# taz.de -- FOTOGRAFIE: Stellvertretende Schützenjungs | |
> "Verzerrte Sichtweise": Mit seinem Bildband "Expeditionen ins Emsland" | |
> hat sich Gerhard Kromschröder vor Ort wenig Freunde gemacht. Er sieht den | |
> Landstrich fernab von jeglicher Idylle - und als Metapher für Deutschland | |
> insgesamt | |
Bild: Die Leere auf Gerhard Kromschröders Bildern ist nicht von dieser idyllis… | |
Mit dem Untertitel fängt es schon an. Über die "Expeditionen" im Titel des | |
Bildbandes hätten sie im Emsland ja vielleicht noch hinweg gesehen - auch | |
wenn es ein wenig kolonialistisch anmutet, wie die Meppener Tagespost | |
schrieb. Also irgendwie nach Afrika klingt. Nach 19. Jahrhundert. Nach | |
Dünkel. Nach "Eingeborenen", die es zu erkunden gilt. Freilich ohne sie | |
dabei ernsthaft zu befragen. Gemeint war das nicht so, sagt der Fotograf | |
Gerhard Kromschröder, der den Buchtitel selbst getextet hat. Aber: "Der | |
Provinzler nimmt gerne übel." | |
Und dann eben dieser Untertitel! "Ein deutscher Bilderbogen" steht da. Das | |
tiefschwarz-katholische Emsland, pars pro Toto betrachtet. Als Metapher | |
gleich für die ganze Republik. Das schmerzt. Weil: Wenn das ganze Land so | |
ist wie das westliche Niedersachsen - dann ist es hierzulande wirklich ganz | |
schön spießig. Und wer will das schon auf sich sitzen lassen? | |
Kromschröders Fotografien sind weit entfernt von jener Postkartenidylle, | |
die auch Landschafts-Bildbände gerne zeigen. Einfamilienhäuser in | |
Klinkeroptik, mit Plaste-Schafen auf dem englisch kurzen Vorgartenrasen. | |
Tiefe Ackerfurchen, Brachland, das bis zum Horizont reicht. Riesige | |
Parkplätze am Waldesrand, aber ohne jedes Auto. Uniformierte Schützen, die | |
mit Waffenattrappen durch Wippingen ziehen, im Vordergrund, aber ganz | |
allein, ein kleiner Junge mit Schaufelbagger. Endlose Maismonokultur, links | |
und rechts der Landstraße bei Dalum. Ein leerer Supermarktparkplatz in | |
Meppen - "Ohne Scheiß. Wir sind total offen. Jeden Freitag bis 22 Uhr" | |
steht auf dem Schild. Ein einsamer Spielmannszug in Melstrup. | |
Schnepfenjäger. Dirndlmädel. Schützenjungs, immer wieder. Ausrangierte | |
Panzer auf der Wiese. Treckerfahrer. Hundezüchter. Legehennenbatterien. | |
Oktoberfeststadl. Die triste Uferpromenade am AKW-Speichersee in Geeste. | |
Und so weiter. 200 opulente Seiten geht das so. Leere, immer wieder. Aber | |
eine, die nicht von dieser idyllisch-endlosen Sorte ist. Sondern eher im | |
übertragenen Sinn zu verstehen. "Deutschland", sagt Kromschröder dann, "ist | |
sehr piefig." | |
Dieser Tage erscheint das Buch in zweiter Auflage. "Um den | |
Bildergeschichtenerzähler Kromschröder ist das Land zu beneiden", schreibt | |
im Vorwort Gerhard Henschel. Im offiziellen Emsland sehen sie das anders. | |
Kromschröder bediene eine "sehr einseitige, verzerrte Sichtweise", schreibt | |
der Sprecher des Landkreises Emsland der Zeit, als die über das Buch | |
berichtet. "Längst überholte Klischees" würden da bedient. Und dann ist da | |
noch vom Emsland als "modernem Wirtschafts- und Lebensstandort" die Rede, | |
von der "sehr hohen Lebensqualität", der niedrigen Arbeitslosen-, der hohen | |
Geburtenrate. | |
All das interessiert Kromschröder wenig. "Es ist nicht meine Aufgabe, die | |
Wirtschaftskraft einer Region darzustellen." Er tut es trotzdem, irgendwie. | |
Aber dann geht es nicht nur um die Papenburger Meyer-Werft, sondern eher um | |
Schlachtfabriken, Atomkraftwerke und Monokulturen. | |
Es ist nicht so, dass Kromschröder mit seinen Bildern aktiv gegen die | |
Wandkalender-Ästhetik anfotografieren wollte. Eher arbeitet er sich an dem | |
ab, was er "Heimatfanatismus" nennt. "Alle Vorurteile über das Emsland sind | |
wahr, aber ebenso das jeweilige Gegenteil", schrieb die Meppener Tagespost. | |
"Es ist nur eine Frage der Einstellung, mit der man sich nähert." | |
Dabei war Kromschröder früher, wie soll man sagen, mal einer von ihnen. | |
Damals, im Emsland der 60er, war er Lokalredakteur der Emszeitung in Lingen | |
und Papenburg - bis er rausflog, unter anderem wegen seiner fortwährendem | |
Berichterstattung über das frühere KZ Esterwegen. Später schrieb er für den | |
Stern, vor allem Rollenreportagen. Er war Türke, noch vor Günter Walraff, | |
später Nazi und Rocker und Katholik. In den Neunzigern endete seine | |
Karriere als Kriegsreporter im Irak. | |
2005 hat er schon mal einen Bildband über das Emsland gemacht, "Emsland | |
schwarz-weiß" heißt es, und enthält "Bilder einer norddeutschen Landschaft | |
aus den 60er Jahren", so der Untertitel. Obwohl dazwischen 50 Jahre liegen, | |
sprechen die Fotos von damals vielfach schon eine ähnliche Bildsprache wie | |
die in dem umstrittenen jüngeren Buch. Auch "Emsland schwarz-weiß" ist | |
zumeist weit davon entfernt, Nostalgie und Idylle zu verbreiten. Eher | |
schon: eine gewisse Tristesse. Und auch darin geht es schon um die | |
Zerstörung der Natur. | |
Ein ganzes Jahr arbeitete Krömschröder an seinem Bilderbogen, viele Male | |
ist er dazu von Hamburg aus ins Emsland gefahren. Er wäre "enttäuscht" | |
gewesen, hätten sie ihm seine "Expeditionen ins Emsland" nicht übel | |
genommen, sagt Kromschröder. Gar eine Strafe wäre es, hielte der Landrat | |
seinen Bildband nun als offizielles Präsent vor. Die Provokation, er hat | |
sie mindestens billigend in Kauf genommen. Und sie ist noch nicht vorbei: | |
Ab 1. Juli sind die Fotos vier Monate lang im Emsländer Moormuseum in | |
Geeste-Groß Hesepe zu sehen. Ein "zwiegespaltenes Verhältnis" habe er zu | |
dem Landstrich, sagt der 70-Jährige. Einerseits, ja, fühle er sich durchaus | |
"hingezogen". Andererseits: "Bin ich dann auch froh, wenn ich wieder weg | |
bin." | |
## Gerhard Kromschröder: "Expeditionen ins Emsland", Edition Temmen, 24,90 | |
Euro, und "Emsland schwarz-weiß", Edition Temmen, 9,90 Euro | |
17 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
Jan Zier | |
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