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# taz.de -- Landtagswahlen in Ostdeutschland: Solide Bürgermeister
> In Sachsen, Thüringen und Brandenburg wird gewählt. Scharfe Kontroversen
> fehlen, auch weil auf Landesebene weniger entschieden wird als früher.
Bild: Für Stanislaw Tillich könnte es in Sachsen ungemütlich werden. Seiner …
Was steht bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg auf dem
Spiel? Steht etwas auf dem Spiel, was über die Landesgrenzen hinaus von
Bedeutung ist? Der Wahlkampf zwischen Prenzlau, Erfurt und Görlitz hat
etwas Mildes, Moderates, Postideologisches. Die Linkspartei in Brandenburg
wirbt auf Plakaten mit einem hübschen Foto mit viel See, viel Himmel und
Horizont. Das hat eher etwas von Tourismuswerbung als von entschlossenem
Meinungskampf.
Dietmar Woidke, SPD-Ministerpräsident in Potsdam, lächelt auf Plakaten
etwas ungelenk Werktätigen zu, um damit sichere Arbeitsplätze zu
signalisieren. Auch CDU-Mann Tillich in Sachsen sieht man umringt von
Arbeitern im Blaumann. Die Bilder gleichen sich, Führungsfiguren und
Inhalte auch. Wahlen in Merkelland.
In den Wahlkämpfen zwischen Uckermark und Erzgebirge scheint es keine
zentralen oder gar scharf polarisierenden Themen zu geben. Wenn Mario
Voigt, CDU-Generalsekretär in Thüringen, warnt, dass Rot-Rot die Kinder in
„staatliche Drogenclubs“ locken würde, ist das eher skurril. Weil umkämpf…
Grundsatzthemen, an denen sich politische Identitäten
herauskristallisieren, Mangelware sind, spielen Personen und ihre
Performance eine umso größere Rolle.
Das hat einen von außen gesehen paradoxen Effekt: Wir erleben einen
Personenwahlkampf mit seltsam glanzlosem Führungspersonal – dem
bodenständigen Dietmar Woidke, der freundlichen Christine Lieberknecht, dem
erdverbundenen Stanislaw Tillich. Martin Dulig, der junge SPD-Kandidat in
Sachsen, hat das verstanden und, obwohl politisch ein Nobody, eine komplett
auf sich zugeschnittene Kampagne inszeniert. Kurzum: Diese drei
Landtagswahlen wirken, als würden Bürgermeister gewählt. Und Bürgermeister
müssen keine kraftvollen, aggressiven Führungsfiguren oder energische
Problemlöser sein. Was zählt, ist einfach, einen soliden Eindruck zu
machen. Und, ganz wichtig, in der Heimat verwurzelt zu sein.
## Konsensuale politische Kultur
Die Provinzialisierung der Landespolitik hat drei Gründe. Im Osten hat sich
nach der Wende 1990 eine eher konsensuale politische Kultur entwickelt. Die
Streitrituale der Westparteien wurden nur halbherzig und unwillig
importiert. In den 90er Jahren tobte vor allem in der SPD heftiger Streit,
wie man mit der SED-Nachfolgepartei PDS umgehen sollte, ob man sie als
Gegner bekämpfen oder als strategischen Partner betrachten sollte.
Die Linkspartei wird noch immer als Schreckgespenst inszeniert, um
politischen Kampf zu simulieren, allerdings mit abnehmendem Erfolg. Auch
der Vorwurf der CDU, die Linkspartei würde die Staatskasse plündern, läuft
ins Leere. Brandenburg, wo die Genossen seit 2009 mitregieren, hat einen
Haushaltsüberschuss. Der Linkspartei-Finanzminister hatte als Erstes
vorsorglich eine Haushaltssperre verfügt.
Zweitens: Die Länder sind weniger wichtig als vor 25 Jahren. In dem Maße,
in dem die EU die deutsche Gesetzgebung dirigiert, haben die Länder
Kompetenzen verloren. Die Spielräume zwischen EU, Bundesebene und Kommunen
sind eng geworden. Die Landtage verfügen über das Haushaltsrecht, das
Königsrecht jedes Parlaments. Doch weil die Länder kaum eigene Steuern
generieren, steht dieses Königsrecht eher auf dem Papier.
Schließlich: Am 18. Juli 2010 fiel in Hamburg eine Entscheidung, die
seitdem eine Blaupause für die Politik in Bundesländern ist. Schwarz-Grün
scheiterte mit dem Versuch, sechs Jahre gemeinsames Lernen einzuführen, ein
zaghafter Schritt zu mehr Egalitärem. Doch sogar die CDU unterlag gut
organisierten Lobbygruppen.
## Kaum scharfe Kontroversen
Die Botschaft kam an. Seitdem gibt es kaum mehr scharfe Kontoversen um
Schulpolitik – auch nicht in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Die
Schulpolitik ist nach wie vor ein zentrales Feld für Landespolitik: Sie ist
das einzige Terrain, auf dem Bundesländer souverän entscheiden können. Aber
harte Konfrontation, Parolen wie die Abschaffung des Gymnasiums, scheuen
seit dem 18. Juli 2010 auch linke Parteien.
Diese mittlere Temperatur des politischen Betriebes spiegelt auch das
politische Personal. Tillich, Woidke und Lieberknecht zeigen keinerlei
Ambitionen, mal einen Job in Berlin zu bekommen. In der alten
Bundesrepublik war der Job des Ministerpräsident Durchgangsstation auf dem
Weg nach ganz oben, bei Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Johannes Rau. Das
ist vorbei.
Wer in Potsdam, Erfurt oder Dresden regiert, bleibt dort. Der Letzte, der
sich in die Bundespolitik aufmachte, war Woidkes Vorgänger Matthias
Platzeck. Und der gab das Amt des SPD-Chefs nach ein paar Monaten dankend
zurück. Die politische Elite im Osten strebt nicht nach Höherem. Sie genügt
sich selbst.
Also alles nur lokal, für den Rest der Republik belanglos? Das übersieht,
dass in Thüringen eine wenn auch eher parteipolitisch einschneidende als
die Gesellschaft umpflügende Wende möglich ist. Wenn Bodo Ramelow Chef
einer rot-rot-grünen Regierung wird, kann das die Blockade im linken Lager
auch im Bund etwas auflockern. Rot-Rot-Grün braucht nicht noch mehr Ordner
mit Strategiepapieren, sondern einen Praxistest.
## Die FDP scheint unterzugehen
Und: In Sachsen ist eine womöglich fundamentale Verschiebung möglich. Die
FDP scheint, egal, was sie tut, unterzugehen. Sie dürfte nicht nur ihre
letzten Landesminister verlieren, sondern auch an der 5-Prozent Hürde
scheitern. Dafür steigt die AfD als neue rechtskonservative Partei auf, die
politisch unbehauste Wutbürger sammelt.
In Dresden ist somit ein schrilles Szenario möglich: Die in Sachsen recht
konservative CDU verfehlt knapp die absolute Mehrheit, die AfD zieht in den
Landtag ein, auch die NPD kommt wieder ins Parlament. Dass Tillich sofort
mit der AfD koaliert, ist zwar unwahrscheinlich. Aber Sachsen kann zum
Labor für eine Neuformierung des konservativen Lagers nach dem Ende der FDP
werden. Das wäre ein Ruck nach rechts, der zum gemütlichen Konsensstil des
Postideologischen gar nicht passt.
29 Aug 2014
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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