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# taz.de -- Ausstellung „Mutter.Form“ in Hamburg: Kunstheldin Mutter
> Das Hamburger Kunsthaus würdigt die Mutter. Die Ausstellung heißt
> „Mutter.Form“, weil sie sich nicht nur mit menschlichen Beziehungen
> beschäftigt.
Bild: Alles voll mit Müttern: Installationsansicht im Hamburger Kunsthaus
HAMBURG taz | Bei der ersten Jurysitzung, als das Thema der diesjährigen
Jahresausstellung des Berufsverbandes Hamburger Künstlerinnen und Künstler
(BBK) noch nicht feststand und man noch entsprechend am Suchen, Abwägen und
Überlegen war, fiel irgendwann das Wort: Mutter. Rein zufällig, von
niemandem strategisch geplant. Einfach: Mutter. Mutter!
Sofort entspann sich ein Gespräch: „Es war sofort zu merken, welche
unterschiedlichen Gefühle nur das Wort ‚Mutter‘ auslöst: von total positiv
bis belastet; Begriffe wie ‚Kontrollzwang‘ und ‚Fürsorge‘ fielen“, s…
Maria Gibert, eine der Jurorinnen der sechsköpfigen Jury.
Damit war das Thema klar, wenn auch noch nicht in einen solide
ausformulierten Ausschreibungsaufruf gegossen. „Wichtig ist uns auch das
Wort ‚.form‘ und damit die Frage über die Mutter hinaus, wo etwas herkommt,
wo etwas anfing“, sagt Maren Goldenbaum-Henkel aus dem Jurykreis.
Das Besondere der Jahresausstellung des BBK: Eine Jury wählt aus
eingesandten Arbeiten ihrer Mitglieder das aus und lässt es hängen oder
aufstellen, was nach ihrer Einschätzung in Bezug auf die Auseinandersetzung
mit dem vorgegebenen Thema entschieden an Wert und Wirkung und Kraft hat.
Da die Einsendungen anonym erfolgen, haben bekannte Namen somit die
gleichen Chancen wie vorgebliche Nobodys. Mitglieder, die seit Jahrzehnten
dabei sind, müssen sich mit denen messen, die gerade erst in den Verband
eingetreten sind. Von daher besteht die Kunst jedes Jahr darin, ein Thema
wie eine Überschrift zu (er)finden, die das Feld kommender künstlerischer
Auseinandersetzung einerseits weit öffnet, es sich aber auch von der
Beliebigwerdung abgrenzt.
## Kunstwerke mit erzählerischer Haltung
Und das klappt diesmal richtig gut: Tief biografisch geerdete Arbeiten
wechseln sich mit Werken ab, die ein, zwei Schritte zurücktreten; leise und
leichte Ironie ist ebenso anzutreffen wie überzeugende Ernsthaftigkeit.
Statements treffen auf Suchbewegungen. Wobei auffällt, dass die Kunstwerke
je auf ihre Weise die Betrachter mit einer erzählerischen Haltung
konfrontieren und es stets nicht lange dauert, bis man sich beim Betrachten
einen Ankerpunkt sucht, der zum Nach- oder Weitererzählen einlädt. Oder um
es mit Goldenbaum-Henkel zu sagen: „Jeder hat eine Mutter.“
Da ist etwa Kerstin Bruchhäuser mit einer überlebensgroßen Näharbeit, die
uns eine Mutter mit Kleinkind auf dem Arm zeigt – die so symbiotisch sie
auch wirken, bereits auseinander streben.
Gleich nebenan bietet uns Wolfgang Block eine nur vordergründig technoide
Installation: Er hat seine Mutter beim Stricken gefilmt, verwandelt die
schnellen Bewegungen und das dabei entstehende Klickern der Nadeln erst in
elektrische und dann grafische Impulse. Inklusive der kleinen Fehler, die
beim so rasanten Verknüpfen der Maschen passieren können und in der
Nachbearbeitung ausgeglichen werden. Und ist das nicht das Grundanliegen
von Erziehung, wo man immer wieder das gutzumachen versucht, was einem in
besten Absichten eben misslang? Und zwar so, dass niemand es groß merkt?
## Was bleibt, wenn die Kinder einen nicht mehr brauchen?
Jutta Konjer zeigt sich selbst mittels der Fotoarbeit „Hexe“, nicht mit
Katze, sondern mit Huhn auf der Schulter. Was bleibt, wenn die Zeit wirkt
und die Kinder einen schon lange nicht mehr brauchen und auch sonst niemand
mehr auf einen wartet? Judith Heinsohn geht im Gegensatz dazu mit der
Videoarbeit „Seehunde im Bauch einer Frau“ noch einmal zurück zu den
Momenten, wo das noch ungeborene Kind sich im Körper der Mutter bemerkbar
macht.
Monika Hahn hat für ihre Arbeit „Mutters Sohn“ eine Strumpftasche genutzt,
in der einst Frauen ihre Nylonstrümpfe aufbewahrten. Beeindruckend schön
die Fotoarbeit „Madonnen“ von Ute Friederike Jürß, die Madonnenfiguren sa…
deren jeweiligem Kind so ausschnitthaft fotografiert und bearbeitet hat,
dass eine ganz eigene Anmutung von Entrückung und Präsenz entsteht.
„Heimat gesucht“ von Alexandra Ewerth, bestehend aus einem aufgestellten
Zelt, auf dessen Bahnen sie Alltagsszenen von Mutter und Kind projiziert
hat, kann dagegen ohne übertrieben moralischen Impetus als leiser Kommentar
zur Situation von geflüchteten Müttern und Kindern gelesen werden.
## Vom Ende der klassischen Mutterschaft
„Wild Animals“ von Kerstin Stephan nennt sich schließlich eine Serie aus
kleinen, sehr raffiniert gefertigten Schwarz-weiß-Collagen von Tiermüttern
mit ihren Nachkommen – bis man beim Betrachten irritiert merkt, dass bei
dem dargestellten Setting der ineinander montierten Körperteile irgendetwas
nicht stimmen kann.
Ralf Jurszo nutzt das Sujet des kaum handtellergroßen Sammelbildchens, um
auf das mögliche Ende der klassischen Mutterschaft hinzuweisen: „Unsre
Leihmutter“. Und Hanna Malzahn widmet sich in ihrer grafischen Serie
„Mutter und Schrauben“ der Sechs-Kant-Schraube, wie die Mutter schließlich
auch heißen kann.
Noch mal intim wird es zum Ende der Kunsthaushalle hin, wo hinter einer
eingezogenen Wand Arbeiten hängen, für die man beim Betrachten Ruhe,
Abschirmung und Schutz gut gebrauchen kann: Karin Witte hat Zeichnungen
ihrer verstorbenen Mutter gefertigt, in der der Schrecken, aber auch das
pure Nicht-verstehen-können über den leblosen Körper ihrer sie solange
durchs Leben begleitenden Mutter enthalten ist.
Christiane Lüdtke hat während ihrer Wachen am Bett ihrer ins Koma gefallen
Mutter diese gezeichnet und dafür als Malfläche zu simplen, weißen
Vliestüchern gegriffen, wie sie sonst im Haushalt benutzt werden. Und so
schauen wir auf das Ende von Mutterschaft und in diesem Fall das
Tochtersein, das sich in anderer Weise fortsetzen wird.
14 Feb 2018
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Kunsthaus Hamburg
„Unsere Mütter, unsere Väter“
Mütter
Kunsthaus Hamburg
Mutterschaft
Familie
Schwerpunkt Berlinale
Familie
Beduinen
Kunsthaus Hamburg
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