Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Roter Faden: Friedensbewegung dringend gesucht
> Es herrscht Krieg und das Industrienationenpublikum schaut mit Gruseln zu
> und wieder weg. Frieden ist anstrengend - er ist out.
Bild: Panzer auf der Krim.
Den Antiamerikanismus der Friedensbewegung und die Lust an
Weltuntergangsszenarien fand ich immer befremdlich und die Ostermärsche zu
christlich. Lieber fuhr ich mit meinen Schulfreundinnen auf
Anti-Atomkraft-Demos nach Wackersdorf oder protestierte in Memmingen gegen
die Kriminalisierung eines Arztes, der Abtreibungen vorgenommen hatte. An
Hitlers Geburtstag liefen wir gegen die Alt- und Neunazis auf, schließlich
wohnten wir in Nürnberg, und in den späten 80ern war die Stadt bei
Adolffans gut gelitten.
Dann marschierten die USA und Großbritannien 2003 in den Irak ein und
Hunderttausende in Sicherheit lebende Deutsche sowie rund 9 Millionen
weltweit gingen auf die Straße, es war die größte Aktion der
Friedensbewegung überhaupt. Wir waren nicht dabei, denn wir fanden das
Gerede vom dritten Weltkrieg peinlich.
Oma erzählt vom Krieg – wozu diese Erinnerungsarbeit?
Deswegen, weil das, von dem wir modebewussten Antifa-Feministinnen uns ohne
viel Nachdenken absetzten, heute so fehlt: die Friedensbewegung. Wo ist sie
angesichts von 170.000 Toten in Syrien und geschätzten 50 Millionen
Menschen weltweit auf der Flucht, angesichts von islamistischen Faschisten,
die mithilfe von rechtsradikalen Kämpfern aus aller Welt über Staatsgrenzen
hinweg ein „Kalifat“ ausrufen? Nahezu unbehelligt bauen gut organisierte
Durchgedrehte einen Staat auf, treiben Steuern ein, händigen Quittungen
aus, Christen müssen extra zahlen oder fliehen oder werden gleich
exekutiert. Das Industrienationenpublikum schaut mit (wohligem) Gruseln zu
und dann wieder weg und begreift nicht, was dort passiert, weil es ja
nichts mit ihm zu tun habe.
## Deutschland verdient gut daran
Solange in Deutschland keine Bombe hochgeht und Frauen sich weder
verschleiern noch beschneiden lassen müssen, berührt der Vormarsch der
Extremisten nur an der Oberfläche. Hups, das mit der angeblich von IS,
ehemals Isis, verordneten ausnahmslosen Gentialverstümmelung war die
Falschmeldung der Woche. Zum Glück. Sie hätte aber auch niemanden auf die
Straße gebracht. Daher bleibt die Eingangsfrage: Wo sind die Menschen, die
massenhaft gegen das Versagen der hohen internationalen Politik
protestieren, Initiativen gründen, ein Gegenwissen zu den offiziellen
Verlautbarungen organisieren? Die es nicht in Ordnung finden, dass Nazis,
ob säkular oder religiös, immer mehr an Terrain gewinnen und Deutschland
immer mehr Waffen exportiert, gerne auch in diese Regionen. Die daher von
der Großen Koalition verlangen, dass sie die Rüstungspolitik von
Schwarz-Gelb beendet?
2013 stieg laut Rüstungsbericht der Bundesregierung der Wert der
ausgeführten Waffen im Vergleich zum Vorjahr um 1,1 Milliarden auf 5,8
Milliarden Euro. 52 Prozent der Lieferungen gingen an Länder außerhalb der
EU und der Nato. Also in Länder, in denen der Zivilbevölkerung nichts
bleibt, als zu fliehen. Alle Zeichen stehen auf Tod. Auch Deutschland
verdient gut daran.
Einige Journalisten versuchen diesen Teufelskreis zu durchbrechen, indem
sie das Schicksal von Kindern in den Mittelpunkt stellen, in Gaza und
Syrien. Doch auch hier reagiert die breite Öffentlichkeit empfindlich: Wer
will schon solches Elend sehen?
Zumal die Europäer seit spätestens einer Woche noch mehr eigene Probleme
haben. Seit dem Abschuss der MH17 in der Ostukraine sei alles anders, das
zu behaupten überschlagen sich deutsche Leitartikler und rufen nach der
Nato, nach Härte und auch nach Sanktionen. Doch hier geht die Diskussion
schon los: Keine Waffen mehr nach Russland zu verkaufen, bedeutete
finanzielle Verluste und kostete womöglich Arbeitsplätze. Und all das, um
Frieden und Demokratie in der Ukraine möglich zu machen? Leute, wie naiv
seid ihr?
## Die Zeichen stehen auf Krieg
Trotzdem wollen Anfang nächster Woche die EU-Außenminister über schärfere
Sanktionen gegen Russland verhandeln. Doch es ist unwahrscheinlich, dass
sie es den USA gleichtun und nicht nur Einzelpersonen, sondern auch
Konzerne auf die Sanktionsliste setzen werden. Die Zeichen stehen auf
Krieg.
So muss sich die protestantische Kirche kritisieren lassen, dass sie mit
ihrem pazifistischen Kurs – Friedensbewegung s. o. – nicht mehr zeitgemäß
sei. Alle, die das Sagen haben, wollen ihre Ruhe haben oder mit Waffen Geld
machen. Frieden ist Arbeit, also anstrengend, also out. Gleichzeitig werden
die Gewinne systematisch nach oben verteilt und damit die einzige wirksame
Maßnahme gegen Extremismus ausgeschlagen, nämlich dass die Mehrheit eine
Perspektive auf relativen Wohlstand und Selbstbestimmung hat.
Noch was? Ach ja, Innenminister de Maizière nutzt den aufbrandenden
Antisemitismus in Deutschland, um Migranten zu kriminalisieren. Das ist
natürlich eine richtig gute Idee.
26 Jul 2014
## AUTOREN
Ines Kappert
## TAGS
Krieg
Ukraine
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Rüstungsexporte
Europa
„Islamischer Staat“ (IS)
Israel
Israel
MH17
Ukraine
Schwerpunkt Rassismus
Opferschutz
Israel
Muslimbrüder
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ostermärsche in der Krise: Die Baisse der Friedensbewegung
Überall herrscht Krieg. Trotzdem geht kaum jemand auf die Straße. Aber
Pazifisten hatten in Deutschland noch nie einen leichten Stand.
Kolumne Roter Faden: Nabelschaujagd auf Islamisten
Durch die Woche gesurft: Der Innenminister verbietet den Islamischen Staat
in Deutschland und Obama führt wieder offiziell Krieg.
Kämpfe in Gaza: Hamas sucht neue Waffenruhe
Nachdem die Hamas eine verlängerte Waffenruhe erst ablehnte, kündigt sie
nun eine 24-stündige Pause der Gefechte im Gazastreifen an.
Feuerpause in Nahost: Israel legt 4 Stunden drauf
Israel verlängert die Waffenruhe um vier Stunden. Zuvor hatten Diplomaten
eine dauerhafte Feuerpause gefordert. In Gaza wurden 100 Leichen geborgen.
Der sonntaz-Streit: „Russland soll zahlen“
Iryna Solonenko ist überzeugt: Waffenlieferanten müssen für
Kriegsverbrechen haften. Sie sind nicht verantwortlich, entgegnet Armin
Nassehi.
Kommentar Krise in der Ukraine: Dumm und kurzsichtig
Über abgeschossenen Flugzeugen wird schnell vergessen, auch auf die Arbeit
des ukrainischen Parlaments zu sehen. Die aber heizt den Krieg an.
Antisemitismus in Frankreich: „Jetzt fängt es wieder an“
"Klein-Jerusalem" wird Sarcelles genannt, weil dort Juden, Muslime und
Christen zusammenleben. Die antisemitischen Ausschreitungen schockieren
sie.
Journalistische Ethik in Katastrophen: Der Schock im Bild
Ein Flugzeug stürzt ab, ein Krieg bricht aus. Und wieder stehen Medien vor
der Frage: Darf man die Opfer zeigen? Und wenn ja, wie?
Israel-Gaza-Konflikt: Raketen im Newsfeed
Eine schizophrene Lage für israelische Linke: In Israel kritisieren sie die
Regierung, in Berlin verteidigen sie deren Kampf gegen die Hamas.
Schlagloch Israel und Ägypten: Sisis Schulhofpolitik
Präsident Sisi macht Ägypten zum Handlanger Israels, für dessen Massaker in
Gaza es keinerlei Rechtfertigung gibt. Letztlich profitiert der Westen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.