# taz.de -- Berliner Hort der analogen Fotografie: Der Schwarzweißfilm unverge… | |
> Bei Fotoimpex in der Alten Schönhauser hält man es mit dem Fotografieren | |
> genau so wie früher: analog. Das nötige Material gibt es aber auch | |
> online. | |
Bild: Mirko Böddecker mit dem notwendigen Fotomaterial in seinem Laden | |
BERLIN taz | Die Alte Schönhauser in Mitte – normalerweise eine Straße | |
wie geschaffen für Visit Berlin, Meile für Touristen und Shopping Queens. | |
Ein Klamottenladen nach dem anderen. Irgendwo dazwischen ein kleiner | |
Fotoladen. Draußen neben der Eingangstür hängt ein leicht vergilbter | |
Zeitungsartikel: „Der dunkle Raum – Über die Schönheit der analogen | |
Fotografie“. Ein Harf Zimmermann schreibt darin das Hohelied aufs analoge | |
Fotografieren als „Antithese zur digitalen Massenware“. | |
Artur Kowallick, der im Laden – wenn nicht gerade ein Lockdown ist – als | |
Verkäufer arbeitet, sieht es genauso, sagt es nur anders. „Beim analogen | |
Fotografieren, dieser Überraschungsmoment: Oh, ich habe wohl verwackelt. | |
Nur kannst du es nicht sofort kontrollieren. Du musst warten, kannst die | |
Urlaubsbilder vielleicht erst Wochen später zu Hause entwickeln und sehen, | |
wie sie geworden sind. Andererseits: Jeder Film hat eine eigene | |
Charakteristik, auch die alten analogen Objektive. Und dann die Negative, | |
Kontaktbögen, Papierabzüge, das ist was Haptisches, fast Sinnliches. Das | |
gibt es beim Digitalen in der Form ja nicht, da kommst du beim | |
Fotografieren auch nicht in so einen Flow, weil du immer wieder auf das | |
Display guckst. Viele manipulieren dann auch noch das Bild, bei Analog ist | |
das nicht möglich.“ | |
Kowallick war eine Zeit als selbstständiger Fotograf tätig und ist ganz | |
froh, dass er jetzt nicht mehr vom Fotografieren leben muss, was gerade in | |
Berlin nicht einfach sei. Als Verkäufer im Fotoimpex-Geschäft gefällt es | |
ihm deshalb so gut, weil er hier seine Passion mit einem gesicherten Job | |
verknüpfen kann. Das gilt auch für andere Kollegen. „Jeder hier hat Ahnung, | |
das ist das Kapital des Ladens.“ | |
Dessen Anfänge in der Schönhauser reichen zurück bis ins Jahr 1997. „Damals | |
waren wir das einzige Geschäft hier, zusammen mit einem Kaffee-, einem | |
Buchladen und einer Fernsehreparatur“, sagt Mirko Böddecker, der Besitzer. | |
„Die Miete war günstig und wir hatten 500 Quadratmeter Raumfläche, weil | |
vorher ein Kinderschuhladen hier drin war. Also sind wir aus unserem | |
14-Quadratmeter-Geschäft neben dem Friedrichstadtpalast hergezogen.“ | |
Nicht ganz so spektakulär wie die Nachwendegeschichte des | |
Unterhaltungstempels ist die des kleinen Fotoladens um die Ecke, aber auch | |
sie hat was von „Auferstanden aus Ruinen des Sozialismuszusammenbruchs“. | |
Nur dass sie im Prinzip im Westen begann, in Wuppertal, wo Mirko Böddecker | |
in den 80ern lebte und sich der Analogfotografie hingab. | |
„Als Schüler habe ich immer mit Fotomaterial aus dem Osten gearbeitet“, | |
sagt Böddecker. „Orwo aus der DDR oder Efke aus Kroatien, weil es sehr gut | |
und trotzdem günstiger war als das aus dem Westen. Nach dem Mauerfall sind | |
dann viele Betriebe in der DDR zusammengebrochen, aber in Osteuropa hielten | |
die sich etwas länger. Und so bin ich mit einem VW-Bus durch Rumänien, | |
Ungarn und Kroatien gefahren und habe dort Fotomaterialien eingekauft, um | |
es an die Kundschaft in Deutschland zu verkaufen und damit mein | |
Ökonomiestudium zu finanzieren.“ | |
Inzwischen war er auch in den deutschen Osten gegangen, wo er sich mit | |
seiner neu gegründeten Firma Fotoimpex praktisch zum Generalimporteur für | |
Fotozubehör made in Osteuropa entwickelte. Er konzentrierte sich mit seinem | |
Angebot – Filme, Fotopapiere, Chemikalien, aber keine Kameras – auf | |
Fotokünstler und Hobbyfotografen, die ihre Fotos selbst entwickelten. | |
Der Laden und Versandhandel brummte. Bis Ende der 90er Jahre die große | |
Digitalwelle anrauschte – und Fotoimpex dabei mitnichten hinwegspülte, weil | |
man nie den Massenmarkt bediente. | |
Inzwischen ist die Firma mit Sitz in Bad Saarow auf über 20 Mitarbeiter | |
angewachsen und macht weltweit jährlich einen einstelligen Millionenumsatz. | |
Das Geld wird permanent reinvestiert, etwa in die Produktion von | |
Chemikalien in Bad Saarow oder, wie zuletzt, in die Herstellung eines | |
eigenen Schwarzweißfilms für Analogkameras. Dass die Absatzaussichten für | |
den bestens sind, dafür spricht allein schon der Nachfrageboom, den die | |
Kameras aus der vordigitalen Ära seit rund zehn Jahren erleben. Der Preis | |
für die Gebrauchten hat jetzt schon die einstigen Neupreise überschritten. | |
„Das hat sicherlich mit der digitalen Übersättigung der Leute zu tun“, sa… | |
Böddecker, „und natürlich mit der Passion für die Analogfotografie.“ Im | |
Prinzip seien es ähnliche Aspekte wie bei Oldtimern oder Vinylplatten, das | |
Handwerkliche und Haptische, die zum Retrotrend führten. „Analogfotos | |
entwickelt man in einer Dunkelkammer, die Chemikalien haben einen Geruch, | |
dagegen ist digital halt sehr abstrakt. Leute, die heutzutage selbst in der | |
Fabrik an der Stanze den ganzen Tag auf einen Monitor gucken müssen, | |
stellen sich zu Hause vielleicht auch lieber eine Drehbank in den Keller | |
und werkeln daran mit Holz rum. Nicht, weil sie bessere Stühle bauen | |
wollen, sondern weil es ihnen Spaß macht.“ | |
Zu jenen, denen das Spaß macht, gehören viele junge Menschen. Sie seien in | |
der Digitalwelt aufgewachsen und suchten nun halt oft nach dem Besonderen, | |
wodurch sie die Analogfotografie entdecken würden, sagt Böddecker. So käme | |
es, dass die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen 80 Prozent der Kundschaft | |
ausmachen würden. Möglicherweise sind es oft dieselben, die sich zu Hause | |
auch lieber eine Vinylplatte auflegen als nur zu streamen. | |
Trotzdem sei die Hinwendung zur Analogfotografie kein Hipsterding mehr wie | |
noch vor Jahren, sagt auch Verkäufer Artur Kowallick. „Die Leute haben | |
wirklich Ahnung von der Materie, die kommen mit ihren Leicas und Pentax' | |
her und wissen über die diversen Filme bestens Bescheid.“ | |
Zuletzt kamen allerdings weder junge noch ältere Kunden so häufig wie | |
sonst, denn die Coronapandemie hat geschafft, was die Digitalmanie nicht | |
geschafft hatte. Erstmals gab es einen Umsatzeinbruch, weil der Laden nicht | |
mehr so lief durch die Schließungen im Lockdown. Der Onlinehandel von Bad | |
Saarow aus funktioniert zwar, aber auch dort machen sich die | |
Unterbrechungen von Handelswegen und Lieferketten bemerkbar. | |
Mirko Böddecker, der zwischen seinem Wohnort Berlin und der Firmenzentrale | |
im Umland pendelt, muss darauf hoffen, dass die Analogfreaks nach der | |
Pandemiehochzeit wieder so rege bestellen wie zuvor. Sein größter Markt | |
sind die USA, gefolgt von Deutschland, Italien und England, aber eine immer | |
wichtigere Kundengruppe kommt aus China, wo die technikaffine Mittelschicht | |
die Analogfotografie entdeckt. | |
Die Russen sind dagegen keine relevante Kundschaft, wie man vielleicht | |
denken könnte mit dem vor über 20 Jahren eskalierten Hype um die | |
Lomo-Bewegung im Kopf. Die russische Kleinbildkamera Lomo erreichte wegen | |
und nicht trotz ihrer grottenschlechten Bildqualität einen plötzlichen | |
Kultstatus. Aktiv befördert worden war der von schlauen Marketingleuten aus | |
Wien, die damals als Erste den analogen Trend erkannten und eine | |
Lifestyle-Kampagne starteten. Fotoimpex wurde das erste Lomo-Depot in | |
Berlin, das die Apparate aus Russland importierte. | |
In den Regalen des Ladens sind sie heute noch im Angebot. Für die | |
Stimulierung der Analogbegeisterung sind sie aber nicht mehr nötig. | |
3 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Leue | |
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