# taz.de -- Analoge Heldin: Das Drucken anfassbar machen | |
> Mit großem Druck und Getöse bringt Jenny Trojak Farbe auf Papier. In den | |
> Hinterzimmern ihres Papeteriegeschäfts Nur ein Mü gibt sie auch | |
> Workshops. | |
Bild: Jenny Trojak in den Hinterzimmern ihrer Werkstatt | |
BERLIN taz | Wenn Jenny Trojak vor der wuchtigen schwarzglänzenden Maschine | |
steht und fragt, ob sie mal kurz hochfahren soll, dann taucht in den Augen | |
der kleinen, dünnen, überaus höflichen und freundlichen Frau plötzlich so | |
etwas wie Siegesgewissheit auf. Sie drückt eine silberne Kupplung nach | |
unten. | |
Der [1][Heidelberger Tiegel] springt an. Das raumfüllende Getöse der | |
Druckpresse ist erschreckend. | |
Es erinnert an eine verstärkte Beatmungsmaschine. Die Presse hat einen | |
deutlich sichtbaren Arm, der das Papier ansaugt. Es braucht eine Weile, um | |
zu durchblicken: Ein zweiter Arm führt die Gummiwalze von der Farbwalze | |
über die Druckform und zurück. | |
Ein dritter, kreisender Arm führt das leere Papier Richtung Druckform und | |
legt das bedruckte zur Seite. Dieser Arm hat der berühmten Tiegelpresse den | |
Spitznamen Windmühle beschert. Die Windmühle rattert und schnauft wie irre. | |
## Der Tiegel bringt viel Druck ins Spiel | |
„Als ich den Tiegel gekauft habe, ging der Erlös ans Gutenberg-Museum, das | |
hat mir gefallen“, sagt Trojak, nachdem sie die Maschine wieder ausgestellt | |
hat. Sie erzählt, dass die 1820 in Boston von Isaac Adams erfundene | |
Tiegelpresse mit großem Druck die Farbe aufs Papier bringt – mit mehreren | |
Tonnen Druck sogar. Wer mit der Hand über die mit dieser Maschine | |
bedruckten Buchstaben streicht, kann leichte Einprägungen ertasten. | |
Das ist anders als beim Offsetdruck, der am weitesten verbreiteten | |
Drucktechnik im Bücher-, Zeitungs- und Werbedruck, wo die Druckplatte und | |
der Druckträger nicht miteinander in Berührung kommen, sondern eine Walze | |
den Druck von der Form aufs Papier überträgt. | |
Es ist erst recht anders als beim Digitaldruck, wo es gar keine Druckform | |
mehr gibt. „Die Maschine ist 60 Jahre alt, ein Meisterwerk“, sagt Jenny | |
Trojak stolz. „Man kann mit ihr auch stanzen, rillen, perforieren, | |
nummerieren und prägen.“ | |
## Nur ein Mü | |
In Zepernick hinter Berlins nördlicher Stadtgrenze, in einem beschaulichen | |
alten Dorf an der S-Bahn-Linie 2 zwischen Buch und Bernau, befindet sich | |
Jenny Trojaks Laden mit dem witzigen Namen Nur ein Mü. Auf den ersten Blick | |
handelt es sich um ein Fachgeschäft für Papeteriewaren wie edle Postkarten, | |
schöne Papiere wie die aus Japan und besondere Stifte – einen Laden, wie | |
man ihn eigentlich eher in einem Stadtteil wie Prenzlauer Berg, Schöneberg | |
oder Kreuzberg erwarten würde. | |
Doch das ist nicht alles: In den Hinterzimmern führt Trojak selbst | |
Druckaufträge durch, druckt beispielsweise wunderschöne Postkarten mit | |
filigran gezeichneten Mistel- oder Hagebuttenzweigen, Visiten- und | |
Einladungskarten. Demnächst, wenn die Zeit reicht, auch ein Kochbuch mit | |
eigenen Rezepten. Vor Corona konnte man bei ihr auch Workshops belegen, | |
auch das soll möglichst bald wiederkommen. Bei Trojak dreht sich alles | |
darum, das Drucken wieder sichtbar und anfassbar zu machen. | |
Ihre Geschichte ist wie aus dem Bilderbuch: In ihrem letzen | |
Angestelltenverhältnis arbeitete Jenny Trojak in einer großen Druckerei in | |
Berlin. Dort war modernste Technik angesagt: UV-Druck zum Beispiel, mit dem | |
es möglich ist, vom Golfball bis zur Handyhülle jeden Gegenstand zu | |
bedrucken, den man sich vorstellen kann. Doch irgendetwas fehlte Trojak. | |
Durch Zufall stieß sie auf eine Annonce im Gemeindeblatt. Die Grundschule | |
Zepernick löste ihre Schuldruckerei auf, ein Lehrer war in Rente gegangen, | |
die Kinder wollten nur noch digital drucken. Trojak fuhr sofort hin. Und | |
erwarb ganze Schränke voller Bleilettern, die heute ebenfalls in einem | |
Hinterzimmer ihres Ladens stehen, direkt neben dem Zimmer, das | |
hauptsächlich der Tiegel ausfüllt. | |
## Blei geben | |
Vor allem mit Kindern, berichtet Jenny Trojak, mache es einen Riesenspaß, | |
auf die ganz alte Art zu drucken – mit Handsatz, wie ihn Johannes Gutenberg | |
1440 erfunden hat. Viele, die mit digitaler Technik aufgewachsen sind und | |
Druckaufträge nur noch mit einem Mausklick an den Laser- oder | |
Tintenstrahldrucker schicken, können sich kaum mehr vorstellen, wie | |
aufwendig es noch vor wenigen Jahrzehnten war zu drucken. | |
Die Lettern müssen zunächst im Setzkasten gefunden, spiegelverkehrt und auf | |
dem Kopf in den sogenannten Winkelhaken gelegt werden. Dann muss Blei | |
gegeben werden, wie es im Drucker*innenjargon heißt, also passender | |
Leerraum zwischen den Wörtern gesetzt werden. | |
Die Lettern müssen im Setzrahmen mithilfe einer Setzerahle einer Art | |
Schraubenzieher mit schmaler Spitze, rangiert werden. | |
Die Leerräume werden mit Schließzeug gefüllt, sogenannten Keilschlössern, | |
die die Lettern spannen. Das Klopfholz sorgt dafür, dass keiner der Lettern | |
nach oben steht und nachher die Walzen beschädigt. Und am Ende werden die | |
Leerräume mit so genanntem Schließzeug befüllt, das heißt, man spannt die | |
Lettern mit metallenen Keilschlössern fest. | |
## Drucken öffnet Türen | |
Jenny Trojak ist der festen Überzeugung, dass der Zugang zum Druck auf | |
diese langsame Art gerade heute viele Türen öffnen kann. Es gilt als | |
nachgewiesen, dass sich die motorischen Fähigkeiten der Kinder in Zeiten | |
von Computerspielen und Lern-Apps eher verschlechtern. „Begreifen kommt von | |
Greifen“, bringt es Trojak auf den Punkt. | |
Und muss sich dann mal kurz entschuldigen. Eine ältere Kundin hat trotz | |
früher Stunde den Laden betreten und fragt nach einem guten Papierleim. | |
Trojak empfiehlt ihr eine silberne Dose mit italienischem Leim auf der | |
Basis von Kartoffelstärke, der nach Bittermandelöl duftet. Anschließend | |
sucht sich die Dame noch einen Druckbleistift des ältesten | |
Bleistiftproduzenten der Welt aus Tschechien aus. | |
Auch wenn es nach wie vor eine Nische ist: Bis vor kurzem galt der | |
Handdruck noch als hoffnungslos abgehängt vom billigen Offset- und dem | |
schnellen Digitaldruck. Doch zunehmend ist der Buchdruck im neuen Gewand | |
als Letterpress nun wieder angesagt, gilt als bodenständig, handwerklich. | |
Er wird betrieben von designbegeisterten Leuten aus aller Welt, die oft | |
halb so alt sind wie ihre liebevoll gehegten Maschinen: die Lettertypen in | |
Adlershof, wo man unter anderem mit einer Johannisberger Schnellpresse aus | |
dem Jahr 1924 druckt. Die Druckerey des Schweizer Setzers und Buchdruckers | |
Martin Z. Schröder in Weißensee, Baumgarten & Grützmacher in Kreuzberg, | |
Volta Press in Moabit, die Druckerei von Laureen und John Mahler aus | |
Kalifornien. Seit Kurzem gibt es sogar im Kulturkaufhaus Dussmann eine | |
manuelle Druckmaschine. | |
## Eine ernst zu nehmende Nische | |
Schön Gedrucktes wird auch in der Verlagsszene zunehmend zur ökonomisch | |
ernst zu nehmenden Nische. 2017 hat der Typographiker Erik Spiekermann | |
gemeinsam mit dem Suhrkamp-Verlag die Herausgabe der Edition „Letterpress“ | |
gestartet, um die Tradition des Buchdrucks am Leben zu halten. | |
Erst Ende letzten Jahres gründete Birgit Schmitz, die zuletzt zwei Jahre | |
lang den Verlag Hoffmann und Campe leitete, den Berliner Verlag TOC | |
Publishing, wo ebenfalls noch alte Drucktechniken gepflegt werden. Auch | |
andere Verlage wie Matthes & Seitz, der [2][Guggolz Verlag] oder der Verlag | |
Das kulturelle Gedächtnis setzen sehr aufs bibliophile Buch, das auch etwas | |
mehr kosten darf und das man nicht durch digitale Endgeräte ersetzen kann. | |
Viele Menschen scheinen der neuen Körperlosigkeit zwischen Kindle und | |
Blendle zunehmend überdrüssig zu werden, es fehlen ihnen echte Dinge, die | |
sie anfassen, in denen sie blättern und an denen sie riechen können, meint | |
auch Jenny Trojak. | |
Sie ist sich sicher, dass sich diese Sehnsucht nach einem Jahr | |
Abstandsregeln und Videokonferenzen dank Pandemie eher noch verschärft | |
haben wird. Sie sieht beschwingt in die Zukunft ihres Ladens Nur ein Mü. | |
Und dann muss sie wieder weg, diesmal fragt ein Kunde nach schönem | |
Briefpapier. | |
25 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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