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# taz.de -- Der Audio-Ermittler im Museum in Berlin: Fatale Missverständnisse
> Untersucht die politischen Implikationen von Sprache und Kommunikation:
> Lawrence Abu Hamdan und seine Ausstellung „The Voice before the Law“.
Bild: Lawrence Abu Hamdan, Disputed Utterance (Detail: murder/merde), 2019
Der Klangexperte Lawrence Abu Hamdan weiß um die Wirkung, die über das
Gehör wahrgenommene Eindrücke auf den Hörer haben. Das hat der 34-Jährige,
geboren im jordanischen Amman, mit der Ausstellung „Walled Unwalled“ schon
in der daad-Galerie gezeigt. Dort destillierte er den Klang von Folter zu
einer Soundinstallation. So brachte er den Besuchern nahe, was viele nur
mittelbar kennen: Folter, Gewalt und das Erleben repressivster Grenzen.
Mit seiner Arbeit ist er nicht nur Kandidat für den Turner-Preis, er gewann
bereits den Baloise Kunst-Preis. Der bringt nicht nur ein Preisgeld ein.
Zusätzlich kauft die ausschreibende Versicherung Werke der Preisträger an
und reicht sie als Schenkung an Museen weiter. In diesem Jahr profitiert
davon die Sammlung der Berliner Nationalgalerie. Sie darf nunmehr Abu
Hamdans Installation „This whole time there were no landmines“ von 2017 zu
ihrem Bestand zählen und widmet ihr nun eine Ausstellung mit dem Titel „The
Voice Before The Law“ im Hamburger Bahnhof.
Rufe und Schreie schlagen dem Besucher in dieser Arbeit entgegen, die als
enger Gang installiert ist. Entlang der Wände werfen Monitore Filmfetzen
von 5 bis 30 Sekunden ein – Found Footage, 2011 mit einem Smartphone
gefilmte Sequenzen von einem Vorfall im „Shouting Valley“. Dieses Tal
markiert eine Grenze, die als ein Ergebnis des 6-Tage-Krieges die
Golanhöhen durchschneidet und Familien der dort ansässigen Drusen trennt.
## Klänge überwinden die Grenze
Klänge schienen das Einzige zu sein, was die Grenze ungehindert überwinden
kann. Das „Shouting Valley“ bietet die besten akustischen Bedingungen für
Rufe auf die andere Seite, ein „akustisches Leck in der Demarkationslinie“,
wie es Lawrence Abu Hamdan nennt. Vor der Ära des Handys machten sich das
auseinandergerissene Familien das oft zunutze.
Hier überschritten 2011 protestierende Palästinenser von syrischer Seite
aus die Grenze. Von der anderen Seite schlugen ihnen laute Warnungen
entgegen: „Genug! Halt! Stopp! Hier gibt es Landminen!“ Ein Irrtum.
Tatsächlich gab es dort die ganze Zeit keine Landminen.
Vor die Installation „This whole time there were no landmines“ wurde die
ruhige Arbeit „Disputted Utterance“ gestellt. Wandtexte erzählen von
sprachlichen Missverständnissen, die zu fatalen Situationen geführt haben.
Eine Methode, die mit Farbstoffen die Kontakte von Zunge, Gaumen und Zähnen
beim Sprechen anzeigt, macht dem Auge nachvollziehbar, wo sich das Ohr
getäuscht hat.
## Tödliche Missverständnisse
So konnten von der Polizei missverstandene Aussagen vor Gericht
richtiggestellt werden. Andere Fälle gingen weniger glimpflich aus. Eine
niederländische Bungee-Springerin hat „Now jump!“ verstanden und war
gesprungen – wovor sie der spanische Sprungassistent eigentlich mit dem
Ausruf „No jump!“ warnen wollte.
Ungenau vernommene Sprache entscheidet auch in „Conflicted Phonemes“ über
Schicksale. Anhand des Dialekts von Geflüchteten aus Somalia, die über
keine Dokumente verfügen, soll ihre Herkunft festgestellt werden. Einige
Regionen gelten als gefährdet und berechtigen zu Asyl, andere gelten als
sicher. Dabei identifiziert die Analysemethode, auf deren Ergebnisse sich
Behörden verlassen, oft andere Herkunftsgebiete, als eine Gruppe von
Sprachwissenschaftlern, die ein differenzierteres Verfahren anwendet.
In akustischer Information, Sprache zumal, steckt großes
Motivationspotenzial, das leicht in eine falsche Richtung führen kann. Wenn
Lawerence Abu Hamdan dazu bewegt, sorgfältig zuzuhören, hat seine Arbeit
viel erreicht.
7 Dec 2019
## AUTOREN
Jan Bykowski
## TAGS
zeitgenössische Kunst
Hamburger Bahnhof
Turner-Prize
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Syrien
Moderne Kunst
Turner-Prize
Kunsthaus Hamburg
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