# taz.de -- Ausstellung über kulturelle Ambivalenz: Fliegender Teppich über G… | |
> In der Ausstellung „hybrID“ im Kunsthaus Hamburg geht es um oft | |
> problematische Abgrenzungen der Identitäten. Und um die Grenzen enger | |
> Zuschreibungen. | |
Bild: Ambivalente Verortungen: Installationsansicht der Ausstellung „hybrID“ | |
Hamburg taz | Ein kleiner Haken nur und ein Halbkreis und es entsteht ein | |
anderes Wortzeichen – eins, das den ganzen Sinn ändert: Aus „Lang lebe | |
Georgien“ wird dann: „Lang lebe Kurdistan“. Eine wahrlich kleine Mühe, um | |
einen neuen Staat zu schaffen, wenn auch nur in der hierzulande wenig | |
bekannten georgischen Schrift. | |
Ein bisschen exotisch ist es schon, was die Künstlergruppe [1][Slavs and | |
Tatars] dem Publikum im Hamburger [2][Kunsthaus] da zumutet. Aber es ist | |
ein schönes Beispiel, wie gering die Differenzen sein können, wenn es um | |
oft hoch problematische Abgrenzungen von Identitäten geht. Denn diese | |
Ausstellung thematisiert mit 13 Künstler*innen und Künstlergruppen unter | |
dem sinnig zum Logo verkürzten Titel „hybrID“ kulturelle Vielfalt und | |
ambivalente Verortungen. | |
Zuschreibungen von Orten sind für Geflüchtete und andere Migrant*innen je | |
nach Herkunft und vermutetem Sicherheitsstatus oft gefährlich – die | |
aberwitzig scheinpräzisen Forschungen zu Herkunftssprachen sind im Vorraum | |
ausgestellt – aber bei Künstler*innen schmücken sie meist positiv die Vita. | |
So stellt sich [3][Sung Tieu] in ihrem „Selbstporträt“ als ein LED-Panel | |
dar, auf dem die Namen aller Orte erscheinen, an denen sie gelebt hat. So | |
bildet das eigene Set von Ortsvorstellungen daraus klischeehaft eine | |
kulturelle Biographie der Vietnamesin. Ihr Spiegel mit dem eingeritzten | |
Zugvogelschwarm, der von zwei kleinen Plastik-Schwimm-flügeln gehalten | |
wird, ist dann eine die Besucher*innen mit ins Bild nehmende Reflexion über | |
gelingende und scheiternde Überwindung von trennenden Distanzen. | |
## Kugelige Objekte im Delirium | |
Der Wunsch, einfach davonzufliegen, bestimmt die Zeichenblätter des | |
Tunesiers [4][Nidhal Chamekh]. Doch vor der Wunscherfüllung steht das | |
Studium der Vögel, der Bau von Maschinen, das Vermessen des Menschen und | |
die Setzung von Regeln. Am Ende findet sich die stets änderbare Freiheit | |
nur auf dem Papier. | |
Zumindest virtuell kann vielleicht das Internet Grenzen überwinden – aber | |
es kann sie auch aufrecht erhalten: Wie [5][Aleksandra Domanović] in ihrem | |
Video zeigt, gab es die eigentlich länderbestimmende [6][Top-Level-Domain | |
„.yu“] für Jugoslawien bis 2010, also etliche Jahre länger als den real | |
1992 beziehungsweise 2003 aufgelösten Staat. | |
Hybridität kann aber auch ganz kunstimmanent bearbeitet werden, | |
beispielsweise als eine Ästhetik widersprüchlicher Materialkombination wie | |
bei Guan Xiao aus China. Doch selbst diesen disparaten Materialassemblagen | |
sind kulturgeschichtliche Verweise eingeschrieben, was bei der ältesten | |
kontinuierlichen Kultur der Welt kaum verwunderlich ist. | |
Dass es dabei auch um uralte kugelige Steinobjekte geht, denen die | |
Archäologie keinen anderen Sinn zuschreiben kann, als dass sie | |
wahrscheinlich ein reines funktionsfreies Statusobjekt waren, wirft | |
nebenbei ein ironisches Licht auf den Statuscharakter heutiger Artefakte im | |
delirierenden Kunstmarkt – gerade auch in China. | |
## Fester Platz im Alphabet der Wohlhabenden | |
Einen gehobenen Status bedeutete es, in Simbabwe ein Telefon mit | |
Festnetzanschluss zu haben und im Telefonbuch verzeichnet zu sein. Die von | |
[7][Admire Kamudzengerere] mit Porträts bedruckten gelben Seiten erinnern | |
an diese Identität von Wohnort und ethnischer Zugehörigkeit, dem festen | |
Platz im Alphabet der Wohlhabenden und einer zugeteilten Nummer – eine | |
Ordnung, die durchaus ambivalent zugunsten einer zwar grenzenlosen, aber | |
rastlosen Privatheit des Mobilfunknetzes aufgegeben wurde. | |
Schon eine einfache Banane kann ein begehrtes Statusobjekt sein. Daran | |
erinnert [8][Rachel Monosov] mit dem Bronzeabbild ihrer überhaupt ersten | |
Banane, die ihr als Willkommensgruß überreicht wurde, als sie von Russland | |
nach Israel übersiedelte. | |
Weitgereiste Waren als Glücksversprechen sind ja auch aus der jüngeren | |
deutschen Geschichte bekannt. Waren und Menschen müssen sich an Grenzen oft | |
mühsamen, mitunter absurden Prozeduren unterwerfen. | |
## Metallhalterungen fixieren den Grenzgänger | |
Mit minimalen Installationen zwingt Rachel Monosov reale oder gut | |
vorstellbare Performer zu Haltungen, die ein Kontrollsystem möglicherweise | |
vorgeben könnte: Glänzende Metallhalterungen fixieren den Grenzgänger und | |
mit genügend starker hintergründiger Macht wird sogar ein Kaninchengitter | |
zur unüberwindbaren Hürde. | |
Die immer genaueren Erfassungssysteme der Grenzregime sind nicht nur in den | |
von [9][Lawrence Abu Hamdan] präsentierten linguistischen Forschungen | |
präsent, die über Annahme oder Ablehnung eines Asylantrages entscheiden | |
können, sie werden auch in der gestikulierenden Hand des [10][Raqs Media | |
Collective] aufgezeigt. | |
Da wird nicht gezählt oder eine [11][Mudra] vorgeführt, es ist das Dokument | |
des Beginns der Datenerfassung in Indien zur heute größten biometrischen | |
Datenbank weltweit: Ein englischer Beamter nahm 1858 diesen Handabdruck des | |
bengalischen Geschäftsmanns Rajyadar Konai zur Bestätigung eines Vertrages. | |
## Fine Vergegenständlichung | |
Aber es gibt einen fragilen Trost: Zustände sind änderbar und Dinge | |
verschwinden. Der Palästinenser [12][Taysir Batniji] schreibt den Satz | |
„Kein Zustand ist permanent“ in Arabisch auf 457 Seifenstücke. Eine feine | |
Vergegenständlichung, aber auch frustrierend, weil nicht nur die Seife im | |
Gebrauch sich auflöst, sondern die formulierte Setzung auch. Sogar die | |
Nicht-Permanenz ist nicht permanent: Alles ist stetig neu zu definieren. | |
Ziemlich im Zentrum der von Anna Nowak kuratierten Ausstellung befindet | |
sich der leicht v-förmig geknickte Orientteppich von Slavs and Tatars. | |
Formal zwischen vergrößerter Stütze für – meist religiöse – Bücher und | |
verkleinerter Teestubenausstattung bietet die stets mit den mythischen | |
Vorstellungen Eurasiens zwischen Berliner und Chinesischer Mauer spielende | |
Künstlergruppe hier eine schöne Sitzgelegenheit, um Hintergrundgeschichten | |
nachzulesen und über fragile Identitäten nachzudenken. Und unterlegt mit | |
blauem Licht ist er auch ein fliegender Teppich, um einengende | |
Zuschreibungen zu überwinden. | |
14 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.slavsandtatars.com | |
[2] https://kunsthaushamburg.de | |
[3] https://sungtieu.com/ | |
[4] http://nidhal-chamekh.com/ | |
[5] http://aleksandradomanovic.com/ | |
[6] https://www.iana.org/reports/2010/yu-report-01apr2010.html | |
[7] http://www.tyburngallery.com/artist/admire-kamudzengerere/ | |
[8] https://www.rachelmonosov.com/ | |
[9] http://lawrenceabuhamdan.com/ | |
[10] https://www.raqsmediacollective.net/ | |
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Mudra | |
[12] https://www.taysirbatniji.com/ | |
## AUTOREN | |
hajo schiff | |
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