# taz.de -- Homophobie im Sport: Rugby unterm Regenbogen | |
> Die Männer der Berlin Bruisers lieben Dreck, Schweiß und Tacklings – und | |
> kämpfen als erstes schwules Rugbyteam Deutschlands gegen Homophobie und | |
> Vorurteile. | |
Bild: Wider das Männer-Klischee: Die Berlin Bruisers im Tiergarten nach dem Tr… | |
In der Pause haben die Spieler Zeit zum Rumblödeln. Am Nordrand des | |
Tempelhofer Felds stehen mehr als 20 Männer, kalter Wind pfeift über das | |
Feld und lässt ihren Atem und den Schweiß als Wolken aufsteigen. Einer der | |
Spieler trägt ein Kapuzenshirt über seinen Muskelbergen, nun verwandelt er | |
sich in einen Balletttänzer: „Look at this, guys!“, ruft er. Er schwingt | |
sich auf die Zehenspitzen, der Schuh mit den Stollen gräbt sich ins Gras. | |
Das andere Bein streckt er in die Höhe, so dass sein Knie fast die Schulter | |
berührt. Die kräftigen Arme formen ein U, Mittelfinger und Daumen presst er | |
fest aneinander, die übrigen Finger spreizt er ab wie eine Dame beim | |
Teetrinken: „Is this gay?“ Die Teamkollegen der Berlin Bruisers prusten | |
los, das Spiel mit den Vorurteilen bringt sie zum Lachen. Die erste | |
homosexuelle Rugbymannschaft Deutschlands bricht mit den Klischees von | |
soften Schwulen – und von stumpfen Rugbymachos | |
Seit fast zwei Jahren trainieren, schwitzen und albern die Bruisers – zu | |
Deutsch etwa die Raufbolde – zusammen. Sie wohnen in Berlin, kommen aber | |
aus Spanien, Schottland, Frankreich und den USA. 50 Männer zwischen Anfang | |
20 und Ende 50 sind es, aus 15 Ländern kommen sie, im Training werden | |
Kommandos in Englisch gerufen. Für die Spieler ist das Team mehr als Sport: | |
„Viele kommen zu uns, weil sie fremd sind in der großen Stadt Berlin. Sie | |
suchen Freunde“, sagt Visa Noronen. Er selbst kam vor einigen Jahren für | |
seinen damaligen Freund aus Finnland nach Berlin. Vorher hatte er noch nie | |
Rugby gespielt, hörte aber von Bekannten von dem Team und ist seitdem | |
dabei. | |
Die Idee, ein schwules Rugbyteam zu gründen, entstand wahrscheinlich in | |
einer Kneipe – so genau kann das heute keiner mehr sagen – und machte in | |
der Berliner Community schnell die Runde. Nach kurzer Zeit trafen sich ein | |
Dutzend Spieler, schnell wurden es mehr. „Fast jede Woche kommt ein neuer, | |
viele bleiben“, sagt der, den die großen Männer ehrfürchtig „Coach“, | |
Trainer, nennen. | |
## Zur Hochzeit eingeladen | |
Mike Felts ist US-Amerikaner – und einer von rund fünf Heteros bei den | |
Bruisers. An der Highschool hat er Rugbyspielen gelernt. In Berlin hatte er | |
nach einem Team fürs Training gesucht, die Bruisers brauchten einen | |
Trainer. Die Chemie stimmte sofort. Felts blieb und lud die Jungs später | |
sogar zu seiner Hochzeit ein. „Die Bruisers sind wie jedes andere Rugbyteam | |
auch“, sagt er. | |
Die Pause ist beendet, das Team strömt zurück auf das Feld, das neben dem | |
Tiergarten ihr Trainingsgelände ist. Noch spielen die Bruisers, vor denen | |
nur fünf schon mal das weiß-blaue Rugby-Ei in der Hand hatten, bevor sie im | |
Team anfingen, in keiner Liga – nur als Freizeitmannschaft. Hin und wieder | |
organisieren sie Turniere und Freundschaftsspiele gegen Clubs aus Berlin | |
und dem Umland. „Die anderen Teams merken schnell, dass wir den Sport | |
lieben und genauso spielen, wie alle“, sagt Visa Noronen. | |
Verwunderte Blicke und Nachfragen treffen die Bruisers trotzdem oft: Schwul | |
und Rugby, wie geht das zusammen? „Die Hetero-Rugbyspieler sind genau wie | |
wir“, sagt Teamkollege Erik Ewald, und lacht: „Auch die spielen hart, | |
feiern hart und ziehen sich gerne aus.“ Irgendwann, planen die Bruisers, | |
wollen sie sich einer Liga anschließen. | |
Vor der roten Backsteinwand, die den islamischen Friedhof umschließt, hat | |
Trainer Mike Felts kleine gelbe Kegel auf den feuchten Rasen gestellt. | |
Heute heißt die Übung Tackling: den Gegenspieler umrennen. | |
Rugby ist ein harter Sport. Zwei Teams à 15 Mann kämpfen um einen | |
eiförmigen Ball, vergleichbar mit American Football. Doch anders als beim | |
US-Ableger schützen keine Helme und Polster den Spieler. Rugby ist das, was | |
gemeinhin als männlicher Sport gilt. Wohl auch deshalb gehen schwule | |
Spieler selten an die Öffentlichkeit. Als der walisische Star Gareth Thomas | |
vor wenigen Jahren als weltweit erster seine Homosexualität öffentlich | |
machte, brandete Jubel auf, ähnlich wie kürzlich beim Fußballspieler Thomas | |
Hitzlsperger. | |
## Angst vor Reaktionen | |
Noronen ist froh, dass ein Fußballspieler diesen Schritt gewagt hat. Noch | |
glücklicher macht ihn die Reaktion der Menschen: „Dass die meisten so | |
freundlich reagiert haben, ist wunderbar. Ich hoffe, dass das viele | |
ermutigt, seinem Beispiel zu folgen.“ Schlimmer als Diskriminierung ist für | |
Noronen das, was er „Selbstdiskriminierung“ nennt: „Viele verstecken sich | |
vor sich selbst, weil sie Angst vor den Reaktionen haben. Wie bei | |
Hitzlsperger sind die aber oft entspannter als man vermutet.“ | |
Paarweise trainieren die Bruisers das Tacklen. Die Trikots spannen über den | |
Muskeln, Körper krachen aufeinander. Den Kopf gesenkt, die Knie | |
angewinkelt, vergraben sie die Schulter im Oberkörper des Gegenspielers. | |
Der stemmt sich dagegen, haut die Stollenschuhe in Schlamm und versucht, | |
den Angriff zurückzuwerfen. Einer von beiden muss nachgeben. Irgendwer | |
landet immer im Dreck. Wenn das passiert ist das Gelächter groß, klatschend | |
packen sich beide an den Händen. Ein Ruck, und der andere ist wieder auf | |
den Beinen. „Wir können schwul sein und trotzdem den Schlamm lieben“, sagt | |
Visa. „Wir sind auch Männer und müssen ab und zu rumtoben.“ | |
Coach Mike drischt den Ball in hohem Bogen über den Platz, sofort preschen | |
zwei Reihen Männer aufeinander zu: Das Trainingsspiel beginnt. Ziel ist es, | |
den Ball in die Endzone der Gegner zu tragen, erlaubt ist dabei fast alles. | |
Kraftvoll pumpt sich ein Angreifer durch die Abwehrreihe der Gegner, | |
schlägt Haken, durchbricht eine Mauer aus Körpern. Try – der Ball ist am | |
Ziel, die Angreifer punkten. | |
Dass das Experiment Bruisers ausgerechnet in Berlin gelingt, ist für Visa | |
Noronen kein Zufall: „Wir sind so eine bunte Truppe: Schwule und ein paar | |
Heteros aus allen Ländern der Welt, das passt einfach zu Berlin.“ Das Team | |
versteht sich als Botschafter gegen jede Form der Diskriminierung, | |
Homophobie oder Fremdenfeindlichkeit. In anderen Städten, glaubt er, wäre | |
das nicht ohne weiteres möglich. | |
Wie die Pinguine im Eiswind drängen sich die Bruisers zu einem Kreis: Das | |
Training ist vorbei. Grasbüschel kleben an den Trikots, rote Gesichter | |
pusten heiße Luft. Wie immer, bevor es nach Hause geht, fassen sich die | |
Spieler an den Schultern, feuern sich an und freuen sich auf das nächste | |
Mal. | |
5 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Ferdinand Otto | |
## TAGS | |
Homophobie | |
Homosexualität im Profisport | |
Rugby | |
Fußball | |
Homosexualität im Profisport | |
American Football | |
Sotschi 2014 | |
Sotschi | |
Thomas Hitzlsperger | |
Homosexualität im Profisport | |
Homophobie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Homophobie gegen Gareth Thomas: Übergriff auf schwule Rugby-Legende | |
Der Ex-Rugbyspieler Gareth Thomas wurde schwulenfeindlich attackiert. Die | |
Reaktionen zeigen aber: Die Unterstützer sind in der Überzahl. | |
Rugby beim Berliner Bash About: „Lächerlich viel Glück“ | |
In Berlin kommen 120 größtenteils homosexuelle Rugbyspieler_innen zusammen. | |
Sie kämpfen gegen die Benachteiligung von Homosexuellen. | |
Rugby-WM in England: Die pfeilschnellen Drachentöter | |
Bei der WM im eigenen Land will der ewige Zweite England den Spielstil des | |
großen Favoriten Neuseeland noch besser vortragen. | |
Hitzlsperger über Homosexualität im Sport: „Besser als vorher“ | |
Thomas Hitzlsperger spricht in Berlin über persönliche Erfahrungen nach | |
seinem Outing. Wichtig für ihn waren die Reaktionen abseits der | |
Öffentlichkeit. | |
Gareth Thomas über sein Coming-out: „Rugbyfans sind ehrlicher“ | |
Die Gesellschaft hat stereotype Vorstellungen von Sportlern, findet der | |
walisische Ex-Nationalspieler. Sein Outing habe sich positiv auf's eigene | |
Leben ausgewirkt. | |
US-Footballspieler outet sich: „Mein Team unterstützt mich“ | |
Michael Sam spielt bisher in der Uni-Liga in den USA Football. Er hat gute | |
Chancen, den Sprung in die Profiliga zu schaffen. Damit wäre er der erste | |
offen schwule Spieler. | |
Kommentar Ban Ki Moon in Sotschi: Zwei couragierte Sätze | |
Er hätte einfach nur den Gepflogenheiten entsprechend schöne Spiele | |
wünschen können. Doch Ban Ki Moon nutzte die Gelegenheit in Sotschi klare | |
Worte zu finden. | |
Proteste vor Sotschi: Helm auf, Klappe zu | |
Überall wird über Menschenrechtsverletzungen vor Olympia in Russland | |
gesprochen, nur die meisten Sportler schweigen beharrlich. Dürfen die das? | |
Carolin Emcke über Homophobie: „Wieso bin ich nicht heterosexuell?“ | |
Eltern sollten sich für ihre Kinder nur wünschen, dass sie glücklich | |
werden, sagt die Journalistin Carolin Emcke. Ein Gespräch über sexuelle | |
Identität und Menschenrechte. | |
Homosexualität im Frauenfußball: „Ich war doppelt unerwünscht“ | |
Ex-Bundesligaspielerin Tanja Walther-Ahrens engagiert sich seit Jahren | |
gegen Homophobie und Sexismus im Fußball. Genauso lange wartet sie schon | |
auf Besserung. | |
Diskriminierung im Frauenfußball: Schwule Mädchen | |
Homophobie ist im Frauenfußball kein Problem, dafür aber Sexismus. Die | |
Spielerinnen sind noch immer Eindringlinge in eine Männerdomäne. |