Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kriegsfotografie und Ethik: Kämpfe im Kopf
> Bilder aus Kriegen bestimmen darüber, wie wir Konflikte wahrnehmen. Viele
> Redaktionen zeigen sie nicht. Sehen kann sie dennoch jeder – ein
> Zwiespalt.
Bild: Toter am Straßenrand bei Bagdad: Ein Bild aus Christoph Bangerts Buch �…
Der IS hat es geschafft. August 2014: Propaganda schlägt Berichterstattung.
Kein anderes Bild hat in diesem Jahr das kollektive Gedächtnis schneller
und eindringlicher erobert als zwei Männer in einer Wüstenlandschaft. Einer
von ihnen in Schwarz gekleidet, mit einem Messer in der Hand, der andere in
orangefarbener Guantanamo-Kleidung, kniend und gefesselt. Ein Mann wird
getötet – und die Würde des Menschen auch.
Der „Islamische Staat“ ist nicht nur gewalttätig, sondern auch gerissen. Er
weiß, welche Rolle Bilder im Medienzeitalter spielen. Hätte sich die
Ermordung von James Foley und der Mitgefangenen nur als schriftliche
Nachricht oder als Gerücht verbreitet, wäre die Berichterstattung
vermutlich binnen weniger Tage darüber verstummt.
Doch Bilder wirken nach. Sind Texte fürs Verstehen da, so sind es Fotos
fürs Erinnern. Denn das Gedächtnis arbeitet in Bildern. Und so hat sich der
IS mit seinen Hinrichtungsszenen einen Platz in den Archiven unserer Köpfe
gesichert. Er benutzt sie als Waffe gegen die westliche Gemeinschaft.
Dagegen sind wir scheinbar machtlos, weil das Internet und die
Social-Media-Kanäle nicht zwischen guter und böser Propaganda
unterscheiden. Jeder kann dort posten, was er will. Die Medien berichten
darüber. Natürlich, das ist ihre Aufgabe. Aber so werden sie zum Komplizen
des IS.
## Klassische Medien sollen reflektieren
Der Historiker und Kriegsfotografie-Forscher Gerhard Paul von der
Universität Flensburg sagt: „Der IS ersetzt seine militärischen Defizite
durch eine eigene Bildstrategie.“ Er verwickele uns hier im Westen in einen
Kampf, nicht physisch, aber emotional. Um uns herauszuhalten, müssten wir
dafür sorgen, dass wir diese Bilder nicht zu sehen bekommen.
Paul fordert mehr Reflexion von den klassischen Medien: „Man sollte das
Geschäft nicht unterstützen. Ich glaube, das wäre auch möglich. Die
Hinrichtungsbilder des IS könnte man beispielsweise ausbremsen, indem man
die Bilder stärker verpixelt oder sie etwa in Schwarzweiß abbildet.“ Der
orangeschwarzen Farbsymbolik wäre damit die Wirkung genommen.
Aber kann und soll man sich vollständig der Propaganda entziehen? Bilder
liefern Informationen, wenn auch teils bewusst gesteuert. Schaut man sich
in einer Art Gesamtschau die vielen Bilder aus Kriegsgebieten an, zeigen
sie schnell, wie unterschiedlich die Wesen der verschiedenen Kriege sind.
## Anderer Krieg, anderes Bild
Der IS nutzt Bilder also als Teil seiner Kriegsführung. Das gibt viel preis
darüber, was er will: Angst und Schrecken verbreiten sowohl unter der
eigenen Bevölkerung wie auch in den feindlichen Gemeinschaften: in den USA
oder in Europa. Er liefert Bilder mit abgeschnittenen Köpfen, mit
Massenerschießungen, mit schwarz maskierten Kämpfern. Rohe Brutalität. Der
Krieg des IS ist ein Krieg gegen Toleranz und Freiheit.
Der Ukrainekonflikt spricht anders in seinen Bildern, fast traditionell. Da
geht es um Macht und Stärke: Panzer, Munition, russische Flaggen,
ukrainische Flaggen, Soldaten mit Maschinengewehren, das sind die
dominierenden Motive. Der Krieg rund um Donezk ist ein Führungsgerangel
zwischen zwei ungleichen Staaten.
Die Bildsprache des Gazakriegs: Opferstatus und Leiden. Bilder von
getöteten Unschuldigen, viele Kinder, brennende Häuser, trauernde Familien.
Die Hamas, so wird kolportiert, verstecke sich gern in der Nähe von Schulen
und anderen Orten mit Zivilisten. Damit sind lebende Palästinenser ihre
Schutzschilder und Tote ihre Anklage – wenn diese fotografiert werden.
Bilder sind ein Gewirr aus Propaganda und Information. Das ist nichts
Neues, das war schon immer so. Wir können das schwer ändern. Wenn wir sie
betrachten, können wir das nur mitdenken. Doch was machen klassische Medien
mit Bildern, die vermeintlich niemand sehen will? Bilder, die zu schlimm
sind für Zeitungen, Fernsehen und Onlineangebote. Sie tauchen oftmals
irgendwo auf anderen Onlineseiten auf beziehungsweise unter.
Unkontrolliert, ungeprüft, zusammenhanglos. Quasi vorbeigeschmuggelt an den
klassischen Medien.
## Brauchen wir die brutale Wahrheit?
Wenn eine heikle Bildauswahl zu treffen war, hieß es jahrelang in etlichen
Redaktionssitzungen in etlichen Redaktionen im ganzen Land: „Wir wollen
doch nicht, dass unseren Lesern beim Frühstück schlecht wird.“ Klar,
welches Foto dann genommen wurde. War das die richtige Entscheidung? Oder
brauchen wir die brutale Wahrheit? Haben Journalisten die Aufgabe,
diejenigen Leser zu schützen, die sich der Kriegsrealität, diesem Monster,
nicht gewappnet fühlen? Leistet man mit einer Veröffentlichung der
Propaganda Vorschub?
Auf der anderen Seite steht die Frage, ob der aufgeklärte Medienkonsument
sich mit dieser Bilderselektion zufriedengeben kann. Haben die Leserinnen
und Leser nicht ein Recht darauf, die ganze Brutaliät zu sehen – so wenig
propagandistisch wie möglich, so viel Wahrheit wie möglich? Denn wer nicht
sicher weiß, was Krieg ist, wird ihn nicht um jeden Preis verhindern
wollen.
Der Fotograf Christoph Bangert hat sich entschieden: Er veröffentlichte
diesen Sommer einen Fotoband. Es ist ein schlichtes, aber schön gestaltetes
Buch. Graues Hardcover, das Vorwort wie mit der Schreibmaschine erstellt.
Es macht nicht auf sich aufmerksam. Das macht der Inhalt von allein. Er
schockiert. Verbrannte Haut, tote Kinder, zerrissene Körper, Leichen im
Müll.
## Anschlag auf die Würde
Alle diese Fotos sind ein Anschlag auf die Würde jedes einzelnen Menschen.
Alle diese Fotos wurden von Presseredaktionen abgelehnt. Bangert sammelte
sie für diesen Fotoband zusammen, damit sie doch noch irgendwie an die
Öffentlichkeit gelangten. Denn alle diese Fotos sind ja Teil der Realität.
Die, über die Journalisten berichten sollen.
Er hörte immer wieder, dass solche Bilder entmenschlichend seien und
pornografisch, sagt er. Doch das lässt er nicht gelten. Stattdessen nutzte
er das Buch, und verschaffte sich die Kontrolle über diesen Vorwurf. Er
nannte es „War Porn“. „Im Grunde ist es egal“, sagte er in einem Interv…
mit Spiegel Online, „wie man diese Bilder bezeichnet: Selbst wenn man sie
als Kriegspornografie beschimpft, muss man sie betrachten und das Leid des
anderen anerkennen.“
Es ist ein aufwühlendes Buch. Man klappt es auf und will es sofort
zuklappen. Aber zu spät. Da sind die Fotos schon reingeknallt in den Kopf,
und dort bleiben sie. Virginia Woolf schrieb in ihrem 1938 erschienenen
Essay „Drei Guineen“ über das Wegsehen in Kriegszeiten: „Wir sind dieser
Realität geistig nicht gewachsen.“ Genau an diese Realität erinnern
Bangerts Bilder. Sie fixen den Betrachter mit ihrer Grausamkeit an, dann
bleibt er ratlos mit dieser Wucht aus nicht gewolltem Gefühl zurück.
11 Dec 2014
## AUTOREN
Wiebke Schönherr
## TAGS
Kriegsfotografie
Propaganda
„Islamischer Staat“ (IS)
James Foley
Kriegsfotografie
Kriegsfotografie
Islamismus
IS-Miliz
Grand Theft Auto V
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bildband über Kriegsabsurditäten: Notdurft in portablem Falt-WC
„Ich hab nie so viel gelacht wie im Krieg“, sagt Fotograf Christoph
Bangert. Er dokumentiert den teils banalen Frontalltag im Band „Hello
Camel“.
Bilder von Kriegsfotografinnen: Wir Weltempfänger aus Beton
Gibt es einen weiblichen Blick auf Krieg? Diese Idee ist absurd. Was wir
aus der Ferne verlangen müssen, ist, den Alltag zu sehen.
Sperren von Gewalt-Videos auf Youtube: Auf den Kontext kommt es an
Youtube löscht gewaltverherrlichende Videos – wenn Nutzer sie melden. Eine
automatische Prüfung wie beim Urheberrecht gibt es nicht.
Propaganda mit Horrorbildern: Krieg der Köpfe
Mit ihren Videos von Enthauptungen wollen sich die Dschihadisten des IS in
die Tradition Mohammeds stellen – und zeigen: je brutaler, desto
entschlossener.
Digitale IS-Propaganda: Dschihad statt Autodiebstahl
Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ modifiziert „Grand Theft Auto …
für Propagandazwecke. So sollen junge Kämpfer angeworben werden.
IS-Terror in Syrien: Britische Geisel ermordet
Ein neues Video zeigt, wie die Terrormiliz IS einen britischen
Entwicklungshelfer tötet. Mit seiner Ermordung wurde bereits in
vorangegangenen Videos gedroht.
IS-Terror im Irak und in Syrien: Foleys Henker ist offenbar Brite
Der „Sunday Times“ zufolge soll der Mörder von James Foley ein Brite sein,
der sich der IS-Miliz angeschlossen habe. Ein 23-Jähriger aus London wird
verdächtigt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.