaterial von Straßenumfragen. Sie | |
| verwandeln Stimmen aus dem Volk in einen Resonanzkörper, aus dem | |
| heraussummt, wie in ihn hineingebrummt wird. | |
| ## Ist der Hetero mehr wert als der Homo? | |
| Maischberger fasst zusammen: Eltern laufen Sturm. Ist das Hysterie oder | |
| berechtigte Sorge? Steeb weicht der Frage erst aus, paraphrasiert, was die | |
| kommende Generation lernen solle. Sexuelle Vielfalt bekomme Übergewicht, es | |
| fehle die Idee der Familie und wie man mit Behinderten umgehen könne. | |
| Toleranz findet er gut, Akzeptanz nicht. | |
| Jens Spahn wendet ein, dass Worte weh tun können. Er ist das Nadelör zur | |
| Himmelfahrt, jetzt aber ganz auf der Erde. Es sei Unsinn, dass jemand in | |
| der Schule schwul gemacht werde. Maischberger fragt nach: Woher kommt die | |
| Aufregung? Birgit Kelle greift Steebs Übergewicht auf. Über Kreuz spielen | |
| sie sich die Bälle zu. Schon der bisherige Sexualkundeunterricht sei | |
| fragwürdig. Das Akzeptanzziel im Entwurf der grünroten Richtlinien gehe zu | |
| weit. Sie will ihren Standpunkt nicht ändern, will nicht gut finden, was | |
| sie nicht gut findet. | |
| Hera Lind strahlt mit sich selbst um die Wette. Sie habe ihre Kinder so | |
| erzogen, dass sie allem wertneutral gegenüber stehen. Wir möchten uns nicht | |
| vorstellen, was das heißt. Spahn spurtet an Maischberger vorbei und fragt | |
| den Evangelikalen neben ihm: Ist der Hetero mehr wert als der Homo? Steeb | |
| bleibt die Antwort schuldig. Spahn soll darüber Auskunft geben, ob man aus | |
| ihm einen Hetero hätte machen können. Natürlich nicht, er konzediert als | |
| guter Konservativer aber auch, dass es leichter nur scheine, sich | |
| anzupassen. | |
| ## Grünrote Ideologen | |
| Das dient als Steilvorlage für die Transe Olivia Jones. Sie liebt es zu | |
| polarisieren. Sie ergreift Partei. Viele Jugendliche seien nicht so stark, | |
| wie sie sein müssten, wenn sie entdecken, dass sie schwul sind. | |
| Das Überkreuzfunken kommt zum Kern der Debatte: Wo endet das | |
| Erziehungsrecht der Eltern? Was ist der Bildungsauftrag des Staats? Frau | |
| Kelle munitioniert sich aus Papieren der GEW und zitiert eine | |
| Übungsaufgabe: „Kannst Du Dir vorstellen, durch Elektroschocks von deiner | |
| Heterosexualität geheilt zu werden?“ Sie merkt nicht, in welches Abseits | |
| sie sich begibt, welche Chance darin läge, durch anteilnehmende Beobachtung | |
| einen persönlichen Konflikt anderer Mitschüler besser verstehen zu können. | |
| Natürlich ist die Frage bescheuert. Aber sie bezieht sich auf eine Praxis. | |
| Ihr Eifer verleitet Jens Spahn zu einem parteipolitischen Manöver. Er warnt | |
| vor grünroten Ideologen. Sie schießen weit über vernünftige Ziele hinaus, | |
| drohten das bereits Erreichte an gesellschaftlicher Liberalität wieder | |
| kaputt zu machen, er kritisiert den Übereifer auf beiden Seiten. | |
| Vernünftig klingende Vorhalte der Moderatorin aus dem Original des | |
| baden-württembergischen Richtlinienentwurfs verhallen ungehört. Gibt es die | |
| Kraft des guten Vorbilds bei der individuellen Herausbildung der sexuellen | |
| Identität? Spahn spielt jetzt selbst über Kreuz, wendet sich an Steeb und | |
| konfrontiert ihn mit der Aussage, er sei froh darüber, dass keines seiner | |
| zehn Kinder schwul oder lesbisch sei. Was stecke da für eine Wertaussage | |
| drin? | |
| Er unterlässt die Nachfrage, woher Steeb die Gewissheit nehme. Was für eine | |
| selbstgerechte Haltung spricht aus dieser Aussage? Was für eine verheerende | |
| Botschaft an jedes Kind, das sein Anderssein durch so einen Vater in ein | |
| Unglück verwandelt sieht? | |
| ## Taliban-Sound | |
| Das Überkreuzspielen bringt Birgit Kelle auf die Palme. Sie ereifert sich | |
| darüber, aus den von ihr inkriminierten Papieren erfahren zu haben, wie | |
| lesbische Frauen mit einander Sex haben. Dass sie lecken. Dass sie das | |
| nicht wissen wolle, dass das kein Unterrichtsstoff für Viertklässler sei, | |
| dass der Staat mit solchen Bildungsangeboten in Kompetenzbereiche der | |
| Eltern eingreife. Das ist Tailban-Sound, gegen den die Bundeswehr | |
| vorgeblich am Hindukusch stationiert wurde. | |
| Olivia bringt die Pietkongdame auf den Boden der Tatsachen zurück. Ob ihr | |
| bekannt sei, welche Kosenamen schon in den Vorschulen durch die Luft | |
| schwirren, was man als Kind oder Heranwachsender von den Bushidos so zu | |
| hören bekomme. | |
| Das Kreuz-Zickzack beschleunigt sich. Übergehen wir den kosmetischen | |
| Einspieler mit Straßenumfrage zu Bildern sich küssender Paare. Steeb geht | |
| aus der Reserve. Koppelt den Sexualtrieb zurück an den Zeugungsauftrag, | |
| verlangt danach, den Jungen (er redet nur von den Jungen) Mut zu machen, | |
| Kinder zu zeugen, garniert das sozialpolitisch als nachhaltig. | |
| Regenbogenfamilien findet er nicht natürlich. | |
| Zum Abschluss der Sendung zitiert Frau Maischberger Hörer- und | |
| Zuschauerstimmen an den Deutschlandfunk und die ARD. Die Stimmen des Volkes | |
| werden weder durch die Auswahl noch durch den Tonfall repräsentativ. Sie | |
| erfüllen allein die Funktion, sich selbst als Moderatorin der Kritik an dem | |
| von ihr verursachten Desaster zu entziehen. Sie hat Brandbeschleuniger in | |
| einen aufflammenden Kulturkampf gekippt und schleicht versengt vom Feld. | |
| ## Frankreich und Deutschland | |
| Es ist abwegig, die Kritik an der Sendung auf die Auswahl der Studiogäste | |
| zu beschränken. Die Maischberger-Redaktion hätte auch stumme Vogelscheuchen | |
| casten können. Homophobie kommt nicht dadurch zum Ausdruck, dass dafür | |
| eingeladene Akteure mehr oder weniger geschickt entsprechende Haltungen | |
| formulieren. Homophobie kommt dadurch zum Ausdruck, dass kaum mehr latente | |
| Ängste durch PR-Interessen eines zweifelhaften Sendeformats als Verstärker | |
| für die öffentliche Wahrnehmung kanalisiert werden. | |
| In der Debatte, die mit den Massendemonstrationen in Paris und dem | |
| russischen Antipropagandagesetz begann, gelangt etwas Anderes in den Blick: | |
| die Reversibilität des erreichten Fortschritts. Das sprach Jens Spahn an, | |
| als er die baden-württembergischen Richtlinien kritisierte. Sie gefährdeten | |
| den erreichten status quo gesellschaftlicher Liberalität. | |
| Unter dem Absingen der Marseillaise auf den Straßen von Paris gegen | |
| Freiheit, gegen Gleichheit und gegen Brüderlichkeit zu demonstrieren, | |
| bezeugt Angst vor der Gleichheit, bezeugt den Hass auf diejenigen, die sich | |
| die Freiheit nehmen, nicht gleich zu sein. In der gelebten Autonomie der | |
| Schwulen, der Lesben, der Transen wird die Provokation wieder spürbar, mit | |
| der sich die Mehrheitsgesellschaft konfrontiert sieht. Der Staat hat in | |
| Frankreich, dem Land des Code Napoléon, die Gleichheit vor dem Gesetz in | |
| letzter Instanz durchgesetzt. | |
| ## Schutzversprechen des Staates | |
| In Deutschland haben vormoderne Traditionen bis heute auch den vorletzten | |
| Kulturkampf überlebt. Es gehört zu den damit verbundenen Paradoxien, dass | |
| eine in Folge von Fukushima und der Erhebung sogenannter Wutbürger ins Amt | |
| gewählte Regierung durch Wutbürger des konkurrierenden politischen Lagers | |
| wieder weggefegt werden könnte. | |
| Das erledigt nicht das Schutzversprechen des Staats und seine Rolle als | |
| Garant gesellschaftspolitischer Neutralität. Gerade deshalb plädieren | |
| Reformpädagogen für früh beginnende Vorschulen, um soziale und kulturelle | |
| Nachteile schulisch ausgleichen zu können. Da ist der Staat in der Pflicht. | |
| Der neue Kulturkampf ist nicht so leicht zu lösen. Schon gar nicht mit dem | |
| Kreuz. Aber auch nicht mit dem Ankreuzen eines Wahlzettels. | |
| 12 Feb 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.daserste.de/unterhaltung/talk/menschen-bei-maischberger/sendung/… | |
| [2] http://www.stefan-niggemeier.de/blog/maischberger-sorgt-sich-um-traditionel… | |
| ## AUTOREN | |
| Hans Hütt | |
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