# taz.de -- LSVD über Rehabilitierung von Schwulen: „Die Entschädigung komm… | |
> Bis 1969 wurde Sex zwischen Männern strafrechtlich verfolgt. Manfred | |
> Bruns (LSVD) erklärt, warum heute so wenige Verurteilte Entschädigung | |
> fordern. | |
Bild: Ein schwules Paar hält beim Christopher Street Day in Stuttgart Händchen | |
taz: Herr Bruns, seit knapp einem Jahr können Menschen, die zwischen 1945 | |
und 1969 wegen sexueller Handlungen zwischen Männern verurteilt worden | |
sind, [1][einen Antrag auf Rehabilitierung und Entschädigung stellen]. | |
Bisher haben das erst 99 Menschen getan. Sind sie überrascht? | |
Auf den ersten Blick ist die Zahl schon überraschend. Die Verurteilungen | |
gingen bis Mitte der 1960er Jahre, da müssten einige noch heute leben und | |
sich darüber freuen, dass sie entschädigt werden. Trotzdem: Wir haben bei | |
den Anhörungen des Gesetzes schon immer gesagt, dass wir nur mit sehr | |
wenigen Anträgen rechnen. Auch, weil wir damals häufig von Zeitungen | |
gefragt worden sind, ob wir ihnen Zeitzeugen vermitteln können. Wir konnten | |
keine auftreiben. Deswegen wundert es mich auch nicht, dass so wenige einen | |
Antrag gestellt haben. | |
Woran könnte das liegen? | |
Vermutlich haben so wenige Menschen einen Antrag gestellt, weil der Prozess | |
neben den juristischen Konsequenzen für die Verurteilten auch schlimme | |
soziale Folgen hatte. Die Leute haben oft ihren Job verloren und wurden von | |
der Gesellschaft ausgestoßen. Diese Erfahrung haben sie wahrscheinlich so | |
stark verinnerlicht, dass sie sich dem Thema heute nicht wieder stellen | |
wollen. | |
Ist das Gesetz für einige auch zu spät gekommen? | |
Natürlich. Zu Beginn der Bundesrepublik gab es Entschädigung für politische | |
Verfolgung. Schwule wurden nie mitgemeint, weil sie als Kriminelle und | |
nicht als politisch Verfolgte galten. Dafür wurden sie auch in der | |
Bundesrepublik noch bestraft. Das Gesetz zur Rehabilitierung kam viel zu | |
spät – auch, weil sich die CDU so lange gesperrt hat. Wahrscheinlich | |
überlegen sich viele schon, ob sie für so eine geringe Geldsumme diese | |
Erfahrungen nochmal durchleben wollen. | |
Finden Sie die Geldsumme zu gering? | |
Zumindest sollten nicht nur Verurteile entschädigt werden. Oft wurden Leute | |
verhaftet, saßen Monate lang in Untersuchungshaft und wurden dann | |
freigelassen. Sozial gesehen hatte das aber die gleichen Folgen: Auch sie | |
waren gesellschaftlich tot. Viele haben ihre gesamte Existenz verloren und | |
haben später nur noch Hilfstätigkeiten ausüben können, weil ihr Ruf | |
ruiniert war. Die sollten auf jeden Fall ebenfalls entschädigt werden. | |
Außerdem würden wir uns eine Härtefallregelung wünschen, wie es sie für die | |
vor 1945 Verurteilten gibt. Die sorgt dafür, dass die Betroffenenen | |
zusätzliche finanzielle Unterstützung erhalten, wenn sie Sozialhilfe | |
beziehen. | |
Ist das Gesetz in seiner jetzigen Form und bei so wenig Resonanz überhaupt | |
eine Errungenschaft? | |
Ja, das Gesetz ist insofern ein Gewinn, als dass endlich dokumentiert | |
worden ist, dass in der Bundesrepublik viel Unrecht geschehen ist. Es hieß | |
immer, was das Bundesverfassungsgericht gebilligt hat, kann nicht falsch | |
sein. Schon alleine deswegen ist das Gesetz eine wichtige Errungenschaft. | |
Ein Gesetzesentwurf vom Berliner Jusitzsenator Dirk Behrendt [2][will den | |
Schutz der sexuellen und geschlechtlichen Identität ins Grundgesetz | |
aufnehmen]. Ist das ein weiterer Schritt in diese Richtung? | |
1949 wurde der Diskriminierungskatalog, die Auflistung der Merkmale, | |
aufgrund derer nicht diskriminiert werden darf, beschlossen. Damals war an | |
die Aufnahme der sexuellen Identität nicht zu denken, weil sie noch | |
strafverfolgt wurde. Es muss jetzt also nachgebessert werden. Das ist aber | |
CDU und CSU nach wie vor ein Dorn im Auge. Gerade angesichts der homophoben | |
Forderungen der AfD, ist es wichtig, die Rechte von Schwulen und Lesben | |
langfristig im Grundgesetz abzusichern. | |
20 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Miriam Schröder | |
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