| # taz.de -- Ausstellung „Me at the Zoo“ in Hamburg: Verdammte Selfies | |
| > Die Ausstellung „Me at the Zoo“ zeigt Kunst an der Grenze zwischen | |
| > Analogem und Digitalem, zwischen Fremdwahrnehmung und Selbstinszenierung. | |
| Bild: Immer wieder taucht in Maria Giberts Video „The Entertainer“ unvermit… | |
| Hamburg taz | Robert Habeck ist nicht mehr auf Twitter und Facebook | |
| präsent. Der Grünen-Chef meidet soziale Medien, weil diese zu | |
| unreflektierter Selbstdarstellung einladen würden (und weil er sich mit ein | |
| paar missverständlichen Tweets gehörig lächerlich gemacht hatte). Ja nun. | |
| Grundsätzlich ist so eine Entscheidung natürlich legitim, allerdings steht | |
| diese rigorose Haltung auch für einen Konservatismus, der einen ganzen | |
| Kommunikationskanal verdammt und so den Wichtigtuern überlässt. | |
| Habecks Twitter-Moratorium bringt einerseits den Reiz, andererseits das | |
| Problem der Ausstellung „Me at the Zoo“ im Kunsthaus Hamburg auf den Punkt. | |
| Die Jahresausstellung des Berufsverbands Bildender Künstler*innen Hamburg | |
| (BBK) zeigt Kunst an der Grenze zwischen Analogem und Digitalem, zwischen | |
| Fremdwahrnehmung und Selbstinszenierung. | |
| Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf das erste Video, das 2005 auf | |
| Youtube hochgeladen wurde: ein 19 Sekunden langer Clip, in dem | |
| Youtube-Gründer Jawed Karim vor einem Elefantengehege steht und unbeholfen | |
| an der Kamera vorbeinuschelt, dass ein langer Rüssel cool sei. Nerdiger | |
| Jungshumor, den man weder raffiniert noch interessant finden muss. Der | |
| allerdings eine ganz neue Form der likebasierten Selbstdarstellung eröffnet | |
| hatte. Und zu der muss sich die Kunst irgendwie verhalten. | |
| ## Kunstgucken als Seiltanz | |
| Sylvia Henze hat ihre Form des Verhaltens gefunden. Ihre Installation | |
| „C27H29NO11HCI“ besteht aus einem langen Flur, der mit unzähligen Passfotos | |
| der von einer Chemotherapie gezeichneten Künstlerin tapeziert ist. Der | |
| Boden besteht aus einer Spiegelfläche, auf der ein Holzbrett liegt; der | |
| Gang über das Brett wird so zum Seiltanz, der mit der Illusion eines | |
| Sturzes in die Tiefe spielt. | |
| „C27H29NO11HCI“ ist eine beeindruckende immersive Arbeit, aber sie | |
| repräsentiert ohne jeden Bruch eine Eins-zu-eins-Ästhetik, die einen ein | |
| Stück weit unbefriedigt zurücklässt. Verübeln kann man Henze diese Ästhetik | |
| nicht – die Diagnose Krebs ist ein Schock, vergleichbar mit dem hier | |
| erlebten Schritt ins Bodenlose. Warum sich allerdings der zutiefst | |
| unmittelbare Charakter dieser Schockerfahrung im Analogen besser darstellen | |
| lässt als im Digitalen, bleibt Behauptung. | |
| Nicht alle Arbeiten berühren einen mit der inhaltlichen und formalen Wucht | |
| von Henzes Installation. Jeanne Lefins „La Narcisa. Selbst-Ornament im | |
| Spiegel des Narziß-Mythos“ etwa ist eine reizende, dabei aber extrem | |
| zurückhaltende Miniatur. Vier Bronzefigürchen, winzige aber | |
| kunsthandwerklich extrem aufwendige Mini-Selbstporträts, die durch den | |
| Titel der Selfie-Kultur einen narzisstischen Gehalt unterstellen – und sie | |
| damit natürlich auch ein Stück weit aus einer bildungshuberischen Warte | |
| denunzieren. | |
| Überhaupt arbeiten sich ziemlich viele Exponate am Selfie ab: Heilwig | |
| Jacobs „Smartphoneskizzen“, die das Format des Handydisplays in die Malerei | |
| übertragen, oder Marianne Timander Korths Bleistiftzeichnungen „Kopf Brust | |
| Bauch 1–6 A/B“. Wenn man das Selfie als konsequente Fortführung des | |
| Selbstporträts versteht, kann man das natürlich machen; dass allerdings bei | |
| einer Gegenüberstellung von Selfie und Kunstwerk das Kunstwerk in der Regel | |
| die besseren Karten hat, ist klar. Was die Transformation in den | |
| Ausstellungskontext ein wenig schal wirken lässt. | |
| Auch wenn Selfieformen die Ausstellung prägen: Nur wenige der Exponate sind | |
| im eigentlichen Sinn Fotokunst, stattdessen gibt es einen spürbaren | |
| Überhang installativer Arbeiten. Zum Beispiel zwei Werke Dagmar Nettemann | |
| Schuldts, „Kleid, gestrickt“ und „Fingerabdruck“, bei denen intime Deta… | |
| in Alltagsmaterialien eingeschrieben werden. Oder Carsten Rabes „#Me at the | |
| Zoo“, auch wenn hier tatsächlich Fotos versammelt sind; Fotos, die mal | |
| einen gewissen Kompositionsanspruch verraten (die fein austarierte Aufnahme | |
| eines schlafenden Hundes etwa), mal eher Schnappschusscharakter haben. | |
| Ihre Qualität gewinnt Rabes Arbeit allerdings erst durch die Anordnung der | |
| Bilder, als grobe Petersburger Hängung, die die Aufnahmen fragmentiert, | |
| Überlappungen herstellt, Motive anschneidet. In dieser Überlagerung der | |
| Bilder entstehe ein Youtube-Effekt, so Rabe. Ob das so zutrifft, sei | |
| dahingestellt – eine spannende Bildpräsentation stellt die Arbeit auf jeden | |
| Fall dar. | |
| ## Diffueses Grundrauschen | |
| Auch Till F.E. Haupts Installation „Days in a Life“ überträgt für sich | |
| genommen leidlich spektakuläre Fotos in einen Installationskontext. Ein | |
| Film mit unzähligen, in wahnwitziger Geschwindigkeit ablaufenden | |
| Selbstporträts ist hier einem zweiten Film mit Aufnahmen aus einer 24 | |
| Stunden belichtenden Lochkamera gegenübergestellt. | |
| Die nicht unsympathische Selbstinszenierung schaut hier der wertfreien | |
| Aufzeichnung des gesamten Tagesgeschehens ins Gesicht. Und erkennt: nichts. | |
| Die Dauerbelichtung der Lochkamera erzeugt ausschließlich ein diffuses | |
| Grundrauschen. Was den Authentizitätsanspruch, der sowohl die Ausstellung | |
| „Me at the Zoo“ als auch den gleichnamigen Youtube-Clip umgibt, hübsch ins | |
| Leere laufen lässt. | |
| Robert Habeck mag den sozialen Medien entsagt zu haben, in Maria Giberts | |
| Video „The Entertainer“ aber sieht man den Tänzer Alexander Varekhine in | |
| der Rolle eines Politikers, der Botschaften in den leeren Raum sendet. Das | |
| Video ist einerseits die Aufzeichnung einer Performance des Hamburger | |
| Künstler*innenkollektivs The Current Dance Collective (die auch bei der | |
| Vernissage von „Me at the Zoo“ zu sehen war), andererseits ein | |
| eigenständiges Kunstwerk, das unvermittelt Bilder eines Affenwesens | |
| zwischen Varekhines Auftritt schneidet. „Man macht sich zum Affen!“, | |
| kommentiert Gibert das Video, und, ja, das ist wieder die bekannte Skepsis | |
| gegenüber dem Digitalen, die auch Habeck unterschreiben würde. | |
| Aber: „The Entertainer“ macht einen Zwischenraum auf, zwischen dem analogen | |
| Charakter der Performance zur Ausstellungseröffnung und dem digitalen | |
| Charakter der Präsentation als Video, zwei Ebenen, die inhaltlich nicht | |
| deckungsgleich sind. Und dieser Zwischenraum beschreibt den Reiz der | |
| klugen, ästhetisch reifen Ausstellung, die „Me at the Zoo“ neben der | |
| manchmal ein wenig bieder daherkommenden inhaltlichen Ausrichtung eben auch | |
| ist. | |
| 22 Jan 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Falk Schreiber | |
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