# taz.de -- Rugby beim Berliner Bash About: „Lächerlich viel Glück“ | |
> In Berlin kommen 120 größtenteils homosexuelle Rugbyspieler_innen | |
> zusammen. Sie kämpfen gegen die Benachteiligung von Homosexuellen. | |
Bild: Unrecht bekämpfen in Regenbogen-Socken: Eine Szene vom ersten Bash About… | |
Er läuft und läuft, unermüdlich, ungebremst. Wie im Hamsterrad. Mit dem | |
Megafon auf den Platz, mit einer Kiste bunter Leibchen zur Seitenlinie, zu | |
spontan auftauchenden Freunden, die er freudig umarmt, zu einem verletzten | |
Spieler, der auf den Armen eines kräftigen Kollosses zu den Sanitätern | |
getragen wird, zu den unzähligen Helfern. Immer weiter, immer weiter. Zur | |
Ruhe kommen wird er heute nicht mehr. | |
Doch Adam Wide, der Hamster, lacht. „Ich bin einfach glücklich, all die | |
Arbeit für diesen Tag“, sagt er und blickt stolz über die zwei Rugby-Felder | |
in Berlin-Weißensee, auf denen sich 120 Spieler_innen gegenseitig | |
niederreißen oder aufeinander stürzen, um den Rugbyball gegen den Gegner in | |
die Endzone zu befördern – echter Männersport halt. | |
Es riecht nach Schweiß und Bratwurst. Dabei spielen hier heute vor allem | |
homosexuelle Spieler_innen in sechs bunt zusammengewürfelten Teams, die | |
nach gängigen Klischees alles andere als hart sind. Wide, der | |
charismatische, bärtige Mann mit kurzem Haar und stets einem Stift hinter | |
dem Ohr, hat dieses Event ins Leben gerufen: Der sogenannte Bash About fand | |
2014 erstmalig unter dem Motto „Sport gegen Stigmatisierung“ statt. Es ging | |
um die Aufklärung über HIV im Sport. Dieses Jahr steht alles im Zeichen von | |
„Unrecht bekämpfen“. | |
„Wir wollen den Fakt betonen, dass wir hier in Westeuropa lächerlich viel | |
Glück haben, während es andere Menschen in der Welt gibt, die nicht den | |
Luxus haben, ihre Sexualität zu leben und stolz und schwul zu sein“, | |
erklärt Wide. Kurz wird seine Miene ernst, dann huscht wieder ein Lächeln | |
über sein Gesicht, als sein Blick über die Spielfelder, die freiwilligen | |
Helfer, den Bier- und Eisstand und die Freunde aus aller Welt gleitet. „Die | |
sind alle unfassbar gut“, sagt er begeistert, während das „Team Lila“ den | |
Ball in die Endzone trägt. „Von überall kommen die Spieler nur für diese | |
Veranstaltung angereist“, erzählt Wide. „Groß, klein, dick, dünn, | |
schüchtern, laut. Hier findet man alles.“ | |
## Spieler_innen aus 42 Herkunftsländern | |
Am meterhohen Zaun, der die Rugby-Felder rechtsseitig von den Fußballern | |
abgrenzt, sind Fahnen angebracht. 38 Stück. „Vier Stück fehlen aber“, | |
erzählt Wide, „gestern war es noch eine mehr. Aber die Flagge aus Mexiko | |
habe ich dann in zwei Stunden organisiert.“ Sein persönliches Wunder: „Aber | |
ich habe mal gehört, dass jeder Mensch leider nur ein Wunder pro Tag | |
vorrätig hat“, sagt er, während er einem Freund lachend auf die Schulter | |
klopft. | |
Die Flaggen stehen für die Herkunftsländer der anwesenden Athlet_innen: | |
Indien, Syrien, Argentinien und Brasilien finden sich hier. Mit Blick auf | |
die Fahnen kann Wide seinen Stolz nicht mehr verbergen. Im Zentrum hängt | |
die Fahne Südafrikas, die Heimat Teveshan Kunis. | |
Fünf Tage vorher: Kuni ist im Stress. Von der Arbeit als Vorsitzender der | |
Finanzabteilung eines traditionsreichen Unternehmens nach Hause fahren, ein | |
weißes Hemd anziehen, Koffer für den morgigen Flug packen, Freunde in der | |
Stadt treffen, weiter packen, telefonieren. In all diesem Trubel findet der | |
34-Jährige noch Zeit, freudig mit seinem Tablet durch seine geräumige | |
Wohnung im Stadtzentrum zu laufen, um Interessierte über seinen Sport | |
aufzuklären. | |
## Mehr als nur Clubs und Bars | |
Während er mit leicht indischem Akzent erzählt, unterbricht er sich immer | |
wieder durch lautes Gelächter. „Ich bin einfach sehr glücklich“, erklärt | |
er. Das nächste ansteckende Lachen kündigt sich bereits um seinen fein | |
getrimmten Bart an. | |
Eigentlich sollte eine sechsköpfige Delegation seiner Rugby-Mannschaft | |
gemeinsam nach Berlin zum Bash About reisen; leider waren die | |
bürokratischen Hürden für eine kurzfristige Anreise zu hoch. Kuni wird sein | |
Team alleine repräsentierten: die „Jozi Cats“ aus Johannesburg. Begeistert | |
erzählt er von ihrer Entwicklung: „Wir wollten einfach unseren Rugby-Club.“ | |
Als sich 15 Freunde im August 2015 zusammentaten, wollten sie einfach | |
kompetitiven Rugby spielen, das Team aber auch für Anfänger offen halten, | |
Spaß haben und schwulen Menschen in Johannesburg einen Raum bieten. „Die | |
Schwulenszene in Südafrika besteht sonst nur aus Clubs und Bars.“ Aber dem | |
jungen Team, das von einem traditionsreichen Rugby-Club in der Stadt | |
unterstützt wird, fehlte der Nachwuchs. „Wir dürfen ihre Trainingsplätze, | |
Trainer, Materialien und Ärzte in Anspruch nehmen“, sagt Kuni, „wir hatten | |
in vielen kritischen Punkten sehr viel Glück.“ | |
Im Mai starteten sie eine Marketing-Kampagne: Sechs Bilder beschrieben mit | |
Beschimpfungen wie „Königin?“, „Weichei?“ und „Nougatstecher?“ zei… | |
Rugby-Spieler in stereotypen Posen. „Wir haben solche provokativen | |
Beschimpfungen für homosexuelle Männer ausgewählt, um Aufmerksamkeit zu | |
erregen.“ Zeitungen und Fernsehsender aus aller Welt nahmen den Ball | |
dankbar auf und warfen ihn in die Öffentlichkeit. | |
## Abends feiern sie die Freiheit | |
„Wir sind ein kleiner Verein ohne Geld“, sagt Kuni. „Deshalb dachten wir, | |
dass ein paar lokale Medien darauf anspringen würden. Dann wurden wir mit | |
Antworten überflutet.“ Weltweit erreichten sie 350 Millionen Menschen in | |
140 Ländern. Mittlerweile haben die Jozi Cats 60 Spieler, ein zweites Team | |
soll folgen. Rugby wird, so ist es die Vision Kunis, in Südafrika | |
irgendwann für alle zugänglich sein. | |
Weltweit existieren 75 schwul-inklusive Rugby-Teams. In vielen Ländern | |
Afrikas, aber auch in der Türkei oder in Syrien sind solche Mannschaften | |
natürlich undenkbar. „Jeder von uns hat Freunde, die nach Südafrika | |
geflohen sind, weil in ihren Ländern Homosexualität unter Strafe steht.“ | |
erzählt Kuni. | |
Heute steht er auf dem Platz, um gegen Ungerechtigkeiten wie diese zu | |
kämpfen. „Wir nutzen die Stärke von 120 Spieler_innen aus 42 verschiedenen | |
Nationen. Das Team ist immer stärker als das Individuum“, pflichtet Wide | |
ihm bei. Auch wenn die Teams auf dem Platz erbittert um jeden Punkt kämpfen | |
und sich laut anbrüllen, sind sie Individuen, die eine große Brüderschaft | |
bilden. Es geht um den gemeinsamen Kampf für Gerechtigkeit. Abends ziehen | |
sie zusammen ins Berghain, um sich, ihre Erfolge und die so schwer zu | |
erreichende Freiheit zu feiern. | |
29 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Sören Haberlandt | |
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