# taz.de -- Kriegsbilder von Steve McCurry: Suchprogramm eingestellt | |
> Unkommentiert zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg Aufnahmen des | |
> Magnum-Fotografen Steve McCurry von den Krisengebieten dieser Welt. | |
Bild: Steve McCurry: Kamele und Öl-Feuer, Kuwait, 1991. | |
Zwei Männer in einer Wolke aus weißem Dampf. Einer trägt einen roten | |
Turban, einer ein weißes Käppchen. Sie sitzen auf dem Stahlgehäuse einer | |
rußigen alten Dampflok, einem jener echsenartigen Ungetüme des | |
fordistischen Zeitalters. Aus dem schweren Gestänge des klapprigen Gefährts | |
quillt weißer, aus dem Schornstein schwarzer Rauch. Im Hintergrund | |
schimmert, elfenbeinern und erhaben, das berühmte Grabmal Tadsch Mahal. | |
„Im Fluss der Zeit“. Der Titel der Ausstellung, die das Kunstmuseum | |
Wolfsburg seiner jüngsten Schau gegeben hat, hat durchaus etwas für sich. | |
Denn wenn der Fotograf Steve McCurry heute nach Uttar Pradesh zurückkehren | |
würde, würde er nichts von dem wiederfinden, was er antraf, als er 1983 zum | |
ersten Mal Indien bereiste. | |
Insofern ist er durchaus der „Zeuge einer verschwundenen Welt“, als den ihn | |
Markus Brüderlin, der Direktor des Museums, preist. Doch das ist noch die | |
glaubwürdigste These einer Schau, mit der er den 1950 in Philadelphia | |
geborenen Mann einem breiteren Publikum nahebringen will. Der wurde | |
weltberühmt, als er 1979, zur Zeit der sowjetischen Invasion, die Grenze | |
von Pakistan nach Afghanistan überwand. | |
## Eingereiht in die Phalanx legendärer Fotografen | |
Man würde dem sympathischen und bescheidenen Mann den Platz in einer Reihe | |
mit legendären Fotografen wie Man Ray, Brassaï, Edward Steichen und Henri | |
Cartier-Bresson gönnen. Ihnen widmete das Museum von 2004 bis 2012 | |
ambitionierte Einzelausstellungen. McCurry ist der erste lebende Fotograf | |
in dieser Reihe. Es gehört aber schon einige Chuzpe dazu, eine Bedeutung | |
dieser Größenordnung zu suggerieren, ohne sie wirklich zu belegen. | |
Gewiss: McCurrys Fotografie des afghanischen Mädchens Sharbat Gula ist zu | |
einer Ikone des Medienzeitalters avanciert, seit sie 1985 auf dem Cover der | |
Zeitschrift National Geographic erschien. Das Mädchen mit den weit | |
aufgerissenen Augen und dem löchrigen, karmesinroten Schal um den Kopf geht | |
auch heute noch als Sinnbild des westlichen Asienbildes durch: arm, | |
hilfsbedürftig, aber emotional. | |
An dieser Fotografie wird auch deutlich, was das Können McCurrys ausmacht: | |
die Fähigkeit, „auf den richtigen Moment zu warten“, die der Fotograf, wie | |
er gern erklärt, von seinem berühmten Vorbild Robert Capa gelernt haben | |
will. Und der es damit schafft, etwas so Unergründliches wie die Seele | |
eines Menschen, einer Region sichtbar zu machen. Wahrscheinlich firmiert | |
das Bild deswegen unter dem zwiespältigen Titel: „Afghanische Mona Lisa“. | |
Aber ist der Auftragsfotograf, seit 1986 Mitglied der legendären | |
Fotoagentur Magnum, wegen solcher Qualitäten gleich ein | |
Jahrhundertkünstler? | |
## Was eigentlich ist ein Kriegs- und Dokumentarfotograf? | |
Uta Ruhkamp, die Kuratorin der Schau, will McCurry als Kriegs- und | |
Dokumentarfotograf vorstellen. Doch welche Kriterien ausschlaggebend für | |
diese Einordnung sind, muss einem unbedarften Besucher schleierhaft | |
bleiben. Ruhkamp hat die 112 Bilder starke Schau überwiegend chronologisch | |
statt systematisch strukturiert. Und deshalb geht nun die Kriegsfotografie | |
in einem Meer farbenfroher Asienbilder unter. Der Besucher steht | |
entsprechend ratlos vor McCurrys zwischen seine Bilder aus dem ersten | |
Golfkrieg platziertem Zitat, nach dem er „kein Kriegsberichterstatter“ sei, | |
sondern eher „die langen, trüben Phasen zwischen den Kämpfen“ einfange. | |
Zwar lockt die Schau mit einer legendären Aufnahme zu Beginn: Das | |
Schwarz-Weiß-Bild aus dem Jahr 1980 zeigt drei afghanische Krieger, deren | |
zerfurchte Gesichter einer scharfkantigen Gesteinsspalte ähneln, von der | |
aus sie einen sowjetischen Konvoi beobachten. Zum ersten Mal erschien es in | |
der New York Times. Warum McCurry zur Farbe wechselte, bleibt ebenso unklar | |
wie die Frage, warum er als Dokumentarist gilt: Ob man nun das Bild der | |
vier shoppenden Frauen in der traditionellen, blauen Ganzkörper-Burka vor | |
einem Laden in Kabul von 1992 nimmt oder das der vier Stelzenfischer am | |
Strand von Weligama in Sri Lanka. | |
Vor allem die Aufnahmen aus seinen zahlreichen Asienreisen, mit denen er | |
neun Monate im Jahr verbringt, sind geradezu klassisch durchkomponiert und | |
immer wieder magisch aufgeladen. So wie die grandiose Aufnahme des mit | |
Blattgold ummantelten heiligen Felsens im burmesischen Kyaiktiyo von 1996 – | |
nicht gerade die Kennzeichen der Dokumentarfotografie. | |
## Anachronistisches Bild von Asien | |
Kein Zweifel: McCurry ist ein herausragender Fotoreporter. Doch in | |
Wolfsburg werden seine Fotos so unerörtert zu Kunst erklärt, dass am Ende | |
ein ebenso pittoreskes wie anachronistisches Bild von Asien bestätigt wird, | |
in dem die Menschen dem allgegenwärtigen Elend auch ihre fröhlichen Seiten | |
abgewinnen. So wie der Schneider im indischen Porbandar, den McCurry 1983 | |
aufgenommen hat, als er mit seiner uralten Pfaff-Nähmaschine in den Fluten | |
des Monsun dahintreibt, ein zeitentrücktes Lächeln auf dem Gesicht. | |
Doch gerade in einer Zeit, in der Deutschland in Asien Krieg führt, hätte | |
man sich die kritische Aufbereitung eines fotografischen Schaffens | |
gewünscht, das die öffentliche Wahrnehmung einer fragilen Weltregion prägt | |
wie kaum ein anderes. | |
Symptomatisch für diese Herangehensweise: Das Museum hat auf einen eigenen | |
Katalog verzichtet. Stattdessen liegen sieben prachtvolle Phaidon-Bildbände | |
mit McCurrys Aufnahmen aus. Ruhkamps Einführungstext, den die Kuratorin auf | |
der Pressekonferenz im Beisein McCurrys vortrug, können die Besucher nicht | |
lesen. So muss man den Eindruck gewinnen, die Ausstellung promote einen | |
Verlag. Ein zweifelhaftes Verfahren für ein gut alimentiertes Haus, das | |
stolz darauf ist, als eines der wenigen deutschen Museen mit einem | |
„ästhetischen Suchprogramm“ die Moderne erforschen zu können. | |
25 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
Ingo Arend | |
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