# taz.de -- Journalistische Ethik in Katastrophen: Der Schock im Bild | |
> Ein Flugzeug stürzt ab, ein Krieg bricht aus. Und wieder stehen Medien | |
> vor der Frage: Darf man die Opfer zeigen? Und wenn ja, wie? | |
Bild: Reichen solche Bilder nicht aus, um zu erahnen, wie furchtbar der Absturz… | |
BERLIN taz | [1][Die Kamera schwenkt auf einen Koffer], eine Hand greift | |
rein und holt eine rosa Tasche heraus. „Wahrscheinlich von einem kleinen | |
Mädchen“, kommentiert Sky-News-Reporter Colin Brazier, der die Tasche in | |
die Kamera hält. Er findet einen Schlüssel, eine Zahnbürste und plötzlich | |
fällt ihm ein: „Ich denke, wir sollten das hier nicht tun.“ Am Sonntag | |
liefen diese Szenen vom Absturz-Ort des Flugs MH17 live im britischen | |
Fernsehen. | |
Gleiches Unglück, andere Berichte: Die New York Times veröffentlichte | |
[2][Porträts von Opfern], inklusive Fotos und kurzen Lebensläufen: Karlijn | |
war 25 und forschte an Alzheimer, Kaela war eins und hatte gerade ihre | |
Großeltern kennengelernt, Liam war 56 und Schriftsteller. Gesammelt hat die | |
Redaktion die Informationen und Bilder unter anderem bei Facebook – die | |
Profile sind online sogar im Artikel verlinkt. | |
Wie weit dürfen Reporter gehen, um Leid zu zeigen? Wo endet Information, wo | |
beginnt Voyeurismus? Gehören Bilder von Leichen nicht genauso zu dem | |
Absturz wie Bilder von einem verkohlten Triebwerk? Und gehen uns Tragödien | |
nicht viel näher, wenn Opfer ein Gesicht bekommen? | |
## Klare Regeln im Pressekodex | |
Die Fragen kommen immer wieder auf, wenn eine Katastrophe passiert. Im | |
Presserecht gibt es zwar keinen verbindlichen Paragrafen, der sagt, wie | |
Opfer gezeigt werden dürfen. Dafür regelt der Pressekodex das ziemlich | |
genau. Dort heißt es: „Die Presse verzichtet auf eine unangemessen | |
sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid.“ Und: „Die | |
Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle | |
Selbstbestimmung.“ | |
Name und Foto dürfen nur veröffentlicht werden, wenn das Opfer oder | |
Angehörige zugestimmt haben. Allein der Umstand ihres Todes macht sie nicht | |
zu einer öffentlichen Person. „Es geht dabei vorrangig um den Schutz der | |
Opfer und Hinterbliebenen“, sagt Arno Weyand vom Presserat. „Selbst wenn | |
die Leiche nicht zu erkennen ist, sollen Angehörige nicht die Zeitung | |
aufschlagen und anfangen zu rätseln, ob die abgebildete Person ihr | |
Verwandter ist.“ | |
In der Berichterstattung über die aktuellen Katastrophen halten sich die | |
meisten deutschen Medien an den Kodex. Nur vereinzelt zeigen sie mehr: Die | |
Fotostrecke „[3][Israels Offensive: Das Leid in Gaza]“ auf Spiegel Online | |
zeigt ein totes Kind. Sein Gesicht ist deutlich zu erkennen, mit den Beinen | |
liegt es in einem halb verschlossenen Leichensack, darüber ein trauernder | |
Mann. Bild.de zeigt nach dem Flugzeugabsturz [4][eine verkohlte Hand] | |
zwischen Wrackteilen und Fotos von Menschen in Flugzeugsitzen. Die Leichen | |
sind weiß retuschiert. | |
## Einige Beschwerden | |
Beim Presserat sind seit dem Flugzeugabsturz einige Beschwerden über Bilder | |
eingegangen. Auch die verkohlte Hand von Bild.de ist dabei, sagt Arno | |
Weyand. Im September prüft der Ausschuss. Sind die Bilder unangemessen | |
sensationell, kann der Presserat eine Rüge aussprechen. Bei Bildergalerien | |
wie der der New York Times hat es eine Weile gedauert, bis der Presserat | |
eine eindeutige Haltung entwickelt hat. Mittlerweile verurteilt er die | |
Darstellung von Facebook-Bildern. „Nur weil sie online sind, heißt das | |
nicht, dass jeder sie sehen soll“, sagt Weyand. Auch hier wiege der | |
Opferschutz schwerer als das öffentliche Interesse. | |
Anders als in den etablierten gibt es in den sozialen Medien solche | |
Kontrollen nicht. Auf Twitter findet man aus Gaza, der Ukraine und Syrien | |
Fotos von zerschossenen Kinderköpfen und übereinander gestapelte Leichen in | |
ihrer eigenen Blutlache. Dabei ist die Geschmacklosigkeit dieser Bilder nur | |
die eine Sache. Die andere ist deren Echtheit: Wie schon bei anderen | |
Konflikten kursieren auch jetzt wieder gefälschte Bilder. Auch deshalb | |
haben sie in seriösen Medien nichts zu suchen. | |
Colin Brazier hat sich mittlerweile entschuldigt. Das Chaos am Absturzort | |
hätten ihn so schockiert, dass er für einen Moment sein Urteilsvermögen | |
verloren habe, [5][schreibt er im Guardian]. Damit war er offenbar nicht | |
der Einzige. | |
25 Jul 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=uNzh1l9oy0E | |
[2] http://www.nytimes.com/interactive/2014/07/19/world/europe/malaysia-airline… | |
[3] http://www.spiegel.de/fotostrecke/tote-zivilisten-im-gazastreifen-das-leid-… | |
[4] http://www.bild.de/politik/ausland/flug-mh-17/die-bilder-des-terrors-369077… | |
[5] http://www.theguardian.com/media/2014/jul/22/mh17-sky-news-reporter-colin-b… | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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