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# taz.de -- Ostermärsche in der Krise: Die Baisse der Friedensbewegung
> Überall herrscht Krieg. Trotzdem geht kaum jemand auf die Straße. Aber
> Pazifisten hatten in Deutschland noch nie einen leichten Stand.
Bild: So frisch wie Altpapier: Friedensdemonstrant am Ostersamstag in Berlin
BERLIN taz | An diesem Wochenende feiert der Ostermarsch seinen 55.
Geburtstag. Vielerorts werden einige hundert, mal auch nur ein paar Dutzend
Menschen für den Frieden auf die Straße gehen. Es sind die Übriggebliebenen
einer Bewegung, die zu ihren besten Zeiten Hunderttausende mobilisieren
konnte.
Friedlicher ist die Welt seitdem nicht geworden. Aber für Frieden zu
demonstrieren, ist aus der Mode gekommen. Während der Rüstungsetat steigt
und sich die Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer weltweit
operierenden Interventionsarmee transformiert, befindet sich die
Friedensbewegung in einer tiefen Krise. Wenn sie nicht ignoriert werden,
ernten die wenigen Unverdrossenen bestenfalls Achselzucken, bei weniger
Wohlmeinenden Hohn und Verachtung.
Dieses Phänomen ist allerdings nicht nur selbstverschuldet. Die Kritik an
der Friedensbewegung ist so alt wie sie selbst. Ihr pazifistischer Kern
wurde stets angefeindet. Bertha von Suttner, Carl von Ossietzky und Ludwig
Quidde, die hervorstechendsten Köpfe der Antikriegsbewegung vor dem Ersten
Weltkrieg und in der Weimarer Republik, waren trotz ihrer
Friedensnobelpreise politische Außenseiter. Das galt auch für jene
Friedensfreunde, die sich 1960 am ersten Ostermarsch in Deutschland
beteiligten. Initiiert worden war der mehrtägige Sternmarsch von den
pazifistischen Quäkern Konrad und Helga Tempel, die die Ostermarsch-Idee
aus Großbritannien importiert hatten.
„Das Unternehmen wurde von Ost und West, links und rechts mit Häme und
Spott überschüttet“, erinnert sich der Pazifist Andreas Buro. „Naive
Sektierer“ und „idealistische Spinner“ seien noch die freundlichsten
Bezeichnungen gewesen. Buro war einer der etwa 1.000 Demonstranten, die
damals „gegen atomare Kampfmittel jeder Art und jeder Nation“
protestierten. Der mittlerweile 86-Jährige hat alle Höhen und Tiefen der
Bewegung miterlebt, bis heute ist er ihr trotz vieler Rückschläge treu
geblieben.
## Wiederbelebung in den 80ern
Der klein gestartete Ostermarsch steigerte seine Teilnahmezahlen aber von
Jahr zu Jahr. Seinen Höhepunkt erreichte er im April 1968, als sich – in
Zeiten von Vietnam und Studentenbewegung – bundesweit rund 300.000 Menschen
an der „Kampagne für Demokratie und Abrüstung“ beteiligten. Vier Monate
später marschierten die Truppen des Warschauer Paktes in der CSSR ein und
schlugen den Prager Frühling nieder. In den Folgemonaten spaltete sich der
„Zentrale Ausschuss“, das Organisationskomitee des Ostermarsches. Der
Grund: Der in der neu gegründeten DKP und ihren Vorfeldvereinen
organisierte moskauorientierte Teil lehnte es ab, die Militärintervention
zu verurteilen. Die Folge: Ein Jahrzehnt lang konnten sich die
Friedensfreunde an den Osterfeiertagen einer anderen Freizeitgestaltung
widmen.
Die Wiederbelebung fand Anfang der 1980er statt. Im Zuge der
Auseinandersetzung um den Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung
US-amerikanischer Mittelstreckenraketen erlebte der Ostermarsch seinen
zweiten Frühling. Plötzlich demonstrierten wieder Hunderttausende für den
Frieden – und nicht nur an Ostern. „Ich bin für die Friedensbewegung, für
das große Bündnis zum Kampf gegen das größte Übel, den Atomkrieg“, schri…
der Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza 1981. „Sozialisten und
Kommunisten waren die ersten, umso besser, wenn nun auch Christen,
Bürgerliche, ja Deutschnationale den Friedenskampf unterstützen.“
In jenem Herbst hatten sich mehr als 300.000 Menschen auf der Bonner
Hofgartenwiese versammelt. Ihren Zenit erreichte die wiederbelebte Bewegung
zwei Jahre später, als sich an gleicher Stelle rund 500.000 Menschen
versammelten, um für „Petting statt Pershing“ zu demonstrieren. Insgesamt
gingen an jenem 22. Oktober 1983 etwa 1,3 Millionen Menschen bundesweit
gegen den atomaren Rüstungswettlauf auf die Straße.
Es ist die Erinnerung an diese Massen, an der nach wie vor alle Aktivitäten
gemessen werden. Doch das verzerrt das Bild. Die zweijährige Hausse der
Friedensbewegung war eine historische Ausnahme, die Baisse hingegen die
Regel. Dass sich von 1981 bis 1983 so viele Menschen friedensbewegt
zeigten, verdankte sich einer kollektiven Suggestion: der vermeintlich ganz
realen Bedrohung, Opfer eines atomaren Kriegs in Mitteleuropa zu werden.
„In den 80ern dachten die Menschen, ihnen fällt der Himmel auf den Kopf –
dann war der Dritte Weltkrieg auf einmal abgesagt“, formulierte es der im
vergangenen Jahr verstorbene Geschäftsführer des Netzwerks
Friedenskooperative, Manfred „Mani“ Stenner.
## Punktuelle Erfolge in Krisenzeiten
Die damalige Bewegung war also nicht Ausdruck eines allgemeinen
Antimilitarismus, sondern einer kollektiven Betroffenheit. Es ist stets –
nicht nur in Deutschland – die Angst um das eigene Leben und nicht das
anderer, die die Leute auf die Straße treibt. Das lässt sich beklagen, es
ändert aber nichts. Dass es die deutsche Friedensbewegung nur noch in
Rudimenten gab, „als wirklich Krieg war und die Deutschen endlich wieder
Bomben werfen durften auf Belgrad“ (Gremliza), überrascht da nicht.
Gefesselt an ihren zeitweiligen Erfolg führen die Organisationen seitdem
permanente Krisendiskussionen, nur temporär unterbrochen von dem einen oder
anderen punktuellen Mobilisierungserfolg, etwa anlässlich der Golfkriege
1991 und 2003.
Bei militärischen Konflikten unter Beteiligung der Bundeswehr fiel der
Protest dagegen mickrig aus: Zur Demonstration gegen den
völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg im Mai 1999 verliefen sich gerade mal
25.000 Menschen. Auch der Afghanistankrieg lockte nicht viele hinterm Ofen
hervor. Und das, obwohl sich laut Umfragen kontinuierlich eine deutliche
Mehrheit der Bevölkerung gegen deutsche Auslandseinsätze ausspricht.
An dieser allgemeinen Müdigkeit würde auch eine Strategiediskussion nichts
ändern. Aber schaden täte sie ebenso wenig. Stattdessen hat sich die
Friedensbewegung selbst zum dogmatisch verknöcherten Randphänomen
entwickelt. Bester Beleg dafür ist der jüngste, recht unerquickliche Streit
über die Zusammenarbeit mit krawalligen Polit-Esoterikern und
Verschwörungstheoretikern.
Dass manch Altvorderer der kruden Idee verfallen ist, die rechtsoffenen
„Montagsmahnwachen“ könnten sich als Frischzellenkur für den ergrauten
Friedenskampf erweisen, zeugt nicht nur von einem erschreckenden
Realitätsverlust, sondern weist auf ein grundlegendes Problem: Denn was die
„Mahnwachenbewegung“ mit einem Großteil der verbliebenen Friedensbewegung
eint, ist ihr intellektuell unterkomplexes Freund-Feind-Denken: Da der böse
Westen, dort das gute Russland mit seinem großen Führer Wladimir Putin.
## Ist die Welt zu kompliziert?
So fand sich im diesjährigen Aufruf für den Ostermarsch Rhein/Ruhr zwar
eine scharfe Anklage gegen die Staaten der EU und der Nato, die „fast
ausschließlich auf eine militärische Durchsetzung ihrer Interessen setzen“
und „gegenüber Russland eine Konfrontationspolitik betreiben“ würden. Eine
Verurteilung der Annexion der Krim und der militärischen Intervention
Russlands in der Ostukraine sucht man hingegen vergebens. Das erinnert an
die fatale Auseinandersetzung in der damals noch weitaus größeren
Ostermarschbewegung Ende der 1960er Jahre um den Einmarsch in die CSSR. Von
Karl Marx stammt das Bonmot, dass sich Geschichte bisweilen zweimal
ereignet: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.
Ist die Welt nach dem Ende der alten Ost-West-Konfrontation einfach zu
kompliziert für die Friedensbewegung geworden? Sicherlich wäre es
hilfreich, wenn der ein oder andere Traditionslinke wahrnehmen würde, dass
das Russland Putins außer seinem Autoritarismus nur wenig mit der einst
vergötterten Sowjetunion gemein hat. Aber es wäre Geschichtsklitterung, den
Anhängern eines dichotomischen Weltbilds eine Majorität in der alten
Friedensbewegung anzudichten. Die „Moskau-Fraktion“ war eine Minderheit und
die Parole „Schwerter zu Pflugscharen“ nicht nur bei den unabhängigen
Friedensinitiativen in der DDR populär.
Was sich tatsächlich gravierend geändert hat, ist die Rolle der
Bundesrepublik: Out-of-area-Einsätze gehören mittlerweile zum
Standardrepertoire deutscher Politik – das wäre vor 1990 schon aus
verfassungsrechtlichen Gründen undenkbar gewesen. Was sich ebenfalls
verändert hat: Zu früheren Zeiten sorgte es noch für Empörungsstürme, wenn
ein CDU-Generalsekretär hetzte, der Pazifismus habe „Auschwitz erst möglich
gemacht“. Heutzutage ist solch Diffamierung bis tief ins rot-grüne Lager en
vogue, und zwar bei all jenen, die inzwischen in der Nato und der
Bundeswehr den bewaffneten Arm von Amnesty International erblicken.
„Vielleicht wird man sich einmal mit Trauer an die Chance erinnern, die die
Deutschen, von den Siegermächten des 2. Weltkrieges entwaffnet, später
verfassungsrechtlich auf die Verteidigung des eigenen Hoheitsgebietes
beschränkt, verspielt haben, als sie sich unter Anführung ‚christlicher‘
Politiker wieder nach Waffen und militärischen Einsatzmöglichkeiten an
allen Krisenherden der Welt gedrängt haben“, schrieb vor ein paar Jahren
der Pazifist Heinrich Hannover. „Ein Carl von Ossietzky stünde auch in der
Berliner Republik auf verlorenem Posten.“ Es wäre gut, wenn er da
wenigstens nicht ganz alleine stehen müsste.
4 Apr 2015
## AUTOREN
Pascal Beucker
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