# taz.de -- Flucht aus dem Kosovo: „Wir haben kein Geld mehr für Essen“ | |
> Milliarden Euro der EU flossen in den Kosovo – doch das Land ist ärmer | |
> als je zuvor. 50.000 Menschen haben das Land seit November 2014 | |
> verlassen. | |
Bild: Kehren dem Kosovo den Rücken zu: einige Flüchtlinge. | |
SARAJEVO taz | Die Bilder der Flüchtlinge aus dem Kosovo im Fernsehen | |
schockieren selbst die Menschen im leidgeprüften Bosnien und Herzegowina. | |
Sie zeigen Kosovoalbaner, die teilweise mit Gewalt in Prishtina einen Platz | |
im Bus nach Serbien zu ergattern versuchen. Täglich wollen Hunderte | |
Menschen den Kosovo verlassen, um ihr Glück in „Europa“ zu finden – im | |
Januar waren es rund 20.000, seit Ende November 50.000 Menschen. | |
An der serbischen Grenze zu Ungarn stauen sich die Flüchtenden. Sie | |
versuchen die Grenze zu Fuß zu überwinden und – die meisten schaffen so den | |
Eintritt in die EU. Denn die Grenze zwischen Serbien und Ungarn ist seit | |
1989 durchlässig geworden. Grenzbefestigungen gibt es, die wenigen | |
serbischen und ungarischen Zöllner und Polizisten sind überfordert. „Es | |
sind 500 oder 1.000 Flüchtlinge jeden Tag“, sagt Laszlo Toroczkai, | |
Bürgermeister des 10 Kilometer von der Grenze liegenden ungarischen | |
Dörfchens Asotthalom. „Sie kommen täglich, rund um die Uhr.“ 80 Prozent v… | |
ihnen seien Kosovoalbaner, die anderen stammen aus Syrien, Afghanistan und | |
Afrika. | |
Es kommen nicht nur Einzelne, sondern ganze Familien mit Kleinkindern auf | |
dem Arm. „Wir sind hier, weil wir im Kosovo kein Geld mehr für Essen | |
haben“, sagt ein Familienvater. „Ich kann meine Kinder nicht ernähren.“ … | |
Flüchtenden schließen sich zu Gruppen zusammen und versuchen in die | |
ungarische Kreisstadt Szeget zu gelangen. Viele werden dann von den | |
ungarischen Behörden registriert, doch das von der Wirtschaftskrise | |
gebeutelte Ungarn kann und will nicht für sie sorgen. | |
Ungarn ist ohnehin nicht das Ziel: Der Weg führt weiter nach Österreich und | |
Deutschland. Hauptgrund für die Fluchtbewegung ist die miserable | |
wirtschaftliche Lage im Kosovo, die sich auch seit der Unabhängigkeit von | |
Serbien 2008 nicht gebessert hat. Kosovo lebe in einer paradoxen Situation, | |
sagt ein Mitarbeiter des Sozialministeriums in Prishtina: „Kosovo ist das | |
isolierteste Land in Europa, obwohl hier immer noch die internationalen | |
Institutionen stark präsent sind.“ | |
## Kritik an internationaler Gemeinschaft | |
Nach wie vor seien die Eufor-Truppen und die Rechtsstaatsmission Eulex mit | |
ihren fast 2.000 Mitarbeitern im Land. Albin Kurti, Vorsitzender der Partei | |
Selbstbestimmung, hat schon vor Jahren beklagt, dass die internationale | |
Gemeinschaft zwar Milliarden Euro im Kosovo für sich selbst verbraucht | |
habe, aber nur wenig für den wirtschaftlichen Aufbau unternommen habe. | |
Bedrückend für die Menschen sei auch, dass die Bewohner aller anderen | |
Länder des Balkans frei in die EU reisen können, die Kosovoalbaner aber | |
nicht. | |
Die nach dem Krieg 1998/99 von Serbien unabhängig gewordenen Kosovoalbaner | |
versuchen sogar serbische Pässe zu erlangen. Sie nutzen damit die serbische | |
Position aus, dass der Kosovo und seine Bewohner zu Serbien gehörten. | |
60.000 Kosovoalbaner haben in den vergangenen Monaten um die Ausstellung | |
eines serbischen Passes gebeten, der es ihnen erleichtern soll, frei in die | |
EU zu reisen. | |
## Armut, Perspektivosigkeit und Korruption | |
Von den 1,8 Millionen Kosovoalbanern lebt nach Schätzungen internationaler | |
Organisationen rund die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, die | |
Arbeitslosigkeit liegt bei 40 bis 60 Prozent, in den ländlichen Gebieten | |
noch höher – verlässliche Statistiken gibt es nicht. „Die Menschen haben | |
angesichts der Korruption im Staat die Nase voll“, sagt der bekannte | |
Intellektuelle Skelzen Maliqi, der in der albanischen Hauptstadt Tirana | |
lebt. | |
Armut, Perspektivlosigkeit, die Korruption im Staate und das Gefühl, | |
eingesperrt zu sein, sind offenbar die Hauptbeweggründe für die Flucht. | |
Hinzu kommen die Menschenhändler und Schleuser, die im ganzen Land | |
verbreiten, die Flüchtlinge bekämen in Deutschland sofort eine Wohnung und | |
einen Job. 300 Euro kostet es, nach Ungarn geschleust zu werden. „Das ist | |
ein Riesengeschäft für die Schleuser. Wir versuchen die Menschen darüber | |
aufzuklären, dass sie kaum eine Chance haben, in der EU als Asylant | |
anerkannt zu werden“, verrät ein Mitglied der Regierung in Prishtina. „Doch | |
die Leute klammern sich an diese vage Hoffnung.“ | |
12 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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