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# taz.de -- Journalistinnen im Krisengebiet: Geschlechtslos töten
> In den Auslandsbüros deutscher Medien sind Frauen unterrepräsentiert –
> nur nicht in den Krisenregionen. Woran liegt das?
Bild: Das Verhältnis stimmt nicht: Drei JournalistInnen checken ihre Gasmasken…
Es soll Momente geben, in denen es von Vorteil ist, eine Frau zu sein. Zum
Beispiel als Korrespondentin in Krisengebieten. Frauen seien oft sicherer
und hätten leichteren Zugang zu Interviewpartner*innen, weil von ihnen
weniger ein „Gefühl der Bedrohung“ ausgehe, sagte kürzlich ARD-Reporterin
Golineh Atai.
Weltweit sind bei der ARD gerade einmal ein Viertel aller
Auslandskorrespondent*innen weiblich. Aus fast allen Krisenregionen jedoch
berichten Frauen, darunter aus Afghanistan, Syrien oder dem
Boko-Haram-Gebiet im Norden Nigerias. Die Auslandsstudios des ZDF sind zu
37 Prozent mit Frauen besetzt, unter anderem das in Moskau mit
Zuständigkeit für die Ukraine, in Paris mit Zuständigkeit für die
Maghreb-Staaten und in Peking, wo Journalist*innen oft mit erschwerten
Arbeitsbedingungen zu kämpfen haben.
Für die taz arbeiten weniger als ein Drittel Frauen im Ausland. Aus Nigeria
und Mali, Israel und Palästina, Irak und Nordsyrien, der
Zentralafrikanischen Republik Kongo und aus Thailand berichten aber jeweils
Frauen. Bei Weltreporter, einem Netzwerk freier Korrespondent*innen, sind
50 Prozent der Mitglieder Frauen, viele davon ebenfalls in Krisengebieten.
## Zugang zu Männer- und Frauenräumen
„Frausein hat mich bisher nie behindert, auch nicht in arabischen Ländern
oder Afghanistan oder dem Iran“, sagt Veronika Eschbacher, die für die
Wiener Zeitung unter anderem aus Donezk berichtet hat. Im Gegenteil, als
ausländische Frau genieße sie alle Freiheiten, habe Zugang sowohl zu
Männer- als auch zu Frauenräumen.
Ein eineinhalbstündiges Interview mit einem der bekanntesten radikalen
Prediger Afghanistans beschreibt sie als „total spannend und angenehm“. Ihr
Geschlecht habe allein bei der Begrüßung und Verabschiedung eine Rolle
gespielt, weil ihr religiöses Gegenüber sie niemals berühren würde.
Sandra Petersmann, ARD-Korrespondentin in Neu-Delhi, berichtet ebenfalls
häufig aus Afghanistan, zuletzt von der dortigen Präsidentschaftswahl im
Juni. Sie sieht Schwierigkeiten und Vorteile sowohl für männliche als auch
für weibliche Korrespondent*innen. Deshalb bevorzugt sie ein geschlechtlich
gemischtes Team. „Nur beide Bevölkerungshälften ergeben ein komplettes
afghanisches Bild.“
Auch in Fragen der Sicherheit scheinen Reporterinnen in Krisengebieten oft
Vorteile gegenüber ihren männlichen Kollegen zu haben. Das verdeutlicht ein
Vorfall, den Welt-Korrespondentin Julia Smirnova schilderte. Ihr Fahrer sei
an einem Checkpoint in Slawjansk verprügelt worden, berichtete sie dem
Verein ProQuote, der sich für eine Frauenquote in den Führungsebenen
deutscher Medien einsetzt. „Mir sagte ein Rebell: Wenn du nicht eine Frau
wärst, würde ich dir auch in die Fresse hauen.“
So läuft es aber nicht immer. Frauen seien gerade in einer „aufgeheizten
Atmosphäre“ einer erhöhten Gefahr sexueller Belästigung und sexualisierter
Gewalt ausgesetzt, sagt die SZ-Korrespondentin Cathrin Kahlweit. Dem stimmt
auch Sandra Petersmann zu, weist jedoch darauf hin, dass auch Männer Opfer
sexualisierter Gewalt werden können, wie das Beispiel afghanischer
Kriegsgefangener gezeigt habe. Im Großen und Ganzen sehe sie in Afghanistan
keinen Unterschied in Bezug auf die Sicherheit von Männern und Frauen:
„Selbstmordattentäter töten geschlechterlos.“
## „Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben“
Auch die Frage, wer sich ein Leben in ständiger Gefahr überhaupt zutraue,
scheint nicht vom Geschlecht abzuhängen. „Mich hat sehr verwundert, wie
schnell man sich an Gewalt gewöhnen kann“, erzählt Veronika Eschbacher über
ihre Erfahrungen in Donezk. „Auch hier stumpft man ab, je länger und öfter
man die Schüsse hört.“ Davon abgesehen gehe sie mit der täglichen Gefahr
nach dem Motto um: „Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.“
Bei der Auswahl der Korrespondent*innen sei das Geschlecht nicht der
maßgebliche Faktor, beteuert Joachim Knuth, Vorsitzender der
ARD-Hörfunkkommission und Programmdirektor des NDR-Hörfunks. Auf einem
Panel vergangenes Wochenende betonte er dennoch die Notwendigkeit, über
„neue Modelle und Anreizsysteme nachzudenken“, um Frauen gezielt zu
fördern. Weltweit arbeiten doppelt so viele Männer wie Frauen für den
ARD-Hörfunk.
ProQuote zufolge sind in den Auslandsbüros beim Print nicht einmal 30
Prozent der Korrespondent*innen weiblich. „Ich glaube, dass das nicht an
der Gefahr liegt“, sagt ProQuote-Vorsitzende Annette Bruhns, „sondern dass
dieselben Mechanismen wirksam sind, die Frauen eher nicht
Ressortleiterinnen werden lassen.“ Die Hürden für Frauen im Journalismus,
sie liegen nicht in Afghanistan oder der Ukraine, sondern in Deutschland.
20 Jul 2014
## AUTOREN
Lou Zucker
## TAGS
Frauenquote
Journalistin
Krisengebiet
Medien
Opferschutz
Irak
Kongo
Russland
Kriegsfotografie
Pressekonferenz
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