| # taz.de -- Israel-Gaza-Konflikt: Raketen im Newsfeed | |
| > Eine schizophrene Lage für israelische Linke: In Israel kritisieren sie | |
| > die Regierung, in Berlin verteidigen sie deren Kampf gegen die Hamas. | |
| Bild: Israelische Demo in Jerusalem gegen den Militäreinsatz im Gazastreifen. | |
| Gott, wie schwer es ist, diesen Europäern zu erklären, wofür die Hamas | |
| steht“, denke ich. Denn schon wieder hat eine Freundin hier in Berlin auf | |
| Facebook einen antiisraelischen Artikel gepostet. Ein Artikel, der die | |
| gerechte Sache der Palästinenser verteidigt, die Rechtschaffenheit der | |
| Hamas unterstreicht. Wie kann ich ihr erklären, mit was für einer | |
| Terroristenorganisation es Israel da zu tun hat? | |
| O. k., denke ich, ich habe keine Wahl, ich muss die Ungerechtigkeit und | |
| Scheinheiligkeit entlarven, die in der internationalen Kritik an Israel | |
| stecken. Ich finde einen Artikel, der passt und den ich poste: „Not Enough | |
| Dead Jews“ – nicht genug tote Juden – lautet die Überschrift. Nur, weil … | |
| auf der palästinensischen Seite mehr Opfer gibt, heißt es nicht, dass die | |
| Hamas im Recht ist. | |
| Mehr tote Israelis – das würde die Legitimität von Israels Angriffen auf | |
| Gaza weder vergrößern noch schmälern. Vielmehr geht es darum, dass man die | |
| Gründe versteht, die jede der beiden Parteien hat, diesen Krieg zu führen. | |
| Aber ich zögere. Soll ich wirklich einen proisraelischen Artikel posten, | |
| der die Aktionen Israels im Gazastreifen ausschließlich rechtfertigt? | |
| Ausgerechnet ich? In Israel gehöre ich zum linken Flügel. Und wenn ich | |
| demonstrieren gehe, dann gegen die Politik der Regierung. | |
| ## Hinter der Grünen Linie | |
| Wie kommt es, dass ich in Deutschland auf der anderen Seite stehe? Warum | |
| kritisieren alle Posts, die ich auf Hebräisch schreibe, die israelische | |
| Politik, alles dagegen, was ich auf Englisch verfasse, erklärt und | |
| unterstützt sie? | |
| Wie bin ich in diese schizophrene Lage geraten? | |
| Ich bin ein Israeli, Ende zwanzig, der die letzten zwei Jahre in Berlin | |
| gelebt hat, weil er eine Alternative zum Leben in Israel kennenlernen | |
| wollte. Aufgewachsen in einem Teil von Jerusalem, der hinter der Grünen | |
| Linie liegt. Eine Siedlung auf palästinensischem Gebiet, sagen einige. Aber | |
| für mich ist es Jerusalem. Ich liebe den Ort, den Himmel dort, die Luft. | |
| Trotzdem hängt an der Tür zu meinem Zimmer ein Aufkleber der letzten linken | |
| zionistischen Partei, die noch im Parlament vertreten ist: Meretz, die ich, | |
| seit ich wählen kann, wähle. Es ist eine Partei, die einen Rückzug aus der | |
| Westbank fordert, fast ohne Wenn und Aber. | |
| Soll heißen: Alles jenseits der Grünen Linie soll unter palästinensische | |
| Verwaltung gestellt werden – also unter Umständen auch mein Elternhaus. Ich | |
| war in der israelischen Armee. Ich bin stolz darauf. Und zwar deshalb, weil | |
| ich damit Teil von etwas bin, das größer ist als ich, Teil einer | |
| Gesellschaft, die ich unterstützen kann. | |
| ## Botschafter von Israel | |
| Wieder ein Facebook-Eintrag: Dieses Mal werden Videos von jungen, | |
| tanzenden, israelischen Extremisten gepostet, die in den Straßen von Tel | |
| Aviv „Tod allen Arabern“ schreien. Die moralische Überlegenheit über die | |
| Hamas bekommt dadurch einen Knacks. | |
| Wir sind es gewohnt, Videos von jungen Arabern zu sehen, die „itbach el | |
| jahud“ – Tod allen Juden – singen. Aber wie kann ich die moralischen Werte | |
| meines Landes und meines Volkes verteidigen, wenn gleichzeitig meine Leute | |
| im Hintergrund dieselben Parolen grölen? | |
| Ein Israeli fühlt sich im Ausland oft als Botschafter seines Landes. Wie | |
| kann ich erklären – und es auch selbst glauben –, dass nur eine Minderheit | |
| am Rand der Gesellschaft so radikalisiert ist? Ich kenne diese | |
| hasserfüllten Stimmen, ich bin mit ihnen groß geworden. | |
| Das Haus, wo Mohammed Abu Khdeir lebte, der israelisch-arabische Teenager, | |
| der von jüdischen Extremisten angezündet wurde und lebendig verbrannte, | |
| kann ich in meinem Zimmer in Jerusalem vom Fenster aus sehen. Die Mörder | |
| des Jungen lebten nur wenige Minuten entfernt. Und trotzdem sage ich mir: | |
| Ich kenne mein Volk, ich kenne dessen Werte, ich kenne die hohen | |
| moralischen Standards des israelischen Militärs. | |
| Die israelische Gesellschaft steht für eine hohe Moral. | |
| Wirklich? | |
| Wie lange noch? | |
| Ich habe entschieden, zurück nach Israel zu ziehen. Meine Entscheidung fiel | |
| schon vor den gegenwärtigen Entwicklungen. Ich will zurück nach Jerusalem, | |
| bevor es mein Jerusalem nicht mehr gibt. Dass es verschwinden wird, ist | |
| nicht den Sternen, dem Schicksal geschuldet, sondern der Geburtenrate der | |
| Araber und der Ultraorthodoxen. | |
| ## Mädchen als Propagandamittel | |
| Die Akademiker und die bürgerliche Bevölkerung werden zur Minderheit. Bald | |
| werden radikale Jugendliche, die Mordlieder singen, immer öfter durch die | |
| Straßen ziehen. Der Tag wird kommen, an dem ich nicht mehr dort leben kann, | |
| weil der Traum, für den Jerusalem steht – eine Stadt des Wissens zu sein, | |
| der Kultur, der Wissenschaft –, zerstört wurde. | |
| Bewegung im Facebook-Newsfeed. Eine deutsche Bekannte verlinkt auf einen | |
| Film, in dem ein Mädchen aus Gaza darum bittet, nicht zu sterben, ihr Leben | |
| leben zu dürfen, eine Kindheit zu haben. Sind das wirklich ihre Worte? Wer | |
| weiß. Mein Sinn für Propaganda jedenfalls warnt. Aber dieses Kind ist so | |
| süß und ihr Wunsch so naiv und schön, sie schafft es, mich zu erweichen. | |
| Und vielleicht erreicht sie auch einen israelischen Politiker oder einen | |
| Freund, der gerade in Gaza einmarschiert, und sie werden sich an das kleine | |
| Mädchen erinnern und daran, dass ein kämpfender Soldat seine moralischen | |
| Werte nicht verlieren darf. Ich klicke: Like. | |
| Aber wie schön wäre es, wenn jemand auch einen Film von einem israelischen | |
| Mädchen machen würde, das vielleicht aus einem Kibbuz in der Nähe von Gaza | |
| kommt. Man könnte sie den gleichen Text sprechen lassen und die beiden | |
| Filme zusammenschneiden. | |
| ## Snacks und Bomben | |
| Vielleicht würden Nachrichten von kleinen Mädchen auf beiden Seiten der | |
| Barrikaden sich in den Gehirnen der Akteure besser festsetzen. Vielleicht | |
| würden sie innehalten, sich Gedanken über den Frieden machen. | |
| Wieder eine Nachricht: Ausländische Reporter haben Leute aus der Stadt | |
| Sderot gefilmt, wie sie Snacks essend auf einem Hügel sitzen und sich die | |
| Bomben, die auf Gaza geworfen werden, anschauen, als wäre es ein Feuerwerk. | |
| Was wollen die Reporter uns mit diesem Film sagen? Haben sie eine Ahnung, | |
| was es bedeutet, alle zwanzig Minuten Bombenalarm zu hören? | |
| Ständig Angst zu haben, das Zuhause zu verlieren, die Freunde, das Leben, | |
| so wie es die Leute von Sderot kennen? Würden sie, wenn sie so leben | |
| müssten, sich nicht auch anschauen, wie der Ort bombardiert wird, von dem | |
| aus die Raketen abgeschossen werden, vor denen sie ständig wegrennen | |
| müssen? | |
| Als wir Kinder waren, haben wir das auch gemacht. Wir sind auf die Dächer | |
| von Jerusalem geklettert und haben die Raketen beobachtet, die vom Irak aus | |
| auf Tel Aviv zielten, unser Tel Aviv. Wir fühlten uns sicher, wir glaubten, | |
| dass Saddam Hussein es nicht wagen würde, die heilige Stadt Jerusalem zu | |
| bombardieren. Natürlich haben wir dieses Schauspiel beobachtet. Raketen, | |
| die über einen hinwegfliegen, sind für Kinder wie ein Feuerwerk. | |
| ## Auf den Dächern Jerusalems | |
| Soll ich diese Gedanken posten? Um ehrlich zu sein, diese Geschichte von | |
| Jugendlichen, die auf die Dächer Jerusalems geklettert sind, um Raketen zu | |
| beobachten, habe ich von Freunden gehört. In unserer Familie war man so | |
| ängstlich, dass man die Gasmasken noch nicht einmal in der Schutzzone vom | |
| Gesicht zog. | |
| Wenn man nur die Wahl hat, in der ersten Person zu lügen oder eine | |
| persönliche Geschichte in der dritten Person zu schreiben, sollte man es | |
| wohl lassen. Und warum soll ich die Leute in Sderot verteidigen? Hätte ich | |
| mir wirklich ein schönes Plätzchen gesucht und zugeschaut, wie ganze | |
| Stadtteile in Gaza in Trümmer gelegt werden? | |
| Ach, vergiss es. Ich habe das Gefühl, den Sinn für die Realität zu | |
| verlieren. Wie kann man noch Logik in diesem Konflikt sehen, wenn es | |
| manchmal wirkt, als sei es ein Konflikt um des Konfliktes willen? | |
| Und was ist mit mir? Ist das mein Schicksal, meine Zukunft? Junge, | |
| Hasslieder singende Israelis, die sich auf den Straßen von Tel Aviv und | |
| Jerusalem über mich und meine Träume lustig machen? Oder ist das nur wie | |
| eine Flutwelle, die sich bald wieder zurückzieht? Will ich wirklich zurück? | |
| Wenn ich Jerusalem nicht schützen kann, sondern nur zusehen, wie es | |
| verbrennt? | |
| „Du hast mir mal gesagt, dass du nicht glaubst, es könne Frieden auf Erden, | |
| Frieden zwischen allen Menschen geben“, sagte die Freundin, die die | |
| antiisraelischen Links auf Facebook gepostet hat, bei einem ruhigen | |
| Abendessen mit Kerzenlicht. Gott, denke ich, ich habe genau das gesagt. | |
| 25 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Yonathan Daat | |
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