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# taz.de -- Carolin Emcke über Homophobie: „Wieso bin ich nicht heterosexuel…
> Eltern sollten sich für ihre Kinder nur wünschen, dass sie glücklich
> werden, sagt die Journalistin Carolin Emcke. Ein Gespräch über sexuelle
> Identität und Menschenrechte.
Bild: „Wir leiden nicht an unserer Homosexualiät, sondern an der Homophobie …
taz: Frau Emcke, der Fußballer Thomas Hitzlsperger hat im Gespräch mit
Ihnen und einem Kollegen in der Zeit sein Schwulsein öffentlich gemacht und
bekam dafür viele Sympathiebekundungen. Fast zeitgleich wurde bekannt, dass
in Baden-Württemberg eine Unterschriftenliste gegen Sexualaufklärung in
Schulen kursiert. Wie erklären Sie sich diese Gleichzeitigkeit von
Unverträglichem?
Carolin Emcke: Die Diskussion über die Petition hat es im Netz schon vor
unserem Gespräch mit Thomas Hitzlsperger gegeben.
Aber sie drückt offenbar Ängste aus. Was thematisiert diese Petition
wirklich?
Gute Frage. Grundsätzlich scheint es um die Angst vor der Instabilität der
eigenen Identität zu gehen. Das artikuliert sich seit einer Weile schon
gegenüber dem Islam. Also, die Angst, die Sichtbarkeit eines anderen
Glaubens könne den eigenen Glauben verunsichern. Und hier artikuliert es
sich anscheinend gegenüber Homosexualität. Die Angst, das Sprechen über
eine andere Art zu lieben, könne die eigene Sexualität unterwandern.
Anscheinend sind Eltern bei ihrem Glauben zuversichtlicher, dass sie den an
ihre Kindern weiterreichen können. Bei Sexualität aber spüren sie, dass sie
nicht beeinflussen können, wie ihre Kinder begehren werden.
Und was würden Sie solchen Eltern in Baden-Württemberg sagen?
Alles, was ich als Eltern mir wünsche für mein Kind, ist doch, dass es
glücklich werden darf, dass ihm nichts zustößt, dass niemand ihm Schaden
zufügt. Wenn ich nun ein Kind habe, das fünf oder sieben oder zehn Jahre
alt ist, dann kann ich nicht wissen, ob es durch eine Infektion womöglich
gehörlos wird oder ob es in der Pubertät entdeckt, dass es schwul oder
lesbisch liebt oder ob es vielleicht später keine Arbeit findet. Wenn ich
all das als Eltern nicht garantieren kann, wenn ich nicht weiß, was oder
wer mein Kind eines Tages sein wird, dann würde ich unbedingt eine
Gesellschaft mitgestalten wollen, in der mein Kind respektiert und
beschützt ist, ganz gleich, ob es jüdisch, lesbisch, gehörlos oder
Bayern-München-Fan ist.
Gleichwohl entzündet sich an Ansprüchen von Nichtheterosexuellen, auch im
Schulunterricht nicht exotisiert zu werden, besondere Aggression.
Ja. Ich plädiere allerdings nicht für Gegenaggression. Ich wehre mich,
durch die Verachtung, die uns entgegengebracht wird, selbst hasserfüllt zu
werden. Es macht einen krank.
Trotzdem fällt auf, dass gerade Schwules und Lesbisches bei vielen Eltern
beinahe panische Gefühle auslöst – ganz anders, als der Jubel über Thomas
Hitzlsperger Coming-out vermuten lässt.
Man muss mal aussprechen, was da implizit unterstellt wird: das Phantasma,
Homosexualität sei ansteckend. Alle, die dafür plädieren, dass Homosexuelle
doch bitte nur „im Privaten“ ihre Liebe leben sollen, dass Homosexualität
doch bitte nicht sichtbar oder hörbar sein solle und vor allem, dass Kinder
keine homosexuelle Eltern haben sollten, sie alle scheinen zu fürchten,
dass es ansteckend sein könnte.
Homosexuelle als Ansteckende: Damit wird Schwulen und Lesben ja eine
ziemlich starke Verführungsqualität unterstellt.
Das Lustige an dieser Logik ist doch: Wenn die bloße Anschauung von
Sexualität so wirkungsmächtig wäre – dann frag ich mich, wieso ich nicht
heterosexuell geworden bin. Denn das war definitiv die Art des Liebens und
Begehrens, die sichtbar und hörbar, in Büchern und Filmen und in allen
Konventionen als Norm vorgeführt wurde. Hat als Ansteckung jedenfalls nicht
funktioniert.
Die Vorstellung, dass Homosexualität ansteckt, ist ja nicht neu.
Das Motiv, dass „das Andere“ quasi epidemische Qualitäten hat, dass es den
„Volkskörper“ bedroht, ist leider wirklich alt. Die Nationalsozialisten
haben Juden das Baden in öffentlichen Schwimmbädern verboten. Und mir
scheint, auch bei der Aversion gegen das Kopftuch, das muslimische Frauen
tragen, kommt oft diese Ansteckungsphobie hoch.
Würde mehr Bildung, mehr Aufklärung helfen, solche gräulichen Fantasien zu
entkräften?
Gewiss, unter denen, die die Petition unterschrieben haben, sind dogmatisch
Religiöse und menschenverachtende Ideologen. Die ändert auch mehr
Aufklärung nicht. Aber ich vermute, die breite Mehrheit sind eher
ahnungslos wohlmeinende Eltern. Dieser Mitte sollten wir mehr Informationen
geben.
… ja, was genau?
Nun, zunächst, dass sie lieben und glauben und trauern und hoffen dürfen,
wie sie es möchten. Dass es keine Hierarchie des Begehrens gibt. Und
vielleicht sollten sie einmal verstehen: Wir leiden nicht an unserer
Homosexualität, sondern an der Homophobie um uns herum. Wir sind glücklich
miteinander. Aber es ist leidvoll, das immer wieder gegen Zuschreibungen
und Missachtungen erläutern und verteidigen zu müssen. Dadurch wird die
eigene Sexualität nämlich viel mehr zu einem Thema, als man das selbst
gewünscht hätte. Nicht wir wollen dauernd über Sex reden, sondern es wird
uns dauernd nahegelegt – weil wir nur darüber definiert werden.
Nun gibt es aber, womöglich ein Segen für jene, die nun ihr Coming-out
durchleben, einen Thomas Hitzlsperger.
Ja. Thomas Hitzlsperger hat wirklich ein schönes Zeichen von
Selbstbewusstsein gesetzt. Außerdem bricht mit seinem Coming-out das
leidige Klischee von „unmännlichen Homosexuellen“ etwas auf.
Obendrein gibt es wahnsinnig viele heterosexuelle Männer, die schlapp und
weich wirken, nicht wahr?
Alles Nonsense natürlich. Das sind eben stereotype Zuschreibungen, die der
Vielfalt innerhalb der sozialen Gruppen und Identitäten nicht gerecht
werden.
Ihr Buch „Wie wir begehren“ ist eine sehr nachfühlbare Geschichte über Ihr
eigenes Coming of Age und das Entdecken ihres Begehrens. Welche Erfahrung
haben Sie bei Lesungen gemacht?
Das Schönste an den Reaktionen auf das Buch waren die Leserbriefe. Da haben
junge und alte Männer und Frauen geschrieben, übrigens gar nicht nur
Homosexuelle. Menschen haben begonnen, die Denkbewegung des Buchs für sich
selbst durchzuspielen. Sie haben sich die Frage gestellt, wie sie ihre
Schulzeit erlebt haben, in den 40er Jahren, den 50er, den 60er Jahren. Und
was sie in der Schule oder in der Gesellschaft ihrer Zeit für Bilder von
Männlichkeit und Weiblichkeit, von Intimität, von Scham, von Sexualität
vermittelt bekommen haben. Und wie diese Bilder ihr Leben beeinflusst
haben.
Haben Sie vom queer acting durch Schwule und Lesben schon profitieren
können?
Ja. Ich habe enorm von all denen profitiert, die vor mir meine Rechte
erstritten haben. Ich gehöre schon zu einer Generation, die es sich leisten
konnte zu sagen, für mich spielt meine Homosexualität keine alles
dominierende Rolle. Zumindest, wenn ich in Berlin bin. Trotzdem bleiben
immer noch Reste von Ressentiments und Diskriminierung, die es zu
kritisieren und zu ändern gilt, es gibt immer noch Milieus, die
Homosexualität ablehnen. Die Gleichstellung war doch eines der ersten
Themen, die in den Koalitionsverhandlungen untern Tisch gefallen sind.
Es gibt schon Passagen im Koalitionsvertrag.
Niedlich … Die Ehe für alle und das Adoptionsrecht für homosexuelle Eltern
sind jedenfalls einkassiert. Da lässt sich die Politik vom
Verfassungsgericht treiben.
Weltweit scheint die Situation eher düsterer werdend.
Ja, wir reden zurzeit vornehmlich von Russland. Aber es gibt eine ganze
Reihe von Ländern, in denen Homosexuelle bedroht oder angegriffen werden:
Kamerun, Nigeria, Malaysia … die Liste ist trostlos lang.
Sind Sie nicht gelegentlich erschöpft, ewig die gleichen Mühen der
Aufklärung zu lancieren, Respekt und grundsätzliche Wertschätzungen zu
fordern?
Ja. Manchmal frage ich mich, warum reicht es nicht, einmal die
Menschenrechte zu formulieren: „Alle Menschen sind gleich. Die Würde des
Menschen ist unantastbar.“ Stattdessen müssen wir dann über Jahrhunderte
erklären, wer alles als Mensch zählt.
28 Jan 2014
## AUTOREN
Jan Feddersen
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