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# taz.de -- Bilder von Kriegsfotografinnen: Wir Weltempfänger aus Beton
> Gibt es einen weiblichen Blick auf Krieg? Diese Idee ist absurd. Was wir
> aus der Ferne verlangen müssen, ist, den Alltag zu sehen.
Bild: Im Jahr 2000 fotografierte Lynsey Addario Frauen in Indien, die um ermord…
In Anbetracht von Isa Genzkens Beton-Radio-Skulpturen, ihren
„Weltempfängern“ (1987–1992), wundere ich mich, was aus uns geworden ist.
Wir haben Antennen und sind immer auf Empfang, wir sehen also all die
grauenvollen Bilder, wenn sie in den Medien auftauchen. Aber sehen wir sie
wirklich? Nehmen wir sie noch wirklich wahr? Oder sind wir nicht auch
undurchdringliche Weltempfänger aus Beton?
Eine Reihe von kürzlich veröffentlichten Filmen und Büchern sieht Frauen,
sieht Fotografinnen eine aktive Rolle dabei spielen, unsere einbetonierte
Wahrnehmung aufzubrechen. Die Arte-Dokumentation „Kriegsfotografinnen: Der
Kampf um Bilder, Leben und Tod“ über fünf Fotografinnen fragt, ob es einen
weiblichen Blick auf den Krieg gibt. Diese Idee ist natürlich absurd und
führt in unfruchtbare, essenzialistische Debatten. Fast schon komisch,
macht der Film die Frage an den Schuhen fest.
Dass Lee Millers Bilder von der Befreiung des KZ Buchenwald aus einer
weiblichen Perspektive heraus entstanden seien, zeige sich, so ihr Sohn, an
der Fotografie eines Gefangenen, der Lederstreifen an seine Socken genäht
und sich so provisorische Schuhe gefertigt hat. „Ein Mann hätte ein solches
Detail nie gesehen“, sagt Anthony Miller. Auch das berühmte Foto, das Lee
Miller in München in Hitlers Badewanne zeigt, nachdem sie einen ganzen Tag
lang in Dachau fotografiert hatte, findet ihr Sohn deshalb so bitterböse,
weil prominent ihre Stiefel zu sehen sind, auf der geschändeten, weil
völlig verdreckten Badematte vor der Wanne.
Ein anderes Beispiel stammt von Greta Taro. Eine Soldatin im Spanischen
Bürgerkrieg legt im Rahmen einer Übung die Waffe an und trägt dabei Schuhe
mit modischem Absatz. Viele von Taros Fotos wurden nach dem Tod ihres
Liebhabers Robert Capa 1954 unter dessen Namen vertrieben. Erst durch den
Fund des sogenannten mexikanischen Koffers voller Schachteln mit Hunderten
von Negativfilmen, die 2006 im Haus eines mexikanischen Generals
auftauchten, konnte ihr Werk wieder rekonstruiert werden.
Es wird spekuliert, dass Capas berühmtes Mantra „Wenn das Foto nicht gut
genug ist, warst du nicht nah genug dran“, von ihr stammt. Als sie 1937 von
einem Panzer tödlich überrollt wurde, war sie derart prominent, dass ihr
Tod auf Kaugummipapier abgebildet wurde.
## Die Boatpeople sind so wie wir und wollen nur überleben
Mit der These, Frauen kämen näher an die Kriegsereignisse heran als die
Männer, endet der Film, dessen Protagonistinnen von Christine Spengler, der
Grand Dame der Kriegsfotografie, vorgestellt werden. Zuletzt Camille
Lepage, die vor zwei Jahren im Südsudan umgebracht wurde, wo sie „sensibler
und weniger sensationell als ihre männlichen Kollegen“ (Christine Spengler)
lange fotografiert und so das Leid der Region ins internationale
Bewusstsein gebracht hatte.
Die Schilderungen von ihrer Entführung im Irak und in Libyen, macht die
kürzlich erschienene Autobiografie der Fotografin Lynsey Addario „Jeder
Moment ist Ewigkeit“ zum mitreißenden Pageturner. Als sie in Berlin ihr
Buch vorstellt, berichtet sie von einem zwölfjährigen Mädchen aus einem
Flüchtlingslager im Libanon, das sie fünf Tage lang begleitet hat. Hana
Abdullah steht jeden Morgen um vier Uhr auf, um bis zur Dunkelheit auf dem
Feld zu arbeiten. Die Flüchtlinge werden also als billige Arbeitskräfte
ausgebeutet. Ein Szenario, das in Deutschland besondere Beachtung finden
sollte.
Was wir verlangen müssen, als Zuschauer aus der Ferne all dieser
gegenwärtigen Kriege, ist, mehr vom gewöhnlichen Alltag zu sehen. Er wird
in den Zeitungsreportagen vernachlässigt. Die Bilder von beschlagnahmten
Booten und an die Küsten gespülten Körpern werden uns nicht davon
überzeugen, dass die Flüchtlinge nicht die anderen sind.
Wir müssen ihr früheres Leben sichtbar machen, als Bibliothekar, Lieferant
von Hochzeitsmenüs oder Eigentümer eines Lebensmittelladens, um zu zeigen,
dass die Boatpeople so sind wie wir und nur zu überleben versuchen.
Wir mögen Betonköpfe sein, steinerne Weltempfänger, aber unterschwellig
arbeiten unsere Frequenzbänder dann doch. Als ich kürzlich die Galerie Neu
in Berlin besuchte, sah ich ein Gemälde, das aus verschiedenen
Kleidungsstücken zusammengefügt war. Sofort dachte ich an die Flüchtlinge,
was das Künstlerkollektiv Claire Fontaine, Schöpfer der fraglichen
Assemblage, bestätigte. Ich dachte an Heimatlosigkeit von Millionen von
Menschen und ihre Ausbeutung, die wir bewusst ignorieren.
„Niemals wieder“, lautete der Satz, nachdem die Welt Lee Millers
Fotografien aus den befreiten Lagern Dachau und Buchenwald gesehen hatte.
Man muss daran nur ein zynisches Blabla anhängen und wir sehen die
Realität, wie wir uns jetzt im Sommer in Massen zum Schwimmen in den
weltweit größten Salzwasserfriedhof stürzen.
13 Jul 2016
## AUTOREN
April Lamm
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