| # taz.de -- Wahlkampf in Sachsen: Der nette Herr Dulig | |
| > „Ich repräsentiere eine neue SPD“, sagt Martin Dulig selbstbewusst. | |
| > Gewinnen wird seine Partei am Sonntag in Sachsen trotzdem nicht. | |
| Bild: Martin Dulig und sein Küchentisch, an den er Bürger zum Gespräch bitte… | |
| DRESDEN taz | Es dürfte das sperrigste Möbel in diesem sonst nicht gerade | |
| kantigen Sachsenwahlkampf sein: Wo der SPD-Spitzenkandidat auftaucht, reist | |
| ein imposanter, von häuslichen Gebrauchsspuren gezeichneter Küchentisch | |
| mit. Nein, kein symbolkräftig runder Tisch, sondern einer mit Ecken. Groß | |
| genug für sechs Kinder und ein Elternpaar, groß genug auch für Gespräche | |
| mit Wählern oder prominenten Unterstützern, die in diesen Wahlkampfwochen | |
| daran Platz genommen haben. | |
| Der Tisch ist Teil der Inszenierung des Martin Dulig als Frontmann der | |
| sächsischen SPD, die im Wahlkampf praktisch als Ein-Mann-Partei auftritt. | |
| „Kennen Sie diesen Mann?“, fragt die Titelseite einer Wahlbroschüre, und es | |
| soll nicht wie ein Fahndungsaufruf klingen. Für die totale Personalisierung | |
| bringt der 40-Jährige tatsächlich gute Voraussetzungen mit. So wie er von | |
| Plakaten und Großbildflächen mal pfiffig-verschmitzt, mal | |
| philosophisch-nachdenklich, mal entschlossen blickt und die Ärmel | |
| hochkrempelt, so kennt man ihn auch aus dem Alltag. | |
| Der könnte tatsächlich das Zeug zum Landesvater haben, hört man es hier und | |
| da munkeln, und zwar ein bisschen substanzieller als der ewig lächelnde | |
| Amtsinhaber Stanislaw Tillich von der CDU. „Ja, ich will Ministerpräsident | |
| werden!“, bestätigt Martin Dulig und setzt gleich hinzu: „Aber ich habe | |
| noch Zeit.“ | |
| Architekt durfte er in der DDR nicht werden, Maurer hat er gelernt, Abitur | |
| nach der Wende, später Erziehungswissenschaften studiert und in der Jugend- | |
| und Erwachsenenbildung gearbeitet. Also Bodenhaftung. Im jugendlichen Alter | |
| von 16 Jahren das erste Mal Vater, eine Herausforderung. Mit der zwei Jahre | |
| älteren Mutter ist er seit 21 Jahren verheiratet und hat weitere fünf | |
| Kinder „nachgelegt“. Auch von diesem Familienbonus möchte die sächsische | |
| SPD profitieren. „Wir setzen auf Martin, weil er bekannt und sympathisch | |
| ist und auch noch gut aussieht“, meint der sächsische Generalsekretär Dirk | |
| Panter. „Ein Zugpferd“ nennt er ihn. Doch nur „der nette Herr Dulig“ m�… | |
| der Kandidat eigentlich nicht sein. „Nett ist der kleine Bruder von | |
| ’Scheiße‘“, sagt er. | |
| ## Der 89er | |
| Dulig kann als Überzeugungstäter gelten. „Ja, ich bin ein | |
| Neunundachtziger“, erzählt er vom Herbst des Aufbruchs in der DDR. Seine | |
| drei älteren Brüder engagierten sich in der Opposition, wurden teils auf | |
| Demos verhaftet. Martin gründete mit einem Freund einen Schülerrat und in | |
| Moritzburg bei Dresden mit den „Jungen Sozialdemokraten in der DDR“ die | |
| erste SDP-Jugendorganisation. Als Christ musste er sich rechtfertigen, | |
| warum er nicht in der C-Partei landete. | |
| Stattdessen entpuppte er sich als frecher Juso und nicht als einer, der | |
| sich frühzeitig auf die Ochsentour durch die Parteihierarchie machen | |
| wollte. Im Gegenteil, auf einem Landesparteitag 2003 wäre Dulig beinahe | |
| Opfer eines Flügelstreits in der Parteispitze geworden und wurde auf den | |
| aussichtslosen Platz 31 der Liste zur Landtagswahl abgeschoben. Er wagte | |
| dann noch auf dem Parteitag eine Kampfkandidatur um Platz drei, die er | |
| gewann. Damals wurden die Weichen für den Aufstieg des heutigen | |
| Spitzenkandidaten gestellt. | |
| Selbstverständlich kann eine Partei im Wahlkampf nicht an einem Mann | |
| vorbeigehen, der seit 2007 ihr Fraktionsvorsitzender im Landtag und seit | |
| 2009 Landesvorsitzender ist. Aber wenn die 10,4-Prozent-SPD in Sachsen nun | |
| vollständig auf ihren Großen Vorsitzenden fixiert ist, gleicht das | |
| einerseits einem letzten Rettungsversuch, ist zugleich aber auch | |
| Bestandteil einer Strategie. In diesem an Kontroversen und Inhalten armen | |
| Wahlkampf spielen Personen ohnehin eine größere Rolle. „Wenn der Martin nur | |
| 3 oder 4 Prozent mehr holt, ist das schon ein großer Erfolg“, sagt der | |
| frühere Landesvorsitzende Michael Lersow. Tatsächlich sagen die Umfragen | |
| der SPD ein Ergebnis in dieser Größenordnung voraus. | |
| ## Nur eine Übergangswahl | |
| Aber das genügt noch lange nicht, um einen Ministerpräsidenten zu stellen. | |
| Diese Wahl ist keine Richtungswahl, und der Vorsitzende der drittstärksten | |
| Partei will sich nicht mit Parolen einer personellen Alternative zum | |
| amtierenden Ministerpräsidenten zum Gespött machen. Zumal sich die drei | |
| Oppositionsparteien Linke, SPD und Grüne auf keinen gemeinsamen | |
| Lagerwahlkampf verständigen konnten. Für die sächsische SPD ist dies | |
| schlichtweg eine Durchgangswahl, ein Schritt auf dem Weg zum ehrgeizigen | |
| Fernziel der Regierungsfähigkeit. „Gebt mir zehn Jahre Zeit und erwartet | |
| keine Wunder“, hatte Dulig bei seinem Amtsantritt als Landesvorsitzender | |
| gesagt. Die Dulig-Kampagne verfolgt einzig das Ziel, den Spitzenmann | |
| bekannter zu machen, langfristig aufzubauen und damit die Partei gleich | |
| mit. Ungewollt trifft es der Wahlslogan „Unser Sachsen für morgen“. Heute | |
| eben noch nicht. | |
| Zumindest in den Medien gelingt die Imagepflege. Auch überregional | |
| interessiert man sich für den Aufsteiger. 2010 kannte ihn nur jeder vierte | |
| Sachse, inzwischen soll sich sein Bekanntheitsgrad fast verdoppelt haben. | |
| In Betrieben, bei Gewerkschaftern, in Kindertagesstätten oder beim | |
| Landfrauenverband gewinnt Dulig in diesen Wochen gewiss noch einige | |
| Promille hinzu. Das macht seine gewinnende Art. Küchentisch statt | |
| Wahlkampfbühne, einer, der sich unters Volk mischt. Das ihn aber nicht | |
| immer erkennt, geschweige denn anspricht. Beim Stadtfest in Dresden Mitte | |
| August schlenderte er eine Stunde durchs Gewühl, geplaudert hat er nur mit | |
| zwei, drei vertrauten Moritzburgern. Beim Buhlen um Stimmen am Ostseestrand | |
| war es nicht viel anders. | |
| Wenn Dulig aber redet, ob zwanglos mit Leuten, ob mit Journalisten oder im | |
| Landtag, vermittelt er den Eindruck, die SPD habe feste und unterscheidbare | |
| Positionen und sei nicht die sprichwörtliche Umfallerpartei oder das | |
| Fähnlein im Wind. Niedriglöhne, Kita-Betreuungsschlüssel, lange Wartezeiten | |
| auf polizeiliche Hilfe, Ärztemangel auf dem Land oder bezahlbare Mieten in | |
| Großstädten sind solche griffigen Themen im Wahlkampf. | |
| ## Weiße Flecken | |
| „Ich repräsentiere eine neue SPD“, strotzt Kandidat Dulig vor | |
| Selbstbewusstsein. Den „Riesenschritt nach vorn“, den Abschied vom | |
| Verliererimage, den Aufbruch zu einer ferneren Mehrheitspartei soll dieser | |
| Wahlkampf vor allem demonstrieren. Weniger Kampf um politisches Terrain als | |
| Selbsttherapie einer gebeutelten Partei. Dulig weiß um die Strukturschwäche | |
| seiner Partei, die sich in Ostdeutschland nach 1989 neu aufstellen oder neu | |
| erfinden musste, er weiß, dass die SPD zur Kommunalwahl im Frühjahr nicht | |
| einmal flächendeckend mit eigenen Kandidaten antreten konnte. „Ich | |
| akzeptiere weiße Flecken“, erklärt er nüchtern und seufzt nicht einmal | |
| dabei. Dafür wolle man Stärken ausbauen, dort, wo man kommunal Pflöcke | |
| einschlagen konnte, wie in einigen sächsischen Mittelstädten. | |
| Anders als eine große Zahl von Skeptikern in der eigenen Partei hält der | |
| Chef die Koalitionsjahre 2004 bis 2009 als Juniorpartner der CDU nicht für | |
| verloren, sondern wiederholungsfähig. Obwohl die SPD bei der Wahl 2009 | |
| dafür die Quittung erhielt und im Nachhinein für alle möglichen | |
| Versäumnisse dieser Koalition allein verantwortlich gemacht wurde. Man habe | |
| wichtige Erfahrungen gesammelt, sagt Dulig freundlich, in der Kulturpolitik | |
| sogar nachhaltige Spuren hinterlassen. Eine Neuauflage der Koalition werde | |
| viel selbstbewusstere Genossen erleben. | |
| Die erneute CDU-Option ist nach dem 31. August durchaus wahrscheinlich. | |
| Gegen die Linke hat Martin Dulig eigentlich nichts. „Aber ein | |
| Lagerwahlkampf nutzt nur der Linken!“ Abgesehen davon, dass er dann auch | |
| nicht Ministerpräsident werden könnte. Und dann kommt das bekannte | |
| Argument, dass in einem rot-roten Regierungsbündnis im Grunde stets zwei | |
| sozialdemokratische Parteien am Werke wären, die SPD also verblassen würde. | |
| ## Personenkult oder staatsmännische Reife? | |
| Solche Schachzüge hat die intelligente Hoffnung der Sachsen-SPD in Gedanken | |
| durchgespielt. Herausgekommen ist die aktuelle Wahlkampftaktik im Rahmen | |
| einer langfristigen Strategie. Nicht allen passt das. Das scheidende | |
| investigative Schwergewicht der Fraktion, Karl Nolle, über dessen | |
| Recherchen nicht nur zwei Ministerpräsidenten stolperten, spricht gar von | |
| „Personenkult“. Das ficht den Spitzenkandidaten wenig an. Unbeirrt spielt | |
| er auf seiner Klaviatur als Spötter, Kumpel, offensiver Redner oder | |
| staatstragende Persönlichkeit. Nur verbale Trompetentöne wird man von dem | |
| Hobbytrompeter Dulig kaum hören. | |
| Zum Wahlkampfabschluss am Freitag hat die SPD zu einem merkwürdigen Festakt | |
| anlässlich der zehnjährigen Ost-Erweiterung der EU geladen. Neben dem | |
| derzeitigen tschechischen Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka und Polens | |
| Expräsident Leszek Miller soll auch Gerhard Schröder erscheinen. Macht man | |
| so Werbung für die SPD? Durchaus, meint ein Martin Dulig, der noch vor zehn | |
| Jahren die Agenda 2010 attackierte. Man entwickelt sich eben. Auf | |
| Konstanten bei den Duligs hingegen verweist der kommende Wahlsonntag. Da | |
| wird Martin erst seine Frau in den Moritzburger Kirchenvorstand wählen, | |
| bevor er unter Blitzlichtgewitter seinen Zettel in die Landtagswahlurne | |
| schmeißt. Er dürfte seinen Namen angekreuzt haben. | |
| 29 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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