| # taz.de -- Neue Verfahren gegen Auschwitz-Täter: Beihilfe zum Mord in 300.000… | |
| > Die Ermittlungen gegen weitere Täter des KZ stehen vor dem Abschluss. Im | |
| > April beginnt ein Prozess. Dort suchen Überlebende die Konfrontation. | |
| Bild: Auch die Wächter an den elektrisch geladenen Zäunen ermöglichten erst … | |
| BERLIN taz | Der Täter ist, eine ganz seltene Ausnahme, geständig. Oskar G. | |
| war Buchhalter in Auschwitz. Der heute 93 Jahre alte Mann war dazu | |
| abkommandiert, das Geld der Ermordeten in dem Vernichtungslager zu zählen. | |
| Oskar G. hat Zeugnis abgelegt. Allein neun Stunden lang ließ er sich von | |
| der BBC interviewen, berichtete von Details der Massenmorde. | |
| Nur ein Täter, das will Oskar G. nicht gewesen sein. Dem Spiegel sagte der | |
| ehemalige SS-Angehörige: „Ich fühle mich schuldig gegenüber dem Volk der | |
| Juden, in einer Truppe gewesen zu sein, die diese Verbrechen begangen hat, | |
| ohne dass ich dabei Täter war.“ | |
| Am 21. April diesen Jahres, im 71. Jahr nach der Befreiung von Auschwitz | |
| und 50 Jahre nach Beginn des Frankfurter Auschwitz-Verfahrens, soll vor dem | |
| Landgericht Lüneburg der Prozess gegen Oskar G. beginnen. Die | |
| Staatsanwaltschaft Hannover wirft ihm Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen | |
| vor. Während seiner Zeit im Lager fand die sogenannte „Ungarn-Aktion“ | |
| statt, bei der innerhalb weniger Wochen fast die gesamte jüdische | |
| Bevölkerung des Landes ermordet wurde. | |
| 50 Frauen und Männer, darunter größtenteils Überlebende der Verfolgung, | |
| haben sich als Nebenkäger registrieren lassen. „Einige von ihnen wollen | |
| nach Lüneburg kommen“, sagt Nebenkläger-Anwalt Thomas Walher. „Sie suchen | |
| die Konfrontation mit dem Angeklagten und der Justiz. Sie hoffen auf ein | |
| Wort der Entschuldigung oder der Einsicht.“ | |
| ## Verfahren gegen drei Wachmänner | |
| 50 Vorermittlungsverfahren gegen frühere Auschwitz-Wachmänner hatte die | |
| Zentrale Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg vor knapp | |
| zwei Jahren abgeschlossen und an die zuständigen Staatsanwalten abgegeben. | |
| Drei davon sind übrig geblieben. „Einen großen Erfolg“ nennt | |
| Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm von der Zentralen Stelle dieses Ergebnis. Man | |
| dürfe sich beim Alter der Beschuldigten keine Illusionen machen, nur die | |
| wenigsten von ihnen seien noch prozessfähig. | |
| Anders als im Verfahren gegen Oskar G. in Lüneburg sind die Untersuchungen | |
| der Staatsanwaltschaften in den beiden anderen Fällen noch nicht | |
| abgeschlossen. In Dortmund ermittelt Oberstaatsanwalt Andreas Brendel gegen | |
| einen 93-Jährigen aus dem Kreis Lippe, der im Verdacht steht, über zwei | |
| Jahre lang in Auschwitz eingesetzt gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft | |
| Schwerin will ihre Ermittlungen gegen einen 94-Jährigen aus dem Raum | |
| Neubrandenburg „in einigen Wochen“ beendet, sagt Sprecher Stefan Urbanek. | |
| Der Mann soll im September 1944 als SS-Sanitäter in Auschwitz eigesetzt | |
| worden sein. Während seines Einsatzes kamen acht Transporte in Auschwitz | |
| an. 1.721 dieser Menschen wurden sofort in den Gaskammern getötet. | |
| 6.000 mutmaßliche Täter aus Auschwitz sind der Zentralen Stelle namentlich | |
| bekannt. Die allermeisten sind längst verstorben und nur die allerwenigsten | |
| von ihnen mussten sich jemals vor einem Gericht verantworten. | |
| Oskar G. kam zwar mit der Nachkriegsjustiz in Berührung – doch lediglich | |
| als Zeuge. Der Bundesgerichtshof hatte 1969 bestimmt, dass für eine | |
| Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord die individuelle Schuld erwiesen sein | |
| müsse. Und so durften die Männer – und wenigen Frauen – aus Auschwitz, die | |
| als Wächter an den elektrisch geladenen Zäunen gedient hatten, die in den | |
| Büros bei der Verwaltung der Mordmaschine tätig waren, oder in der Kantine | |
| die SS mit Essen und Schnaps versorgten, also all jene, die den Komplex | |
| Auschwitz erst ermöglichten, einen ruhigen Lebensabend genießen. | |
| ## Urteil gegen Demjanjuk veränderte die Rechtslage | |
| Erst das Urteil des Landgerichts München gegen John Demjanjuk im Jahre 2011 | |
| hat für eine veränderte Rechtslage gesorgt. Der Ukrainer war als | |
| „Hilfswilliger“ der SS im Vernichtungslager Sobibor eingesetzt worden und | |
| wurde verurteilt, obwohl ihm kein individueller Mord nachgewiesen werden | |
| konnte – schlicht, weil alle Diensthabenden in Sobibor an den Morden | |
| mitwirkten. | |
| Seitdem hat die Zentrale Stelle seine Tätigkeit ausgeweitet. Ermittler | |
| überprüfen in mühsamer Handarbeit in Brasilien, Peru und Ecuador alte | |
| Einwanderungsakten auf der Suche nach NS-Tätern. Die sieben Ludwigsburger | |
| Beamten lassen sich sowjetische Justizurteile aus den 1940er Jahren | |
| vorlegen, in der Hoffnung, dort Hinweise auf nie gesühnte NS-Mordtaten zu | |
| finden. | |
| Sie wollen, sagt Leiter Schrimm, auch noch einmal zu Auschwitz auf | |
| Tätersuche gehen. Im vergangenen Jahr haben sie die Ermittlungen gegen | |
| knapp 20 mutmaßliche Täter im Vernichtungslager Majdanek abgeschlossen und | |
| an die Staatsanwaltschaft weitergereicht. Oberstaatsanwalt Brendel von der | |
| Dortmunder Schwerpunktstaatsanwaltschaft für NS-Delikte prüft derzeit 16 | |
| Ermittlungsverfahren. Die biologische Uhr spricht gegen eine größere Zahl | |
| weiterer NS-Prozesse. Doch solange noch eine Chance besteht, will man | |
| weiter ermitteln. | |
| 27 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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