| # taz.de -- Homophobie in Deutschland: Vater, Mutter, Kind | |
| > Für den Erhalt der Traditionsfamilie reproduziert die Mittelschicht alte | |
| > Vorurteile gegen Schwule und Lesben. Beim Kindeswohl endet die Toleranz. | |
| Bild: Eine Demonstration für sexuelle Vielfalt als Thema im Schulunterricht | |
| BERLIN taz | Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Inter-Menschen, | |
| Alleinerziehende, Geschiedene und ihre Kinder: Sie alle müssen gerade | |
| wieder jede Menge Zumutungen über sich ergehen lassen. Zeitungen, Netz und | |
| Fernsehen wimmeln von Ansichten darüber, wie gut oder schlecht sie in | |
| unsere Gesellschaft passen. | |
| Das animiert KollegInnen, Nachbarn und Verwandte dazu, überwunden geglaubte | |
| Vorurteile auszupacken. Doch anstatt das Problem Homophobie beim Namen zu | |
| nennen, sind Presse und Intellektuelle damit beschäftigt, einander zu | |
| versichern, dass ein Kind einen „Vater“ und eine „Mutter“ braucht. | |
| Während also die öffentliche Diskussion Klischees reproduziert, formiert | |
| sich eine konservative Bewegung, die sich queeren Menschen an einem | |
| kritischen Punkt entgegenstellt: „Bei den Kindern hört der Spaß auf“, | |
| schallt es aus den Reihen besorgter Mittelschichtseltern in Deutschland. | |
| Was Gleichberechtigung im Bereich der Bildung institutionalisieren sollte – | |
| ein weniger heterosexistischer Schulunterricht –, wird als | |
| „Gender-Ideologie“ und „Frühsexualisierung“ umgedeutet. Das Gefährlic… | |
| daran ist, dass es nicht vereinzelt geschieht, sondern grenzübergreifend. | |
| ## Gegen die „Ehe für alle“ | |
| Die „Demo für alle“ am vergangenen Samstag in Stuttgart etwa übernahm Tit… | |
| und Logo von der „Manif pour tous“, zu der im Februar 100.000 Menschen in | |
| Paris auf die Straße gegangen waren, um gegen die „Ehe für alle“ zu | |
| protestieren. Erfolg und Wirkung der „Manif pour tous“ sind ein Vorbild für | |
| die konservativen und christlichen Initiativen, die hierzulande nach wie | |
| vor geringe DemonstrantInnenzahlen verzeichnen. Denn die „Manif pour tous“ | |
| war eine strategisch und organisatorisch hoch professionelle Mobilisierung | |
| der konservativen Mittelschicht. | |
| Vater, Mutter, Sohn, Tochter ist die unmissverständliche Aussage des | |
| Piktogramms, das die „Manif pour tous“ – und jetzt auch die „Demo für … | |
| – als Erkennungszeichen verwenden. In fröhlichen, knalligen Farben, | |
| darunter ausgerechnet grelles Pink. Die Strategie, die in Paris für Zulauf | |
| und Außenwirkung sorgte, lautet: Positiv und freundlich sein; nicht gegen | |
| etwas wettern, für etwas einstehen. | |
| Der Protest gegen Heirat und künstliche Befruchtung bei | |
| gleichgeschlechtlichen Paaren wird kaschiert durch den Ruf nach der | |
| Aufwertung der bürgerlichen Kleinfamilie. Allein, beides läuft auf ein und | |
| dieselbe Diskriminierung hinaus. | |
| Nur, wer wehrt sich hier eigentlich? Und warum? Wogegen? An dieser Stelle | |
| kommt in der Regel der Einwand, mit Homophobie habe man es ja vor allem in | |
| weniger gebildeten Schichten und religiös-fundamentalistischen Kreisen zu | |
| tun. Wie viel Bildung die Demonstrantinnen und Demonstranten genossen | |
| haben, lässt sich schwer einschätzen. | |
| ## Das Problem ist mitten unter uns | |
| Allerdings werden die Protestmärsche unter anderem von | |
| CDU-Landtagsabgeordneten, konservativen JournalistInnen und der | |
| AfD-Werbeplattform freiewelt.net unterstützt. Das Homophobie-Problem kann | |
| nicht länger an den Rand der Gesellschaft gerückt werden. Es ist mitten | |
| unter uns. | |
| Homophobie, davon wollen die freundlichen, strahlenden Demonstrantinnen und | |
| Demonstranten, die besorgten Eltern und Lehrkräfte nichts hören. Sie wollen | |
| wie folgt verstanden werden: Wir hassen euch nicht, aber wir fürchten die | |
| Veränderungen, die ihr anstrebt. Wir sind nicht gegen euch, aber wir | |
| verurteilen eure Forderungen. Wir sind freundliche Menschen und empfinden | |
| es als Zumutung, dass ihr uns intolerant nennt. | |
| Sie haben gelernt: Solche „ernstzunehmenden Bedenken“ ebnen ihnen den Weg | |
| vor die Kameras und Mikrofone besser als jede Hassparole. Nur macht sie das | |
| nicht weniger homophob. Wir stellen uns Homophobie falsch vor: Plakate mit | |
| „Sünde“, „Gott hasst euch“ und „Ihr seid krank.“ Aber die Bewegung… | |
| sich in der Mitte der europäischen Gesellschaft formiert, pathologisiert | |
| nicht. | |
| Sie argumentiert auch nicht religiös – sondern „sachlich“ und beinahe | |
| sozialwissenschaftlich: In einem Aufsatz, der auf der Seite der „Manif pour | |
| tous“ verlinkt ist, heißt es: „Keine Gesellschaft gründet sich auf | |
| Homosexualität, Homosexualität ist das Privileg einiger weniger, sich | |
| kulturell zu positionieren.“ Ein perfides Umkehren der Realität, verpackt | |
| in Expertensprech. | |
| ## Heterosexuelle Norm | |
| Dennoch wird weiter gern so getan, als gäbe es außer ein paar religiösen | |
| Fundamentalen keine queerfeindliche Lobby. Entsprechend kann die | |
| Journalistin Birgit Kelle in einer Sendung wie „Menschen bei Maischberger“ | |
| ungestört zwischen Toleranz und Akzeptanz unterscheiden – und so ein | |
| uraltes Instrumentarium auspacken, um die eigene Menschenfeindlichkeit zu | |
| legitimieren. | |
| Zugleich gab sich Maischberger große Mühe, die | |
| fundamentalistisch-christlichen Positionen des Verwaltungsbeamten Hartmut | |
| Steeb als unsäglich zu entlarven. Beide, Steeb wie Kelle, sind homophob. | |
| Aber ihr Jargon macht den Unterschied. Kelle nämlich konnte ihre | |
| diskriminierenden Ansichten als „elterliche Bedenken“ verkaufen und wurde | |
| damit ernst genommen. | |
| Dabei sind auch ihre Argumente unsachlich: „Kinder sollten nicht über | |
| sexuelle Vielfalt unterrichtet werden, solange sie es nicht von sich aus | |
| ansprechen.“ Niemand würde so etwas über ein Thema behaupten, das ihr oder | |
| ihm als wichtiger Lerninhalt erscheint – etwa Mobbing, Verkehrsregeln oder | |
| Grammatik. Außerdem werden Kinder immer ungefragt mit der heterosexuellen | |
| Norm konfrontiert. | |
| In den Aussagen Kelles wird klar, dass sie an traditionelle und queere | |
| Familien unterschiedliche Maßstäbe anlegt. Trotzdem wird ihre Meinung | |
| anerkannt und gehört. Das liegt daran, dass Feindlichkeit gegen Homo- und | |
| Bisexuelle sowie Trans- und Inter-Identitäten in Deutschland gerne auf | |
| Religiosität reduziert wird. Alle Positionen, die keinen spirituellen Hauch | |
| mit sich tragen, gelten im Umkehrschluss als „rational“ und ergo nicht | |
| homophob. | |
| Klar, das ist falsch. Es braucht keinen Grund für Homophobie. Sie existiert | |
| seit Jahrhunderten und strukturiert unser Denken, unsere Gesetze und unsere | |
| Interaktion. Homophobie ist keine Meinung, für oder gegen die ich mich | |
| bewusst entscheiden kann. Sie ist eine Wertvorstellung: „Verglichen mit der | |
| Liebe zwischen Mann und Frau ist alles andere weniger wünschens- und | |
| schützenswert.“ | |
| ## Die Homophoben fühlen sich diskriminiert | |
| Deshalb treten homophobe Reaktionen immer dann auf, wenn als „normal“ | |
| betrachtete (aber eigentlich diskriminierende) soziale Verhältnisse ins | |
| Wanken kommen. So geschieht es aktuell mit dem Privileg | |
| gleichgeschlechtlicher Paare, zu heiraten und Kinder großzuziehen. Die | |
| Angst, dieses Privileg zu verlieren, löst homophobe Gegenwehr aus. Die | |
| Horroszenarien können dabei nicht dramatisch genug sein: Die Gesellschaft | |
| wird überaltern. Moral und Werte gehen verloren. Bald wird man uns zur | |
| künstlichen Befruchtung zwingen. Das ist alles so alt, wie es unsinnig ist. | |
| Und dennoch: Das Übel beim Namen zu nennen ist schwer bis unmöglich: In | |
| einem Fernsehinterview hatte die irische Drag-Queen Panti Bliss zu | |
| behaupten gewagt, alle, die sich gegen sexuelle Gleichberechtigung | |
| engagieren, seien homophob. Daraufhin fand sie sich einer Welle | |
| öffentlicher Zurechtweisungen ausgesetzt. Indes erhielten die von ihr | |
| namentlich erwähnten Homophoben vom Sender RTÉ ein Schmerzensgeld. | |
| Bliss (bürgerlich Rory O’Neill) brachte die Malaise kurz darauf in einem | |
| Vortrag auf den Punkt: „Menschen, die nie Homophobie erfahren haben [?], | |
| erklären m i r, dass es sich nicht um Homophobie handelt, solange ich nicht | |
| eingesperrt oder in einen Viehtransporter gesteckt werde. [?] Es scheint | |
| gerade so, als ob nicht etwa queere Menschen die Opfer von Homophobie sind, | |
| sondern die Homophoben selbst.“ | |
| Ungleichbehandlung aufgrund von Sexualität ist verboten – per | |
| EU-Grundrechtecharta und den Antidiskriminierungsgesetzen Deutschlands und | |
| Frankreichs. Das bedeutet: Es gibt keinen Anlass, über gleiche Rechte in | |
| Sachen Ehe, Fortpflanzung und Lehrplan auch nur zu diskutieren. Vielmehr: | |
| Es ist verfassungswidrig. | |
| Und trotzdem müssen queere Menschen genau das mit ansehen. Müssen sich | |
| gefallen lassen, dass andere ihre Familientauglichkeit „aufgrund fehlender | |
| Langzeitstudien“ bezweifeln. Müssen sich rechtfertigen, weil sie dieselben | |
| Ansprüche haben wie die anderen. Und müssen sich dabei auch noch über die | |
| „Meinungsfreiheit“ freuen. | |
| ## Blockierter Diskurs | |
| Warum wird dieses gewaltvolle Verständnis von Meinungsfreiheit medial | |
| geduldet? Warum wird diskriminierenden Positionen Raum gegeben, warum | |
| werden andere Stimmen dafür übergangen? Vielleicht haben Alleinerziehende, | |
| Regenbogen- und Patchworkfamilien, Adoptiveltern und -kinder genau die | |
| Expertise, die einer öffentlichen Diskussion über das Wohl der Kinder | |
| zuträglich wäre. | |
| Vielleicht sammeln sie seit Jahrzehnten wichtige Erfahrungen und haben | |
| sachliche Argumente, gerade weil sie Elternschaft nicht mit penetrativem | |
| Sex verwechseln. Nur werden sie nicht an öffentlichen Debatten teilnehmen, | |
| solange sie befürchten müssen, als defizitär wahrgenommen zu werden. Der | |
| Konservatismus, an dem auch viele nichtkonservative leiden, blockiert | |
| Diskurse, die die realen Ängste und Probleme aller Familien ernst nehmen. | |
| Wir können Homophobie verharmlosen, loswerden können wir sie so nicht. Auch | |
| wenn wir mit den Augen Rollen, erhält die konservative Bewegung ausreichend | |
| Momentum, um Eltern wie Kindern das Leben schwerzumachen. Aber wir können | |
| uns dagegen wehren, dass queere Belange zu bloßen Einstellungen degradiert | |
| werden. | |
| Dort nämlich liegt die Gefahr; denn trans, inter, lesbisch, schwul oder bi | |
| zu sein bedeutet in unserer Gesellschaft immer noch, regelmäßig gegen eine | |
| Wand zu laufen. Und sei es eine Wand aus verständnislosem Lächeln und | |
| sachlichen Argumenten. | |
| 10 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Weissenburger | |
| ## TAGS | |
| Normalität | |
| Familie | |
| Homophobie | |
| Kinder | |
| Sexuelle Vielfalt | |
| Heteronormativität | |
| Moral | |
| Leihmutter | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Gender | |
| künstliche Befruchtung | |
| Homophobie | |
| NS-Verbrechen | |
| Junge Alternative (AfD) | |
| Gender | |
| Mozilla | |
| Kirche | |
| Sibylle Lewitscharoff | |
| Sotschi | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Globale Studie über Moralvorstellungen: Ein unmoralisches Land | |
| Das Wertegerüst des Abendlandes wankt bedrohlich im Wind. Eine Studie | |
| zeigt: Deutschland hält es recht locker mit der Moral. | |
| Bundesgerichtshof zu Doppelvaterschaft: Wunscheltern legalisiert | |
| Das Gericht erleichtert die Elternschaft mit Kindern, die im Ausland von | |
| Leihmüttern ausgetragen wurden. Geklagt hatte ein homosexuelles Paar. | |
| Toleranzwoche bei der ARD: Spiel ohne Reflexion | |
| Anders, als du denkst: Die ARD wirbt für die Themenwoche der Toleranz und | |
| greift dabei gehörig daneben. Spott und Ärger sind die Folge. | |
| Christliche Aktivistin Birgit Kelle: Militante Feministin Gottes | |
| Als „moderne Feministin“ präsentiert sich Birgit Kelle in den Talkshows. | |
| Doch zudem unterstützt sie die erzkonservativen Legionäre Christi. | |
| Opfer von Homophobie in BaWü: Schwul und immer noch vorbestraft | |
| SPD und Grüne in Baden-Württemberg wollen sich bei den Opfern des | |
| Schwulenparagrafen 175 entschuldigen. Betroffene sollen rehabilitiert | |
| werden. | |
| Künstliche Befruchtung vor Gericht: Eine Frage der Ehe | |
| Eine Krankenkasse will Versicherten die künstliche Befruchtung bezahlen – | |
| egal ob verheiratet oder nicht. Ein Gericht entscheidet nun über die | |
| Kostenfrage. | |
| Internationaler Tag gegen Homophobie: Nirgendwo sicher | |
| Sexuelle Minderheiten können auch nicht im sich selbst als toleranter | |
| wahrnehmenden Europa Schutz erwarten. Das zeigt ein Dokumentationsprojekt. | |
| Homosexuelle in der NS-Zeit: Denkmal mit Hakenkreuz beschmiert | |
| Das Berliner Denkmal für in der NS-Zeit verfolgte Homosexuelle wurde | |
| mutmaßlich von Rechtsradikalen beschädigt. Der Staatschutz ist bereits | |
| eingeschaltet. | |
| AfD-Nachwuchs gegen Feminismus: Wie gleichberechtigt sind Hinterteile? | |
| Die AfD-Jugend übt sich erneut in Antifeminismus. Diesmal müssen fünf | |
| entblößte Damenpopos herhalten – aber wofür eigentlich genau? | |
| „Sexuelle Vielfalt“ in Baden-Württemberg: Aufschrei der Konservativen | |
| Das aufklärerische Projekt ist nicht storniert, nur eingebettet. Das ist | |
| viel wert. Doch der Protest gegen die Kritiker ist zu zahm. | |
| Nach Homophobie-Vorwürfen: Mozilla-Chef tritt zurück | |
| Brendan Eich, neuer Chef des Firefox-Entwicklers, hatte Gegner der Homo-Ehe | |
| unterstützt. Boykottaufrufe und Rücktrittsforderungen folgten. Jetzt zog er | |
| Konsequenzen. | |
| Homosexueller Politiker in BaWü: Sichtbar schwul– und das in der CDU | |
| Auf seiner Schule gab es keine Homos: Der Stuttgarter | |
| CDU-Bundestagsabgeordnete Kaufmann ist schwul und kämpft für eine Kultur | |
| sexueller Vielfalt. | |
| Nach Lewitscharoffs Dresdener Rede: Warum schweigen sie bloß? | |
| Sibylle Lewitscharoff drückt ihre Abscheu vor homosexuellen Familien aus. | |
| Das kann sie ruhig machen. Aber: Warum protestiert niemand? | |
| Queerer Protest am Potsdamer Platz: „Ein neuer Zusammenhalt“ | |
| Heute abend soll auf dem Potsdamer Platz die Regenbogenflamme entzündet | |
| werden. Dank Putin rücke die queere Szene zusammen, sagt Künstlerin Romy | |
| Haag. |