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# taz.de -- 50. Deutscher Historikertag: Vorkämpfer für Urninden und Urninge
> Weg mit dem Anti-Homo-Paragraphen 175: Das forderte schon im 19.
> Jahrhundert Karl Heinrich Ulrichs. Nun wurde er in Göttingen mit einer
> Gedenktafel geehrt.
Bild: Früher Kämpfer, spät gewürdigt: Karl Heinrich Ulrichs.
GÖTTINGEN taz | Es war eine kleine Veranstaltung in der Göttinger
Innenstadt, mit Absicht während des 50. Historikertages an der Universität
der niedersächsischen geplant, jedoch nicht als Rahmenprogramm der
offiziellen geschichtswissenschaftlichen Erörterungen: Neben dem Alten
Rathaus, mit der Adresse Markt 5, ist eine Hinweistafel für Karl Heinrich
Ulrichs enthüllt worden.
„Vorkämpfer für die Rechte der Homosexuellen“ steht auf der Tafel – und…
war Ulrichs in der Tat, wenngleich er schwule Männer (wie man heute sagt)
nicht das medizinalisiert klingende Wort „homosexuell“ benutzte, sondern
„Urning“, aus dem Griechischem stammend. Lesben hießen „Urninden“.
Ulrichs, 1825 im Ostfriesischen nah bei Aurich geboren, studierte und lebte
in Göttingen. Auf dem deutschen Juristentag 1867 forderte er, jedes
Sonderstrafgesetz für Gleichgeschlechtliche zu tilgen – er erntete statt
wenigstens höflichen Interesse Tumulte der Empörung: Ulrichs war fortan
eine Person, die nicht mehr als zurechnungsfähig zu gelten hatte.
Er selbst aber schrieb in seinen Erinnerungen: „Bis an meinen Tod werde ich
es mir zum Ruhme an rechnen, daß ich am 29. August 1867 zu München in mir
den Muth fand, Aug’ in Auge entgegenzutreten einer tausendjährigen,
vieltausendköpfigen, wuthblickenden Hydra, welche mich und meine
Naturgenossen wahrlich nur zu lange schon, mit Gift und Geifer bespritzt
hat, viele zum Selbstmord trieb, ihr Lebensglück allen vergiftete. Ja, ich
bin stolz, daß ich die Kraft fand, der Hydra der öffentlichen Verachtung
einen ersten Lanzenstoß in die Weichen zu versetzen.“
Der Paragraph 175 existierte als Straf-, Terror- wie
Einschüchterungsinstrument bis 1994. Vor einigen Jahren versuchten
Mitglieder des Rats von Göttingen schon einmal, Ulrichs als ehrenwerten
Bewohner der Stadt mit einer eigenen Erwähnungen auf einer Straßentafel zu
ehren. Das wurde vor allem von den konservativen Mitgliedern abgelehnt, vor
allem die explizite Benennung als Homosexuellen.
Bei einer neuerlichen Initiative, so der Stuttgarter Historiker Norman
Domeier und Dagmar Schlapeit-Beck, Kulturdezernentin Göttingens, gab es gar
keinen Widerspruch mehr: Die Zeiten haben sich offenkundig geändert.
## Die Bohème aus Göttingen
Die kleine Zeremonie mit 50 Leuten, die in einem Empfang in der Göttinger
Aidshilfe mündete, verwies auf zwei Projekte, von denen eines soeben
begonnen hat. Das Straßenschild für Karl Heinrich Ulrichs böte die Chance,
etwa auch in dieser Universitätsstadt einen Stadtrundgang zu konzipieren –
zu den Orten, die (nicht allein) für ihre schwulen, lesbischen und
transidenten Menschen wichtig sein könnte.
Orte der Erinnerung gäbe es genug: In der Nähe Göttingens hat sich seit den
frühen achtziger Jahren das queere Tagungshaus der Akademie Waldschlösschen
etabliert; das Café Kabale, wo die französischen Chanteuse Barbara 1964 ihr
Lied „Göttingen“ verfasste, war auch immer ein Platz für die
(homo-)sexuelle Bohème der Gegend; in der Innenstadt wären die Kneipen
aufzufinden, in denen jene, denen Ulrichs seine Arbeit widmete, wenigstens
kulturelles Asyl fanden. Obendrein könnten an der Universität Göttingen
Forschungen zu ihrer Geschichte der Homosexuellen angestrengt werden.
Das zweite Projekt, das die öffentliche Ehrung Ulrichs nahelegt, ist eines,
das auf dem 50. Historikertag quasi zur Welt kam: die erste offizielle
Sektion zur Homosexuellengeschichte. Die deutsche Geschichtswissenschaft
könnte mehr von dieser Art Aufklärung vertragen. In besseren Zeiten wäre
dann möglich gewesen, die Ehrung für den ostfriesischen Juristen als Teil
des eigenen Tagungsprogramms auszuweisen.
27 Sep 2014
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Göttingen
Schwulenbewegung
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Performance
Christopher Clark
Historiker
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Homophobie
CDU
DDR
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