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# taz.de -- Bildband über Kriegsabsurditäten: Notdurft in portablem Falt-WC
> „Ich hab nie so viel gelacht wie im Krieg“, sagt Fotograf Christoph
> Bangert. Er dokumentiert den teils banalen Frontalltag im Band „Hello
> Camel“.
Bild: 1, 2, 3, 4 Dixis – stehen im afghanischen Kandahar hinter einem Schutzw…
Auch im Krieg und fern der Heimat pflegt die Bundeswehr stets deutsche
Gründlichkeit und Ordentlichkeit. Vermutlich handelt es sich weltweit um
die einzige Armee, die Falt-WC und Klopapier mit ins Gefecht nimmt. Für ein
Foto platzierte Christoph Bangert ein einzelnes Pappbehältnis in der weiten
afghanischen Wüstenlandschaft. Es steht völlig frei im Sand und wirkt klein
und verloren, was die Absurdität der improvisierten Einrichtung betont.
Doch angesichts der Umstände wäre jeder Soldat dankbar für ein Falt-WC.
„Ich hab noch nie so viel gelacht wie im Krieg“, bekennt Christoph Bangert
im Vorwort zu seinem neuen Band „Hello Camel“, aus dem obige Aufnahme
stammt. Dabei will sich der Kölner Fotoreporter weder über die Bundeswehr
noch über den Krieg lustig machen. Stattdessen geht es ihm um absurde und
befremdliche Situationen, über die nur selten berichtet wird, die aber
ebenso zu Realität und zum Alltag in Konfliktzonen gehören wie
Selbstmordattentate, Bombardements, Geiselnahmen und Feuergefechte.
Während die Vielzahl der Kriegsbilder von grausamen Ereignissen die
Gewöhnung daran befördert, ermöglichen Bangerts unspektakuläre Aufnahmen
neue Perspektiven. Als eingebetteter Journalist erlebte der Fotograf Kriege
eben nicht als ununterbrochene Abfolge von dramatischen und grausamen
Ereignissen.
Vielmehr gestaltete sich der Alltag der meisten britischen, amerikanischen
und deutschen Soldaten, die der Fotograf von 2003 bis 2013 in Afghanistan,
Gaza und im Irak begleitete, eher banal und langweilig. Nur selten kommen
die Truppen in Kontakt mit Einheimischen und wenn, dann verhindern weniger
sprachliche Probleme die Verständigung als kulturelle Differenzen.
## Kein Rand, kein Text und keine Seitenzahl
Insbesondere die jungen amerikanischen Soldaten, die zuvor noch nie ins
Ausland gereist sind, verhalten sich zuweilen wie staunende Touristen. Etwa
mit dem Ausruf „Kamele!“ benachrichtigen GIs ihre Kameraden, sobald sie
eines der Wüstentiere entdecken. Ob ein verdächtiger Wassertank, ein
wildes Marihuanafeld oder künstlich beleuchtete Palmen, alles außerhalb des
Camps ist für die Soldaten fremd, aufregend und oft verwirrend. Innerhalb
der befestigten Lager herrscht hingegen erschreckende Normalität. In
Kandahar haben kanadische und amerikanische Soldaten gar einen Swimmingpool
gebaut.
In seinem Fotobuch „War Porn“ stellte Christoph Bangert bereits Motive vor,
die in den westlichen Medien und Nachrichten nicht veröffentlicht werden,
jedoch weil die Redaktionen sie als zu grausam einstufen. Es handelte sich
um kaum erträgliche Fotos von getöteten, gefolterten und schwer verletzten
Menschen. Dank der Publikation setzte eine lebhafte Diskussion über den
Umgang mit Bildtabus ein und die Verantwortlichkeit des Betrachters, selber
eine Entscheidung zu treffen, was er sehen will. Der Leser musste
buchstäblich Seiten aufschneiden, um die Bilder zu sehen.
Das neue Fotobuch appelliert ebenfalls, sich nicht mit einem flüchtigen
Blick zu begnügen. Es ist wie ein großformatiges Bilderbuch für Kinder
aufgebaut. Jede Bildtafel erstreckt sich über eine randlose Doppelseite auf
mattem Papier. Kein Rand, kein Text und keine Seitenzahl lenken vom Motiv
ab. Erst am Ende des Buchs findet sich ein Bildindex mit knappen
Hintergrundinformationen.
Besonders schön und hintersinnig gestaltet sich das Leinencover, das auf
zwei Pappdeckeln klebt, welche die offene Fadenheftung halten. Da der Stoff
nicht eingefasst ist, stehen am Rand immer Fäden über. Schneidet oder zupft
der Leser sie ab, beschädigt er zwangsläufig den Umschlag und die Ränder
lösen sich auf, was wiederum ein schönes Sinnbild für eine veränderte
Wahrnehmung ist.
14 Jul 2016
## AUTOREN
Markus Weckesser
## TAGS
Kriegsfotografie
Afghanistankrieg
Gaza
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