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# taz.de -- taz-Debattenserie Digitalisierung: So verliebt in mich?
> Die Digitalisierung frisst ihre Kinder: Über Facebook, Twitter oder
> Instagram muss das perfekte Bild vom Ich geteilt werden.
Bild: Aussehen wie Kim Kardashian? Auf YouTube gibt es entsprechende Make-up-Tu…
Ich und ich – das ist wohl die Beziehung, die digital am meisten zählt. Der
Mensch im Spiegel ist der, den viele am meisten lieben. Durch die
Möglichkeit, diese Selbstliebe digital vor den Augen anderer zu
zelebrieren, dreht sie noch einmal richtig auf. Das Perverse daran: Das
alles ist nicht einmal richtig narzisstisch.
Es verwendet die Mittel des Narzissmus und biedert sich dabei ständig dem
Follower an. Der Narziss der griechischen Mythologie suchte nicht die
Anerkennung der anderen, sondern war in sein Spiegelbild so verliebt, dass
andere abblitzten. Der heutige Narzissmus hingegen funktioniert nur, wenn
ihn daraufhin ganz viele andere Narzissten liken.
Man könnte das auch für einen Fortschritt halten. Der Narziss von heute
fällt nicht mehr kopfüber ins Wasser, wenn er sein vergöttertes Spiegelbild
erkennt. Er sieht sich lieber um, wer sein schönes Spiegelbild sonst noch
bewundern könnte, und zerrt sein Publikum ans Wasser. Über Facebook,
Twitter, Instagram und WhatsApp muss das perfekte Bild vom Ich geteilt
werden. Und tausend Freunde, deren Avatar meist ebenso inszeniert wirkt,
werden Jubelkomplimente machen oder Smileys mit Herzaugen posten.
Neben den Hass-Posts, die derzeit viele bekämpfen, gibt es nämlich ein
weiteres Problem mit dem Sozialverhalten im Netz: der digitale Zuckerguss,
mit dem sich viele übergießen und der weder mit dem, wer wir wirklich sind,
noch mit dem, wie diese Welt wirklich ist, etwas zu tun hat. Natürlich hat
jeder das Recht auf Realitätsflucht. Bedenkt man aber, dass selbst
Erwachsene alle paar Minuten auf ihr Smartphone sehen, dann kann man
behaupten: Das Leben wird zunehmend zu einer Unterbrechung der digitalen
Selbstinszenierung degradiert – wenn die Zwischenphasen nicht dafür genutzt
werden, sich mit ebendieser Inszenierung zu beschäftigen.
## Schüchterne Mädchen geben sich als digitale Vamps
Manche finden, die digitale Selbstkommunikation sei kreativ und
fortschrittlich, sie sehen darin auch soziale Kompetenzen, schließlich
bemühen wir uns darum, von anderen gemocht zu werden. Aber stimmt das? Will
man gemocht werden? Oder will man begafft werden? Haben wir uns so nicht
selbst zu Insassen eines digitalen Zoos gemacht? Statt Zuneigung und
Verbindung sucht man Bewunderung. Der Weltruhm des Kleinbürgers ist sein
digitales Leben. Legitim, ja. Wir dürfen und sollen alle auch etwas sein
wollen. Aber warum nicht mehr als eine digitale Illusion?
Was jedoch am meisten nervt, seit die Digitalisierung die
Narzissmus-Maschine angeworfen hat: Die Person, die mir online präsentiert
wird, hat mit der, die später vor mir steht, so gut wie nichts zu tun.
Junge, schüchterne Mädchen geben sich als digitale Vamps, sie setzen ihren
schönen, jungen Gesichtern mittels Contouring-Tricks so zu, dass diese
Gesichter am Ende an Kim Kardashian erinnern.
Sie haben dafür extra vorher YouTube-Tutorials anderer Mädchen gesehen, die
das auch wollen: sich schminken, damit sie aussehen wie Taylor Swift oder
Beyoncé oder sonst wer Glanzvolles. Die Gesetze der Medienwelt, das
erfundene Show-Ich, das Alter Ego, mit dem Stars spielen, wird zum Alter
Ego von Hinz und Kunz. Die Stars von heute machen damit Geld und manchmal
Kunst. Aber was machen Hinz und Kunz damit? Sie höhlen ihren Alltag mit der
Inszenierung von Starsein aus.
Schon Teenager senden aus ihren Kinderzimmern YouTube-Tutorials in die
Welt. Der gefallsüchtige Blick, die leeren Wortkaskaden als zwingende
Zutaten. Die Kosmetikindustrie kapitalisiert diese Aushöhlung der Kindheit
dann als authentisch. Diese digitale Welt hat allen, die sie mitschaffen,
das Gefühl gegeben, Stars zu sein. Selbst Politiker fallen darauf rein. Die
Demokratisierung des Starlebens durch die Digitalisierung ist jedoch eine
Illusion, die Silicon Valley nur noch mehr Daten bringt.
## Am Ende sind alle Teil einer ähnlichen Masse
Es gab tatsächlich eine Zeit, da war „Star“ nicht der Berufswunsch aller.
Diese kapitalistische Gesellschaft musste hart dran arbeiten, um diese
bewundernden Schreihälse, genannt Fans, heranzuzüchten. Digitale
Sichtbarkeit hat dies verstärkt: Zum einen entsteht ein Wahn, wie der um
Taylor Swift, die mehr Follower hat als Deutschland Einwohner. Und zu
anderen eine Armee von Nachahmern, die denken, das, was bei Taylor Swift
auf Instagram zu sehen ist, sei ihr Leben – und sie müssten nun auch so
eines haben. Das Tragische ist: Taylor Swift hat ein Leben und tut so, als
wäre dieses digitale auch das ihre. Die Nachahmer machen die Inszenierung
ihres Lebens zu ihrem Leben. Ganz unentgeltlich.
Die meisten Menschen haben wohl vergessen, dass es eine Zeit gab, in der
Stars locker neben einem herlaufen konnten, weil es keine Hysterie gab,
weil zum Starkult mehr gehörte, als im Vorabendprogramm des
öffentlich-rechtlichen Fernsehens eine Rolle in einer Serie zu erhalten,
die nur die eigene Großmutter nicht einschläfert. Heute muss jeder jeden
fotografieren. Bei einem Schnappschuss mit Freunden muss man damit rechnen,
dass er später in der Chronik von irgendwem landet.
Jene, die ein Privatleben wollen, sind Spielverderber. Jeder imitiert die
Maschinerie der Stars. Wenn Ronaldo ein Selfie macht, dann imitieren
Millionen Unbekannter seine Pose und sind in ihrem Selfie ein bisschen
Ronaldo. Es stört sie nicht, nur Imitation zu sein. Die digitale
Repräsentation sucht vor allem die Ähnlichkeit. Im Zeitalter des Narzissmus
und der Hyperindividualisierung sind am Ende alle Teil einer ähnlichen
Masse, aus der kaum einer herausragt. Und selbst wenn, dann nur deshalb,
weil er das, was alle tun, etwas besser tut und eben nicht, weil er sein
eigenes Ding dreht.
Man muss ja nichts wissen über die Handhabung von digitalen Bildrechten bei
Facebook, um sich zu fragen, warum Eltern auch noch ihre Kinder dauernd ins
Netz stellen. „Ins Netz“ ist dabei eine treffende Formulierung. Die
Digitalisierung ist eine Spinne, in deren Netz unser Ich geraten ist: Du
bist nicht, solange das, was du bist, nicht digital repräsentiert ist. Es
wirkt wie die absolute Zuwendung zu sich selbst. Dabei ist es die
ultimative Abwendung.
30 Dec 2016
## AUTOREN
Jagoda Marinić
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