| # taz.de -- Anleitung Reden über schwule Fußballer: Der Yeti auf dem Platz | |
| > Nun wissen wir nicht nur, sondern können auch beweisen: Es gibt schwule | |
| > Profi-Fußballer. Aber wie reden wir am besten über sie? Das taz-Abc | |
| > hilft. | |
| Bild: Auch Lesben und Schwule schwitzen beim Sport. Aber ruhig Blut – sie dus… | |
| Analsex ist keine rein schwule Sexualpraktik, auch alle anderen können das | |
| machen. Und nicht alle Schwulen haben Analsex. Trotzdem ist Analsex für | |
| viele Teil der Assoziationskette „schwul = schmutzig“, weil fäkal. Deswegen | |
| schwurbelte Hitzlsperger bei seinem Coming-out so rum. | |
| Bekenntnis Man bekennt sich zu einem Glauben, einer Schuld, einem | |
| Fehlverhalten oder einem kriselnden Fußballklub. Homosexualität ist nichts | |
| davon. Es ist also falsch, von einem „bekennenden Schwulen“ zu reden. Aber | |
| immer noch besser als „Geständnis“. | |
| Combo, schwule Als „Schwulencombo“ verspottete Ballack-Berater Michael | |
| Becker das DFB-Team nach der WM 2010, vor allem weil sein Schützling nicht | |
| mitdurfte. Auch so funktioniert Homophobie im Profifußball: Als schwul gilt | |
| jeder, der – wie Bundestrainer Joachim Löw – nicht auftrumpft oder große | |
| Töne spuckt. | |
| Duschen, getrennte forderten praktisch veranlagte Heterosexuelle in | |
| Onlineforen. Wahr ist: Auch Lesben und Schwule schwitzen beim Sport. Unwahr | |
| ist, dass sie besondere Duschen benötigen. Homosexuelle Menschen duschen | |
| nicht anders als heterosexuelle. | |
| Ecke, schwule Ecken können nicht schwul sein, und wenn, dann wären sie | |
| lesbisch. Trotzdem tauchen sie auch in der taz auf, um Orte zu bezeichnen, | |
| an denen Homosexualität existiert. Ein Grund, sich in die Ecke zu stellen | |
| und sich zu schämen. | |
| Fake-Spielerfrauen begleiten gerüchteweise schwule Fußballprofis bei | |
| offiziellen Anlässen, um jeden Zweifel an deren Heterosexualität zu | |
| zerstreuen. Bisher hat sich noch keine geoutet. Allein die Gerüchte zeigen | |
| schon Geschlechterklischees des Profifußballs: Frauen gelten als | |
| schmückendes Anhängsel und sind auch als mietbare Lebenspartnerinnen | |
| denkbar. | |
| Geständnis, auch Hitzlspergers „mutiges Geständnis“. Man kann aber nur | |
| gestehen, was man zuvor verschuldet hat. | |
| Heterosexualität eignet sich als Gegencheck, wenn man nicht weiß, ob man | |
| gerade seltsame Formulierungen benutzt. Ein Beispiel: „Hitzlsperger | |
| gesteht: Ich bin schwul.“ Aha. Dagegen: „Matthäus gesteht: Ich bin | |
| heterosexuell.“ Überflüssig, oder nicht? | |
| Ikone (eigentlich: Heiligenbild) „einer Schwulenbewegung im Sport“ will | |
| Hitzlsperger laut faz.net nicht werden. Auch verwahrt er sich davor, „von | |
| gewerblichen Vorurteilsjägern instrumentalisiert“ zu werden. Wen er genau | |
| meint, bleibt offen. Hitzlsperger wäre nicht der erste Schwule, der | |
| fürchtet, mit seinem Coming-out in eine vermeintlich monolithische | |
| Homo-Szene eingemeindet zu werden: inklusive Abba-Zwang und Demo-Pflicht am | |
| CSD. Zu seiner Beruhigung: Auch nach seiner Erklärung kann er tun und | |
| lassen, was er will – ein Homo-Maskottchen ist er sowieso. | |
| Jones, Steffi war letzte Woche die kleine Agenturmeldung neben dem | |
| Aufmacher über Hitzlspergers Coming-out. Die Nationalspielerin verpartnerte | |
| sich mit ihrer Freundin. Und zeigte so, dass in Sachen | |
| Homo-Fußball-Entspanntheit die Damen den Herren voraus sind. | |
| Kenntnis, keine hatte Oliver Bierhoff von der Homosexualität Hitzlspergers. | |
| Der Manager der Fußballnationalmannschaft betonte in seiner Erklärung, dass | |
| sich Hitzlsperger „erst nach seinem Karriereende“ gemeldet habe. War | |
| vielleicht besser so: Als 2011 Homosexualität und Fußball im „Tatort“ | |
| thematisiert wurden und ein Schauspieler über Schwule in der Nationalelf | |
| mutmaßte, echauffierte sich Bierhoff via Bild-Zeitung: „Das sehe ich immer | |
| auch als einen Angriff auf meine Familie – die Familie der Nationalelf. Und | |
| das ärgert mich.“ | |
| Lesben gibt es übrigens auch. Gerade Journalisten vergessen das immer | |
| wieder gern und schreiben über „Schwulenehe“ (statt eingetragene | |
| Partnerschaft) oder „Schwulenparade“ (statt Christopher Street Day). | |
| Andererseits sind Lesben gerade im Fußball präsenter als Schwule. Bei einem | |
| Empfang wunderte sich der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger, als ihm | |
| eine Nationalspielerin ihren Ehemann vorstellte: „Ach so? Ich dachte immer, | |
| Sie haben eine Frau!“ | |
| Mittelalter muss immer als Negativbeispiel der Schwulenverfolgung | |
| herhalten. Der Vergleich impliziert, dass die Akzeptanz von sexuellen | |
| Minderheiten eine fast natürliche Entwicklung ist, der sich kein Land | |
| entziehen kann. Aber so einfach ist Geschichte nicht. Die systematische | |
| Verfolgung von Homosexuellen, vor allem von Schwulen, begann in vielen | |
| Staaten erst mit der Moderne – im Gefolge von Rassismus und Eugenik. | |
| Normal soll mit Homosexualität umgegangen werden, fordern alle. Aber so | |
| funktionieren Medien nicht: Je unnormaler etwas ist, je sensationeller man | |
| darüber berichten kann, desto quotenträchtiger ist es. Rein statistisch ist | |
| Homosexualität tatsächlich nicht normal: Rund 90 Prozent der Menschen sind | |
| heterosexuell. Das ist die Norm. Aber der Umgang mit Lesben und Schwulen | |
| könnte manchmal etwas normaler sein. | |
| Outing, engl. „Landpartie“, also ein Ausflug ins Grüne; bezeichnet auch den | |
| Vorgang, wenn die sexuelle Orientierung eines Menschen ohne sein Zutun an | |
| die Öffentlichkeit gelangt. Meist gegen seinen Willen – deswegen ist | |
| „Outing“ etwas anderes als „Coming-out“ (der Prozess, sich seiner | |
| Sexualität bewusst zu werden und die selbstbestimmte Bekanntmachung davon). | |
| Bekanntestes Beispiel für ein Outing: Rosa von Praunheim outet in den 90ern | |
| Alfred Biolek und Hape Kerkeling als schwul. | |
| Privatleben sei nicht Objekt der Berichterstattung, ließ das | |
| Fußball-Fachmagazin Kicker verlauten – und verweigerte die Thematisierung | |
| von Thomas Hitzlspergers Coming-out. Hitzlsperger selbst kommentierte cool | |
| im Interview mit faz.net: „Die Augen zu verschließen ist ein Statement.“ | |
| Queer ist hier keiner. Auch Hitzlsperger zeigt mit seinem Coming-out, dass | |
| ein „echter Mann“ auf Männer stehen kann – und hinterfragt an dieser Ste… | |
| nicht die Konstruktion von Männlichkeit oder von Geschlechtern allgemein. | |
| Rassismus ist im Fußball ebenso ein Problem wie Homophobie. 2007 | |
| verhandelte das Sportgericht, weil der Dortmunder Torwart Roman | |
| Weidenfeller den schwarzen Schalke-Spieler Gerald Asamoah als „schwarze | |
| Sau“ beschimpft hatte. Zur Strafe sollte er für sechs Spiele gesperrt | |
| werden. Weidenfeller sagte, er habe „schwule Sau“ gesagt – und wurde nur | |
| für drei Partien gesperrt. | |
| Schwul war ein Schimpfwort, bis die Schwulenbewegung der 70er es positiv | |
| belegte. Das ist nur teilweise geglückt, auf dem Schulhof und im | |
| Fußballstadion gilt es immer noch als Schimpfwort und gleichbedeutend mit | |
| „schwach“ (eher: scheiße). Deshalb meidet es Thomas Hitzlsperger auch im | |
| Interview. Schade eigentlich. Wer den Beinamen „The Hammer“ trägt, muss | |
| keine Angst haben, als schwach zu gelten. Er hätte einfach sagen können: | |
| „Ich bin schwul.“ | |
| Tackling ist Kampf um den Ball bei vollem Körpereinsatz. Lange dachte man, | |
| dass ein schwuler Profi-Fußballer unter den Tretern und Blutgrätschern zu | |
| finden sein müsste: den Gegner wegsäbeln, um nicht als verweichlicht zu | |
| gelten. Nach Hitzlsperger suchen wir nun das nächste intellektuelle | |
| Bärchen. | |
| Unnatürlich ist Homosexualität für manche immer noch. Eine Petition, die | |
| fordert, in Baden-Württemberg sexuelle Vielfalt nicht im Schulunterricht zu | |
| thematisieren, hat schon über 100.000 digitale Unterschriften. In den | |
| Kommentaren fürchten Unterzeichner, Kinder würden zu Homosexuellen erzogen. | |
| Wenn es so einfach wäre, würden Schulen nur noch Weltfrieden und Nobelpreis | |
| lehren. | |
| Verweichlicht zu sein, ist die große Angst vieler Männer – übrigens nicht | |
| nur heterosexueller. Viele Schwule tragen Bart, mühen sich um männliches | |
| Auftreten, trainieren eine tiefe Stimme an und schreiben „Keine Tunten und | |
| Spinner“ in ihre Grindr- oder Gayromeo-Profile. Sie verpassen etwas. | |
| Wowereit war 2001 für die Politik das, was Hitzlsperger für den Fußball | |
| sein könnte. Lieferte aber auch ein gutes Feindbild für Homo-Hasser, die | |
| ihm regelmäßig Drohbriefe schicken. | |
| X-Chromosom Frauen haben zwei, Männer eines, rein biologistisch gesehen | |
| jedenfalls. Aber wer lässt sich schon von einem Fetzen Protein reinreden, | |
| welche Geschlechterklischees er darstellen möchte? | |
| Yeti War in etwa das Gleiche wie der schwule Fußballer: Manche wollten ihn | |
| in der Ferne schemenhaft erspäht haben oder kannten jemanden, der jemanden | |
| kannte, der jemanden kannte, der ihn ganz sicher im Himalaja oder auf | |
| Gayromeo getroffen hatte. Dank Hitzlsperger wissen wir: Es gibt ihn | |
| wirklich. | |
| Zusammenleben mit einem Mann möchte Thomas Hitzlsperger gern. Aber | |
| natürlich leben Schwule nicht nur zusammen. Manche lieben sich, manche | |
| haben Sex. Aber über Sex reden ist schwierig, weil diese Assoziationskette | |
| bei „schmutzig“ enden könnte. Siehe „Analsex“. | |
| 15 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Göbel | |
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