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# taz.de -- Ostermärsche in Deutschland: Frieden in der Krise
> Die einen setzen auf Kerzen und interreligiöses Gebet, die anderen zeigen
> Flagge, auch die russische. Eine Beobachtung an drei Orten.
Bild: Ostermarsch 2015 in Berlin: die Friedenstaube voran.
BIBERACH/ERFURT/BERLIN taz | Monty Schädel hat ein Problem. Es hat etwas zu
tun mit dem Button, den er gerade aus seiner Tasche gezogen hat.
„Friedenswinter“ steht darauf – der Geschäftsführer der Deutschen
Friedensgesellschaft DFG-VK hat ihn selbst designt. Das ist schon ein paar
Monate her. Damals, als auch Schädel den „Friedenswinter“, die gemeinsame
Kampagne der klassischen Friedensbewegung mit den wegen Rechtslastigkeit
umstrittenen Montagsmahnwachen, begrüßte.
Jetzt steht er am Rande des Berliner Ostermarsches und sagt: „Ich will
nicht öffentlich diskutieren, was rechts ist, was Faschismus ist und ob die
BRD eine GmbH ist. Das sind nicht meine Diskussionen, und sie sind einer
Friedensbewegung unwürdig.“
Wäre er mal lieber ins oberschwäbische Biberach gefahren. Dort auf dem
Marktplatz stecken Mitglieder des örtlichen Friedensbündnisses kurz vor
Beginn ihrer Kundgebung einen Kreis mit Windlichtern und Schildern ab. Auf
jedem steht das Wort „Frieden“ in einer anderen Sprache: Inuit, Georgisch
oder Yoruba.
Auf dem Boden liegen Pace-Fahnen. Organisator Roland Groner schüttet
Streichholzschachteln in einen Osterkorb, jede mit einem Sticker in
Regenbogenfarben und der Aufschrift „Friedensbündnis Biberach“ beklebt.
Der Streit zwischen Teilen der klassischen Friedensbewegung und Vertretern
der neurechten Montagsmahnwachen ist hier gänzlich unbekannt. Den Namen Ken
Jebsen haben die Biberacher noch nie gehört. Jebsen, der Mahnwachenstar,
der immer wieder durch seine mangelnde Abgrenzung nach rechts außen und
seinem Hang zu Verschwörungstheorien auffällt, hatte zuletzt auch Monty
Schädel scharf attackiert.
## Heilige Allianz in Biberach
Was in Ulm passiert, kriegen Groner und seine Mitstreiter noch mit, aber
Berlin ist weit weg, nicht nur geografisch. Mit Verschwörungstheorien oder
politischen Grabenkämpfen kann man sich in Berlin herumschlagen, in
Biberach ist Frieden.
Dieses Jahr sogar noch ein bisschen mehr als sonst. Erstmals spricht neben
dem katholischen Pfarrer und dem muslimischen Imam auch der evangelische
Dekan. Bislang hatte der sich stets geweigert, an diesem „Tag der Stille“
öffentlich aufzutreten. Die Hauptfrage der Veranstaltung formuliert der
pensionierte Pfarrer Groner in seiner Eröffnungsrede: „Haben Religionen ein
Friedenspotenzial, oder sind sie für Gewalt verantwortlich?“
Die Antwort, die die Religionsvertreter im Anschluss geben, steht schon
vorher fest: Religion und Frieden bilden in Biberach, das genau auf dem
Jakobsweg liegt, eine heilige Allianz.
Für den Ukrainekonflikt oder das Massensterben in Syrien interessiert man
sich hier eher am Rande. Die etwa 200 Menschen, die rings um die Kerzen
stehen, machen keinen sonderlich besorgten oder gar wütenden Eindruck.
Ruhig folgen sie den pastoral vorgetragenen Reden, zwischendurch singen sie
davon, „dass Frieden werde unter uns“.
## „Frieden schaffen mit weniger Waffen“
Den politischen Part übernimmt Ralph Lange, Leiter eines Gymnasiums und
Grünen-Mitglied. In seiner Rede kritisiert er Rüstungsexporte und
Drohneneinsätze. Lange ist in der Friedensbewegung aktiv, seit er 15 Jahre
alt ist. Ein Pazifist sei er, aber kein radikaler. Das Ziel heiße zwar
„Frieden schaffen ohne Waffen“, sagt er in seinem Vortrag, doch der Weg
dahin sei eher ein „Frieden schaffen mit weniger Waffen“.
So reformistisch würde Schädel es nicht formulieren – das Motto des
Berliner Ostermarsches lautet „Die Waffen nieder“, in Anlehnung an die
Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner. Und so will Schädel in
seiner Eröffnungsrede das in den Mittelpunkt stellen, wogegen die Bewegung
angetreten ist: die Militarisierung der Gesellschaft, die Bundeswehr,
Rüstungsexporte, Atomwaffen, Krieg.
## Donezkflagge in Berlin
Doch den Gefallen wollen ihm viele der Teilnehmenden nicht tun. Während
Schädel auf der Bühne steht und davon spricht, dass Krieg kein Mittel der
Politik sein darf, erörtern die Menschen untereinander fleißig ihre
Positionen in Sachen „Friedenswinter“. Ganz am hintersten Ende des Platzes
stehen zwischen einigen Russland- und Donezkflaggen zwei kleine Grüppchen,
die trotzig ihre Mahnwachentransparente emporhalten.
Eine Frau tritt auf sie zu, um ihnen ihre Solidarität zu versischern, ein
weiterer Mann taucht auf und erklärt, in Zukunft noch mehr für sie kämpfen
zu wollen. Um den Hals ein Schild mit der Aufschrift „Die Friedensbewegung
lässt sich nicht spalten“.
Auch Schädel hat den Friedenswinter nicht von vornherein abgelehnt. Aber er
besteht darauf: „Wer die Tür nach rechts öffnet, gehört für mich nicht zur
Friedensbewegung.“
## „Tödliches Handwerk“
Startpunkt der Demonstration ist der Dorothea-Schlegel-Platz, direkt am
Bahnhof Friedrichstraße. Hier befindet sich seit Ende 2014 der „Showroom“
der Bundeswehr – zwischen Aschenbachs Apotheke und dem Schuhgeschäft
„Think!Store“. Im Schaufenster prangt das Logo der Bundeswehr, daneben der
Schriftzug „Wir.Dienen.Deutschland.“. Der Showroom ist Teil einer Kampagne
des Verteidigungsministeriums, mit dem es die Bundeswehr zum „attraktivsten
Arbeitgeber Deutschlands“ machen will.
„Man könnte es auch als Werbekampagne für eine ’Mordstruppe mit einem
tödlichen Handwerk‘ bezeichnen“, sagt Schädel in seiner Rede. Soldaten
seien Mörder. „Da ist nichts attraktiv dran“, ruft er. „Krieg beginnt ni…
erst mit dem Waffeneinsatz“, erklärt Schädel. „Krieg beginnt bereits dort,
wo Militär als etwas Normales oder gar Attraktives dargestellt wird.“
Es dürfe nicht sein, dass Kinder in Kasernen eingeladen werden, um dort auf
Panzern herumzuklettern, wird auch Uwe Hiksch später sagen. Er ist der
„Hansdampf in allen Gassen“ der Friedensbewegung. Zahlreiche Demos hat der
Mann, dem die SPD irgendwann nicht mehr links genug war, bereits
organisiert, heute darf er selbst ans Mikrofon: auf der Abschlusskundgebung
im Lustgarten.
## Abschluss im Lustgarten
Hier hatten schon vor dem Ersten Weltkrieg die Antikriegsdemonstrationen
stattgefunden, und von hier wandte sich Kaiser Wilhelm II. 1914 zu
Kriegsbeginn an die Bevölkerung und erklärte, er „kenne keine Parteien“
mehr.
Die Sonne scheint, die Menschen tanzen zur Musik der Band Miserlu. Hiksch
ist zufrieden. Es seien mehr Menschen gekommen als im letzten Jahr, sagt
er. Die Polizei spricht von 1.000 Teilnehmenden, der Veranstalter von 1.500
– die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen. An Zahlen wie bei den
Ostermärschen 1983 – deutschlandweit 1,3 Millionen – kommt das bei Weitem
nicht heran, aber solchen Illusionen geben sich die Organisatoren schon
lange nicht mehr hin.
## Nur 80 in Erfurt
In Erfurt schon gar nicht. Zwischen Tausenden Einkaufsbummlern fallen die
knapp 80 Ostermarsch-Teilnehmer kaum auf. Am sichtbarsten ist ein
knallrotes Plakat der Linkspartei mit der Aufschrift „Wir alle sind
Ausländer – fast überall“. Die Solidarität mit Flüchtlingen ist als
inhaltliche Aussage für die Veranstaltung bewusst gewählt.
„Wir hatten die Befürchtung, dass auch Teilnehmer des Mahnwachenspektrums
zu unserer Demonstration kommen würden“, sagt Veranstalter Christian
Schaft. Der schmächtige 24-Jährige mit Skinny-Jeans und schwarzem
Kapuzenpullover sitzt seit dem vergangenen Herbst für die Linkspartei im
Erfurter Landtag. In seiner Begrüßungsrede sagt er, „Friedensaktivismus und
Antifaschismus müssen Hand in Hand gehen“.
Niemand widerspricht. Dass rechte und antisemitische Verschwörungsideologen
nicht willkommen sind, wie es Schaft deutlich formuliert, ging bereits aus
dem Aufruf hervor.
## Den russischen Präsidenten verstehen
Gekommen ist etwa ein Dutzend Mitglieder der veranstaltenden Linksjugend
Solid, das auch das örtliche Antifa-Spektrum vertritt, dazu
Parteimitglieder älteren Semesters. Auch Fahnen der DKP, der
NaturjugendFreunde und ein Plakat der Satirepartei „Die Partei“ sind zu
sehen.
Ein Mann, Typ Seefahrer, trägt ein Schild auf dem steht: „NATO* schafft
Flüchtlinge“. Darunter: „*Saubande“. Er gehöre „nicht zu den Artigen�…
erklärt der ehemalige Lehrer Siegfried Wolff. Als Putin-Versteher möchte er
sich nicht bezeichnen, aber es wäre viel geholfen, wenn Politiker und
Medienvertreter versuchen würden, den russischen Präsidenten zu verstehen.
„Als Russe würde ich mich auch bedroht fühlen“, sagt Wolff.
Doch an diesem Tag geht es vor allem um den Widerspruch zwischen selbst
formuliertem Anspruch und Realität der Stadt Erfurt. Seit 1991 bezeichnet
sich die thüringische Landeshauptstadt als „Stadt des Friedens“. Im 2013
eröffneten Logistikzentrum koordiniert die Bundeswehr ihre weltweiten
Auslandseinsätze. In und um Erfurt ist die Bundeswehr mit mehreren Kasernen
präsent, es gibt ein Dienstleistungszentrum, und auch ein Kriegsschiff
fährt seit einiger Zeit mit dem Namen „Erfurt“ über die Meere.
## Noch ein weiter Weg
Bei der Zwischenkundgebung vor dem Dienstleistungszentrum in der
Thälmannstraße weist Schaft darauf hin, dass auch thüringische Firmen IT
und Logistik für die Bundeswehr entwickeln und die Universitäten in Jena,
Ilmenau und Erfurt viel Geld für Militärforschung erhalten. Das Motto des
Tages lautet: „Frieden beginnt vor Ort.“
Auch der Ausruf „Nie wieder“ fällt mehrfach an diesem Nachmittag. Nie
wieder Krieg. Nie wieder Faschismus. Bereits am Vormittag hatten Aktivisten
am früheren Außenlager des KZ Buchenwald im Jonastal in diesem Sinne der
Opfer gedacht. Nach Ende der Kundgebung in Erfurt wird bekannt, dass sowohl
das abgelegte Blumengebinde als auch eine Gedenktafel beschädigt wurden.
Bis zum Frieden ist es noch weit.
6 Apr 2015
## AUTOREN
Dinah Riese
Erik Peter
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