| # taz.de -- Globale Studie über Moralvorstellungen: Ein unmoralisches Land | |
| > Das Wertegerüst des Abendlandes wankt bedrohlich im Wind. Eine Studie | |
| > zeigt: Deutschland hält es recht locker mit der Moral. | |
| Bild: Nur acht Prozent der Deutschen finden Homosexualität moralisch verwerfli… | |
| BERLIN taz | Eine frohe Botschaft verkündet der Tagesspiegel: | |
| „[1][Deutschland ist (fast) das schwulenfreundlichste Land der Welt“]. | |
| Basis dieser Behauptung sind die Ergebnisse einer [2][Studie des „Pew | |
| Research Centers“], das seit über zehn Jahren Menschen in aller Welt zu | |
| ihren moralischen Einstellungen befragt. | |
| Auf die Frage ob Homosexualität moralisch akzeptabel sei, antworteten von | |
| den 1.025 deutschen Teilnehmern nur 8 Prozent mit nein. Lediglich in | |
| Spanien fiel der Anteil derer, die Homosexualität verwerflich finden, mit 6 | |
| Prozent niedriger aus. | |
| Ganz anders sieht es in Ländern mit einem hohen Anteil von Anhängern | |
| islamischer und evangelikaler Glaubensgemeinschaften aus. Ob Nigeria, | |
| Pakistan, Uganda, Ägypten oder Ghana: Zwischen 85 und 98 Prozent der | |
| Befragten halten Homosexualität für moralisch inakzeptabel. In den USA | |
| liegt diese Zahl übrigens bei immerhin 37 Prozent. | |
| Eine weitere Studie belegt also die tolerante Überlegenheit der westlichen | |
| Welt, darin die Rückständigkeit der Amerikaner. Eine weitere Zeitung feiert | |
| diesen Umstand, „vergisst“ dabei aber, dass es außer Schwulen noch | |
| weibliche Homosexuelle gibt und Moralkategorien zwar ein Indiz, aber kein | |
| Beleg dafür sind, ob eine Gesellschaft wirklich freundlich mit seinen | |
| sexuellen Minderheiten umgeht. | |
| Die Frage, was genau uns eine Untersuchung lehren soll, die von vornherein | |
| Probanden einen sehr eingeschränkten Katalog moralisch bewerten lässt, wird | |
| gar nicht erst gestellt. Alles wie immer. | |
| ## Ein stiller Kompass | |
| Warum genau außereheliche Affären, Glücksspiel, Homosexualität, | |
| Abtreibungen, vorehelicher Sex, Alkoholgenuss, Scheidung und | |
| Schwangerschaftsverhütung und sonst nichts abgefragt werden, bleibt im | |
| Dunkeln. Es gibt zwar immer die Antwortmöglichkeit „es handelt sich um | |
| keine Frage der Moral“ (Im Original: „Not a moral issue“), jedoch drängt | |
| sich die Vermutung auf, dass diese als Quasisynonym mit der Antwort | |
| „moralisch akzeptabel“ verwendet wird. | |
| Moral mag ein stiller Kompass sein, nachdem wir unser Leben richten. Zur | |
| klar definierten und ausgesprochenen Instanz wird Moral für die meisten | |
| Menschen jedoch immer erst aus einer Abwehrposition heraus; gerne gegen | |
| neues, anderes und persönlich als störend oder verletzend empfundenes | |
| Handeln. | |
| ## Den Leuten ist alles egal | |
| Der Blick auf die Antworten der deutschen Teilnehmer ergibt nun ein | |
| eigenartiges Bild. Bis auf Glücksspiel, dass immerhin 31 Prozent und | |
| Ehebruch, den 60 Prozent der Befragten unmoralisch finden, geht es recht | |
| locker zu. Sex vor der Ehe ist okay (6 Prozent dagegen), Scheidung übrigens | |
| auch (7 Prozent) und Verhütung erst recht (1 Prozent). | |
| Den Leuten ist anscheinend alles egal, solange es sie selber nicht trifft. | |
| Eigentlich haben die Deutschen nur Angst davor, dass ihre EhepartnerInnen | |
| mit einer Affäre nach Las Vegas fahren. Pegida hat also in einer Sache | |
| recht: Das Wertegerüst des Abendlandes wankt bedrohlich im Wind. Die letzte | |
| Verteidigungslinie verläuft aber nicht in Dresden, sondern irgendwo | |
| zwischen Peschawar und Islamabad. In Pakistan nämlich herrschen so rigide | |
| Moralvorstellungen, da dürften noch die sächsischen Kreuzritter ordentlich | |
| zittern (Stichwort: Alkoholentzug). | |
| Aber nein, wir leben in einem unmoralischen Land. Das zu wissen, hätte es | |
| keiner Umfrage bedurft. Wir sind glücklich, von einer gelassenen | |
| Technokratin regiert zu werden, die kein moralisches Prinzip erkennen lässt | |
| – nur Pragmatismus und dazu als Toleranz getarnte Gleichgültigkeit | |
| gegenüber anderen Lebensentwürfen. | |
| Das ist natürlich nicht „schwulenfreundlich“ oder überhaupt irgendwie | |
| „freundlich“, aber beim Blick auf die Alternativen für den Moment schon | |
| irgendwie okay. | |
| 7 Jan 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/gay-okay-deutschland-ist-fast-das-sc… | |
| [2] http://www.pewglobal.org/2014/04/15/global-morality/table/homosexuality/ | |
| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
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