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# taz.de -- Divergente Fotowelten: „Metropolen sind nur kleine Inseln“
> Mit dem Emsland kennt der Fotograf Gerhard Kromschröder sich aus, mit dem
> Nahen Osten aber auch. Die Ausstellung „Peace and War“ stellt nun deren
> Bilder gegenüber
Bild: Irak 1991
taz: Herr Kromschröder, in Ihrer aktuellen Hamburger Ausstellung sind
sowohl Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Emsland der 1960er-Jahre als auch Bilder
aus dem zerstörten Bagdad zu sehen, die Sie 1991 gemacht haben. Wie kam
diese Kombination zustande?
Gerhard Kromschröder: Die Emsland-Ausstellung war schon länger geplant. Der
Galerist Larry Lazarus kam dann auf die Idee, anlässlich des 25.
Jahrestages des ersten Irak-Kriegs in einem Nebengelass gleichzeitig die
Bilder zu zeigen, die damals im Rahmen einer Stern-Titelgeschichte
entstanden sind.
Nun ist zum Beispiel ein Foto zu sehen, dass Kinder in den Resten eines
zerbombten Hauses zeigt. Sie selbst haben gesagt, die Bilder könnten auch
von heute stammen.
Der Nahe Osten ist die Todeszone unserer Zeit geblieben. Die Kriege des
Westens haben nichts verändert. Andererseits sieht man jedem Bild an, aus
welcher Zeit es ist. Heute haben sie im Irak Kapuzenpullis, meine Fotos
haben andere modische Erkennungszeichen.
Was hat sich seit 1991 für Kriegsberichterstatter geändert?
Unendlich viel. Zu der Zeit, aus der die Bilder stammen, konntest du dich
relativ frei bewegen und dir ein eigenes Bild machen. Man war nicht so sehr
darauf angewiesen, sich mit einer Miliz oder einer Armeeeinheit zu bewegen.
Heute ist die Situation lebensbedrohlich, wenn man allein losgeht. Wenn du
dich früher, sagen wir mal in Beirut, einer Gruppe anvertraut hast, einer
christlichen Miliz etwa, hat die für dich garantiert. Aber inzwischen sind
westliche Journalisten ja so wertvoll – die kann man schön vor der Kamera
killen.
Welche Folgen hat das für die Berichterstattung?
Dadurch, dass man Sicherheitsaspekte so stark beachten muss, kommt man gar
nicht dazu, sich ein unabhängiges Bild zu machen. Das sagen mir auch Leute,
die in letzter Zeit unten gewesen sind.
Wie kommt es, dass Sie 1991 fotografiert haben? Sie waren doch als
schreibender Korrespondent in der Region.
Der vorgesehene Fotograf hatte kein Visum bekommen.
Der Kriegskorrespondent, der Fotos macht – für die Spar-Freaks in den
heutigen Verlagen ein Ideal. Wirken sich die wirtschaftlichen Probleme
mancher Verlage auf die Lage der Fotografen aus, die heute aus
Krisenregionen berichten?
Die Magazine sehen es als überholtes System an, konkrete Aufträge zu
vergeben. Man setzt auf die jungen hungrigen Wölfe, die von den
Universitäten und Akademien kommen, und sagt: Bietet mal an. Bringt ihr
gute Ware, gibt es gutes Geld. Wenn nicht, habt ihr mit Zitronen gehandelt.
Die Jungs, und auch Mädels, sehen sich dann gezwungen, alleine los zu
reisen – ohne Apparat hinter sich. Der Vorteil beim Stern war ja immer,
dass du in Krisensituationen wusstest: Wenn du in Not bist, gibt es Leute,
die ihre Verbindungen spielen lassen. Oder bereit sind, Lösegeld zu zahlen,
was ja teilweise auch vorgekommen ist. Heute werden die jungen Leute ins
Feuer geschickt. Das ist eigentlich infam. Wer sich entschieden hat, nicht
Still Lifes für die Werbung zu fotografieren, sondern das echte Leben im
Krieg, und die Chance auf den Einstieg ins Geschäft wittert, geht
möglicherweise Risiken ein, die er nicht eingehen sollte.
Die Region, aus der Sie berichtet haben, steht heute zwar im Fokus, aber
der Krieg im Irak ist doch sehr in den Hintergrund geraten, verglichen mit
der Situation in Syrien.
Die Medien müssen ja immer eine neue Sau durchs Dorf treiben. Die
Öffentlichkeit hat kein Gedächtnis, das jeweils neue Ereignis verdrängt das
vorherige – und das, obwohl es im Irak ständig Anschläge gibt und es für
einen Journalisten ähnlich gefährlich ist, dort herumzureisen, wie in
Syrien. Wenn in Falludscha oder einer anderen irakischen Stadt auf einem
Marktplatz zig Menschen zu Tode gekommen sind und es zahlreiche Verletzte
gegeben hat, reicht das hier nur für eine Zehn-Zeilen-Meldung. Man muss
sich ja auch immer fragen, was das überhaupt heißt: Zahlreiche Verletzte?
Ja, die haben überlebt, aber die haben vielleicht ein Bein verloren und
sind traumatisiert.
Was fällt Ihnen auf, wenn Sie aktuelle Bilder aus Syrien oder dem Irak
sehen?
Die extreme Ästhetisierung der Kriegsfotografie. Ich habe den Eindruck,
dass es den Fotografen gar nicht mehr so sehr um den Inhalt geht, sondern
dass die Form nach vorn gerückt ist. Ich sehe tolle Bilder – und ich
vergesse völlig, dass es um den Tod geht. Der Krieg stinkt ja, es ist
dreckig und blutig, aber was gezeigt wird, ist oft clean.
Ihre in diesem Sinne überhaupt nicht cleanen Bagdad-Fotos bilden in der
Ausstellung nun einen Kontrast zu teils eher melancholischen Bildern, die
in den 1960er-Jahren in Aschendorf, Haselünne und anderswo entstanden sind.
Wie landet man im Emsland, wenn man in Frankfurt Germanistik und Soziologie
studiert hat?
Ich war Lokalredakteur bei der Ems-Zeitung in Papenburg, weil ich in
Frankfurt kein Volontariat bekommen hatte. So blöd es klingt: Wir, der
spätere ARD-Hörfunkkorrespondent Hermann Vinke und ich, hatten uns
vorgenommen, dass ein Lokalteil so gemacht sein muss wie der Spiegel:
aufklärerisch und unabhängig. Und da gehörte es dazu, den Alltag einer
Gegend realistisch abzubilden.
Wie lange hat die Chefredaktion Sie gewähren lassen?
Von 1962 bis 1967, dann bin ich zum Satiremagazin Pardon nach Frankfurt
gegangen.
2011 haben Sie [1][den üppigen Farbfotoband „Expeditionen ins Emsland“]
herausgebracht. Sie sind der Region also trotzdem verbunden geblieben.
Ja, aber in kritischer Distanz, ich bin kein Heimattyp. Ich versuche ja,
der Heimatfotografie nicht zu genügen, nicht die Schönheiten eines
Landstrichs abzubilden, sondern neben den interessanten Ecken auch die
Widersprüche. Ich finde, man muss fotografieren, was die Menschen schön
finden und als schön herrichten. Ihre kleinen Häuser zum Beispiel. Viele
sagen übers Emsland: Hoher Himmel, enger Horizont. Für mich ist das die
Parabel der Provinz. Eigentlich gibt es viel mehr Provinz, als wir
wahrhaben wollen. Die Metropolen sind ja nur kleine Inseln. Umso wichtiger
ist die Provinzfotografie.
Was hat sich denn im Emsland seit den 1960er-Jahren geändert?
Wenn ich das richtig sehe, geht es der mittelständischen Wirtschaft im
Emsland gut. Aber gesellschaftspolitisch hat sich nicht viel getan. Der
Einfluss der Kirche ist nicht mehr so offensichtlich, doch ein großer
Sinneswandel hat nicht stattgefunden. Dass das Emsland wirtschaftlich gut
dasteht, ändert jedenfalls nichts an der geistigen Verfassung der Eliten.
Woran machen Sie die fest?
Die Eliten fanden ja „Expeditionen ins Emsland“ despektierlich. 2012 ist zu
einer Ausstellung zu dem Buch im Emsland-Moormuseum der eingeladene Landrat
von der CDU nicht erschienen, es gab einen Riesenzoff, [2][da habt ihr in
der taz ja auch drüber berichtet]. Ich fahre aber trotzdem noch gern da
hin.
Warum?
Es gibt da immer noch Leute, die ihre Meinung sagen. Wenn man was
Kritisches über die Hähnchenkillfabriken der mächtigen Rothkötter-Gruppe
sagt und dagegen ist, dass Küken geschreddert werden, ist man unten durch.
Und da kenne ich den einen oder die andere.
Fotografisch dürfte die Region allmählich auserzählt sein.
Man muss sich schon anstrengen, da interessante Bilder zu finden. Die
Gegend ist so wie ein Waschbrett, ganz flach. Das Emsland ist ja nicht die
Toskana des Nordens.
10 Mar 2016
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## AUTOREN
René Martens
## TAGS
Emsland
Irakkrieg
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