| # taz.de -- Proteste vor Sotschi: Helm auf, Klappe zu | |
| > Überall wird über Menschenrechtsverletzungen vor Olympia in Russland | |
| > gesprochen, nur die meisten Sportler schweigen beharrlich. Dürfen die | |
| > das? | |
| Bild: Maximilian Arndt in seinem Bob beim Weltcup-Rennen am Königssee. | |
| Im Tal von Sotschi ist die Stimmung gelöst. „Der erste Eindruck ist sehr | |
| gut. Die Leute sind sehr nett zu uns. Wir fühlen uns wohl“, sagte die | |
| Eisschnellläuferin Claudia Pechstein nach der Ankunft an der Küste des | |
| Schwarzen Meeres. Am Donnerstag sind 14 deutsche Sportler in Sotschi | |
| gelandet und beziehen jetzt ihre Quartiere im Olympischen Dorf. Die ersten | |
| Bilder wirken harmonisch. | |
| Und die Fernsehzuschauer in Deutschland sitzen auf dem Sofa und warten auf | |
| das erste Zeichen von einer Athleten oder einer Athletin, dass diese | |
| Harmonie in Frage stellt. | |
| Viel wurde in den vergangenen Wochen über Menschenrechtslage in Russland | |
| berichtet – über systematische Diskriminierung Homosexueller, auf die | |
| ausgebeuteten Arbeiter an den Sportstätten. Und viele äußerten Kritik: | |
| Politiker. Künstler. Schriftsteller. Nur die Sportler schweigen beharrlich. | |
| Warum? | |
| Ende Januar steht Maximilian Arndt im Zielbereich der Bob- und Rodelbahn am | |
| Königssee in den bayerischen Alpen und mag nicht über Putin reden. | |
| Schließlich ist er zum Arbeiten hier. Hinter ihm hat sich der mächtige | |
| Watzmann hat sich in den dunkelgrauen Wolken versteckt. | |
| ## Er will sich nicht aus der Bahn werfen lassen | |
| Das Training ist zu Ende. Gerade ist Arndt aus seinem Zweierbob gestiegen. | |
| Helm ab, Mütze auf, dann wird der Schlitten gewogen, auf Transportschienen | |
| gestellt und in einen kleinen Laster verfrachtet. Die Arbeit nach der | |
| Tempofahrt im Bob, Arndt verrichtet sie so, dass sie sportlich aussieht. | |
| Immer ein wenig tänzelnd, beinahe so, als sei er beim Aufräumen nach der | |
| Fahrt immer noch auf der Jagd nach einer Bestzeit. Auch im Gespräch nach | |
| dem Training muss alles ganz schnell gehen. Her mit den Fragen! Hier sind | |
| die Antworten. | |
| Arndt ist 26 Jahre alt und war 2013 Weltmeister in seiner Disziplin. Bei | |
| den Olympischen Spielen in Russland erwarten alle von ihm Gold. In dieser | |
| Saison hat er ein Weltcuprennen mit seinem Weltmeistervierer gewonnen. Er | |
| kann auch in Sotschi gewinnen. | |
| Wenn er sich konzentriert und sich durch nichts aus der Bahn werfen lässt. | |
| ## Und Russland? Putins Politik? | |
| Training lief gut, sagt er. Vier Wochenenden lang ist er jetzt von Bobbahn | |
| zu Bobbahn getourt. Hoch in die Kurven fahren und am Ende der Kurve so | |
| lenken, dass der Schlitten nicht ins Rutschen gerät. Kurve vier, Kurve | |
| fünf, Kurve sechs, der Kreisel. Keine Minute sind die Bobs am Königssee | |
| unterwegs, Sekunden, über die sich die Piloten und ihre Trainer stundenlang | |
| unterhalten können. „Zwei Schritte mehr“, raunzt ein Viererbobpilot einen | |
| seiner Anschieber an. Fünf Sekunden dauert es bis nach der ersten | |
| Lichtschranke, mit der die Zeitmessung startet, alle Kameraden im Bob | |
| sitzen. Fünf Sekunden, über die man tagelang diskutieren kann. | |
| Diese Sekunden im Eistunnel sind die Welt von Maximilian Arndt, eine Welt, | |
| aus der er gar nicht heraus will. | |
| Und Russland? Putins Politik? Weiß er, was ihn in Sotschi erwartet? "Ich | |
| versuche mich auf meinen Sport zu konzentrieren", sagt er. Und: „Dass die | |
| Russen anders ticken als wir, das haben wir schon mitbekommen!“ Was meint | |
| er damit? Egal. „Es wird ja auch nicht so sein, dass es in Sotschi nur | |
| russisches Essen gibt." | |
| Kann man Olympia nur als Kampf um Medaillen denken, wenn in Russland | |
| systematisch Menschenrechte verletzt werden? Akzeptiert nicht, wer | |
| schweigt, dass Putin die Spiele als Beweis seiner Stärke missbraucht? | |
| ## Dürfen wir das einfordern? | |
| Wie viele andere Sportler ist Arndt Polizist, angestellt bei der | |
| Sportfördergruppe der Bundespolizei. Sein Leben ist ein Abwärtssausen, bei | |
| dem jede falsche Bewegung den Sieg kosten kann. Er arbeitet gegen den Druck | |
| an, indem er sich in die Trainingsarbeit stürzt. „Ich muss einfach machen, | |
| was ich kann", sagt er. Bobfahren – mehr nicht. "Was soll ich mich groß | |
| engagieren in Russland, ändern kann ich sowieso nichts." | |
| Aber haben wir eigentlich das Recht, dieses Engagement von Maximilian Arndt | |
| und den anderen zu verlangen, während wir zu Hause die Fernbedienung bequem | |
| in der Hand halten? Unterhaltsame Höchstleistung in politisch korrekter | |
| Haltung, damit man beim Zuschauen kein schlechtes Gewissen bekommt? Ein | |
| kritisches Statement zur Beruhigung, um wieder ins bequeme Sofa | |
| zurückzusinken? | |
| In der Titelgeschichte „Haltungsnoten“ [1][der taz.am wochenende vom 1. und | |
| 2. Januar] haben sich taz-Reporter auf die Suche nach den Gründen begeben, | |
| die sie Sportlerinnen und Sportler zum Schweigen bringen. Und nach den | |
| wenigen gesucht, die zur Situation in Russland Position beziehen - wie die | |
| australische Snowboarderin Belle Brockhoff, die mit einer Kampagne gegen | |
| Homophobie eintritt. Und der ehemalige Turner Eberhard Gienger, der 1980 | |
| nicht zu den Olympischen Spielen nach Moskau fuhr, weil Deutschland die | |
| Spiele boykottierte, erinnert sich, wie er sich damals als Spielball des | |
| Kalten Krieges fühlte. Gienger ist heute CDU-Bundestagsabgeordneter und | |
| reist in diesem Jahr als sportpolitischer Sprecher seiner Fraktion nach | |
| Sotschi. | |
| Für Sportler, die sich in Sotschi positionieren, steht viel auf dem Spiel. | |
| Die Olympische Charta verbietet Demonstrationen "politischer, religiöser | |
| oder rassebezogener Propaganda an den olympischen Stätten, Austragungsorten | |
| oder anderen Bereichen". Im schlimmsten Fall droht Sportlern bei | |
| politischem Engagement der Ausschluss vom Internationalen Olympischen | |
| Komitee. | |
| Auch die Sprinter John Carlos und Tommie Smith aus den USA wurden 1968 aus | |
| dem olympischen Dorf verwiesen. Zur Siegerehrung für das 200-Meter-Rennen | |
| bei den Olympischen Spiele in Mexiko waren sie ohne Schuhe und mit | |
| schwarzen Handschuhen gekommen und hatten auf dem Podest ihre Fäuste in die | |
| Luft gereckt. Das Zeichen der Black-Power-Bewegung. Ein Aufschrei gegen | |
| Rassismus. | |
| Wird es so einen Moment in Sotschi geben? | |
| Gerade hat John Carlos in einem Interview noch einmal versucht, Sportlern | |
| die Angst zu nehmen, politisches Engagement gehe auf Kosten ihrer Leistung. | |
| [2][„Ich glaube nicht, dass der Fakt, dass du Stellung beziehst irgendwie | |
| deine Leistung beeinflusst oder ein schlechtes Licht auf sie wirft“, sagte | |
| er]. | |
| Was denken Sie? Hat Carlos recht? Oder verstehen Sie auch die Haltung des | |
| Bobpiloten Maximilian Arndt: Sportler müsse sich auf den Sport | |
| konzentrieren? Und selbst, wenn Sie sie verstehen: Ist sie legitim? Müssen | |
| Sportler Vorbilder sind? Oder sind es am Ende die Zuschauer, die aus dem | |
| Sessel aufstehen müssten, um selbst etwas zu tun? | |
| Diskutieren Sie mit! | |
| Die Titelgeschichte „Haltungsnoten“ lesen Sie in der [3][taz.am wochenende | |
| vom 1./2. Februar 2014]. | |
| 31 Jan 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ausgabe-vom-1/2-Februar-2014/!132075/ | |
| [2] http://www.thenation.com/article/178052/john-carlos-1968-olympian-speaks-ou… | |
| [3] /Ausgabe-vom-1/2-Februar-2014/!132075/ | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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