# taz.de -- Kunstmuseum Wolfsburg: Die Kunst des Sammelns | |
> Das Kunstmuseum Wolfsburg feiert seine Volljährigkeit und präsentiert zu | |
> diesem Anlass einen Teil seiner Bestände. Doch das Weitersammeln wird | |
> schwierig. | |
Bild: Die Fotografie erhielt Vorrang vor der Malerei: Untitled Film Still #2, 1… | |
WOLFSBURG taz | Zu den hoheitlichen Aufgaben eines Museums gehört das | |
systematische Sammeln. Das unterscheidet ein Museum von einem reinen | |
Ausstellungshaus, selbst wenn sich Praktiken wie personale oder thematische | |
Sonderschauen in beiden Institutionen ähneln mögen. | |
Das Kunstmuseum Wolfsburg besteht im Mai seit 18 Jahren, wird also | |
„volljährig“, wie Sammlungskurator Holger Broeker es ausdrückt. Dies ist | |
für das Haus erneut Anlass, einen Teil seiner Bestände zu präsentieren, von | |
den allerersten Erwerbungen bis zu kürzlich hinzugekommenen Arbeiten. | |
Dass das Haus wegen seiner monetären Nähe zu einem Weltkonzern über lange | |
Jahre eine stattliche und profilierte Sammlung zeitgenössischer Kunst seit | |
1968 zusammentragen konnte, die auch prominente Künstler in mehrteiligen | |
Werkkomplexen abbildet, ist nicht überraschend. | |
Nun bekommt das Haus allerdings auch die Folgen seines eigenen Erfolges zu | |
spüren. Denn vielen Künstlern, denen man in Wolfsburg eine umfassende | |
Ausstellung bereits in früheren Schaffensphasen widmete, wie beispielsweise | |
Andreas Gursky oder Olafur Eliasson, verhalf man damit auch zum | |
ökonomischen Durchbruch auf dem Kunstmarkt. Auf einem derzeit entfesselten | |
Kunstmarkt allerdings, der mit Rekordergebnissen in seinen Auktionen | |
auftrumpft. | |
Die Ankaufspreise relevanter Werke sind somit auch für Wolfsburger | |
Verhältnisse in unerreichbare Sphären abgezogen, kommentiert Direktor | |
Markus Brüderlin diese Entwicklung nicht ohne Bedauern. Ein Freundeskreis | |
betuchter Bürger springt deshalb seit geraumer Zeit in die Bresche und | |
ermöglicht den weiteren Fortschritt der Sammlung, indem er einzelne | |
Arbeiten aus den großen Themenausstellungen, wie zuletzt „Die Kunst der | |
Entschleunigung“, für das Haus sichert. Und: Es kommen Leihgaben und | |
Schenkungen von Künstlern, Galeristen und Sammlern hinzu, das Haus ist | |
mittlerweile international renommiert. Aber können diese | |
Zufallsakquisitionen eine konzeptionelle Erwerbungsstrategie ersetzen? | |
Den Kern der Wolfsburger Sammlung prägte das Temperament des | |
Gründungsdirektors Gijs van Tuyl, der von 1994 bis 2005 das Haus leitete. | |
Van Tuyl gelang in charmanter Umtriebigkeit im Kunstmarkt schon mit dem | |
allerersten Ankauf 1993 ein programmatischer Pflock der Sammlung, „Der | |
Tisch der Fruchtbarkeit“ von Mario Merz aus dem Jahr 1976 steht forthin | |
emblematisch für sie, ist das Sinnbild der sozialen Eingebundenheit des | |
Menschen in die Natur. Eine niedrige organische Spirale präsentiert | |
saisonales Obst und Gemüse, immer in voller Reife, auch als olfaktorisches | |
Ereignis am Übergang zum Verfall. | |
Mario Merz wurde unter van Tuyl weiter besammelt, Werke von Anselm Kiefer, | |
Carl Andre und weiteres kam hinzu. Arte Povera und Minimal Art wurden als | |
Nachbeben gesellschaftlicher Veränderungen ab 1968 gelesen, die Künstler | |
also nicht unbedingt, um mit Peter Sloterdijk zu sprechen, als | |
seismographische „Antennenmenschen“ überschätzt, sondern in ihrer | |
Aussagekraft auch eine Weile beobachtet. | |
Die Fotografie – vom Cindy Sherman, Gilbert & George oder Nobuyoshi Araki – | |
erhielt Vorrang vor der Malerei, installative Kunst vor der Plastik. Nach | |
sechs Jahren des Sammelns bewertete Gijs van Tuyl das damals Erreichte voll | |
Stolz als ein eigenes Kunstwerk: Die Sammlung „hat Struktur, Kohärenz und | |
Handschrift“, das Haus gab einen dicken Sammlungskatalog heraus. | |
Aus diesem Fundus lässt sich nach wie vor ergiebig schöpfen. Die | |
augenblickliche Sammlungsausstellung füllt die große Halle, sie zeigt mit | |
96 Arbeiten von 34 Künstlern jedoch nur rund ein Viertel des Bestandes. | |
Etwas diffus bleibt zwar die thematische Erklärung der Auswahl: Der Mensch | |
sei das Zentrum, die Kunst reflektiere die conditio humana als Suche nach | |
seiner Orientierung in einer technisierten Welt. Dies ermöglicht aber jede | |
Menge eigenständiger Zugänge – nach der mitunter didaktischen Belehrsamkeit | |
der Themenausstellungen somit ein entspanntes Sommerprogramm. | |
Sehr verhalten allerdings scheint derzeit die perspektivische Sicht auf die | |
Sammlung auszufallen. Der europäisch-amerikanischen Dominanz des 20. | |
Jahrhunderts im Bestand ist Kunst aus Asien, Afrika und Südamerika nicht | |
recht nachgefolgt, selbst wenn in der Ära van Tuyl bereits viel exotische | |
Verheißungen, wie Fotografie aus Brasilien und China ins Haus geholt | |
wurden. Nachhaltige Sammlungsaufforderungen hinterließen sie wohl nicht. | |
Nun träumt Direktor Brüderlin zwar von einem „globalen Museum“, da die | |
Moderne im 21. Jahrhundert kein exklusives Projekt des Westens mehr ist, | |
ein Universalkünstler wie Ai Weiwei weltweit überragend sei. | |
Welche Ambitionen daraus für die Sammlung folgen sollen – dafür will | |
Brüderlin sich jedoch Zeit lassen. Auf Schenkungen, das sollte klar sein, | |
kann das Kunstmuseum Wolfsburg bei diesen Provenienzen nicht hoffen. | |
15 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
## TAGS | |
Analog-Hipster | |
Fotografie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausstellung „Me at the Zoo“ in Hamburg: Verdammte Selfies | |
Die Ausstellung „Me at the Zoo“ zeigt Kunst an der Grenze zwischen Analogem | |
und Digitalem, zwischen Fremdwahrnehmung und Selbstinszenierung. | |
Kriegsbilder von Steve McCurry: Suchprogramm eingestellt | |
Unkommentiert zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg Aufnahmen des | |
Magnum-Fotografen Steve McCurry von den Krisengebieten dieser Welt. | |
Geschäfte mit der Kunst: Das kühle Schimmern | |
Der internationale Kunstmarkt boomt, die Preise klettern wieder in die | |
Höhe. Nur wenige Künstler und Galeristen haben etwas davon. | |
Der Künstler Ai Weiwei ist frei: Endlich wieder vor die Tür | |
Ai Weiwei ist nach einem Jahr Hausarrest wieder frei. Seinen Reisepass hat | |
er noch nicht zurück. Stattdessen erheben die chinesischen Behörden neue | |
Vorwürfe gegen ihn. | |
Ausstellung: Städtische Realitäten | |
Der Kunstverein Wolfsburg präsentiert die junge, international vernetzte | |
Kunstszene von Buenos Aires und erzählt dabei Geschichten von den Straßen. | |
Ausstellung Bogumir Ecker: Wie ein Schamane, der Gedärm oder Knochen wirft | |
Bogomir Ecker, im heutigen Slowenien geboren, stellt derzeit in Wolfsburg | |
aus. Konische Hohlkörper, Alu-Güsse, Schaumstoff - ein Un-Material zwar, | |
sagt Ecker, aber das Fürchterliche habe er immer interessant gefunden. |