| # taz.de -- Kommentar Krise in der Ukraine: Dumm und kurzsichtig | |
| > Über abgeschossenen Flugzeugen wird schnell vergessen, auch auf die | |
| > Arbeit des ukrainischen Parlaments zu sehen. Die aber heizt den Krieg an. | |
| Bild: Vom Krieg merkt man im ukrainischen Parlament nicht besonders viel. | |
| So manch einer wird mit Verwunderung zur Kenntnis genommen haben, dass es | |
| in der Ukraine jenseits erbitterter Kämpfe zwischen der Armee und | |
| prorussischen Kämpfern sowie abgeschossener Flugzeuge auch noch so etwas | |
| wie Innenpolitik gibt. | |
| Nach dem Bruch der Regierungskoalition hat Ministerpräsident Arseni | |
| Jazenjuk jüngst seinen Rücktritt erklärt. Damit ist der erste Schritt zur | |
| Auflösung des Parlaments und zu Neuwahlen – voraussichtlich im Herbst – | |
| getan. | |
| Dieser Schritt ist seit Langem überfällig. Denn das Parlament, im Oktober | |
| 2012 gewählt, spiegelt schon lange nicht mehr das reale politische | |
| Kräfteverhältnis im Lande wider. | |
| Es war auch dieses Parlament, das im vergangenen Januar auf Geheiß des | |
| damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch im Schnelldurchlauf Gesetze | |
| absegnete, die demokratische Freiheitsrechte massiv eingeschränkt hätten. | |
| ## Rücktritt zur Unzeit | |
| Dennoch kommt der Rücktritt der Regierung zur Unzeit. Zu Recht wies | |
| Jazenjuk in seiner Rücktrittserklärung darauf hin, dass die Rada mehrere | |
| Wirtschaftsgesetze nicht verabschiedet habe – darunter auch eine dringend | |
| notwendige Aufstockung des Budgets, um die Armee zu finanzieren. | |
| Die steht ab dem 1. August komplett mittellos da. Diese Situation ist umso | |
| absurder, als die Soldaten schon jetzt auf Geld- und Sachspenden aus der | |
| Bevölkerung angewiesen sind und die Regierung gerade dabei ist, bis zu | |
| 90.000 weitere Reservisten für die Streitkräfte zu rekrutieren. | |
| Und so dürfte die Ukraine – zumindest in den nächsten Monaten – noch tief… | |
| im Chaos versinken. Und die Art und Weise, wie die Regierungsmehrheit mit | |
| ihren politischen Gegnern verfährt, wird daran nichts zum Guten ändern. | |
| So wurde Anfang dieser Woche der Abgeordnete der Partei der Regionen des | |
| früheren Staatschefs Janukowitsch, Nikolai Lewschenko, von mehreren | |
| Parlamentssitzungen ausgeschlossen. Er hatte es gewagt, die sogenannte | |
| Antiterroraktion der ukrainischen Armee im Donbass zu kritisieren. | |
| ## Noch ganz bei Trost? | |
| Mit den Kommunisten machte man ebenfalls kurzen Prozess. Deren Chef, Petro | |
| Simonenko, wurde im Parlament tätlich angegriffen, und seine Fraktion wurde | |
| aufgelöst. Jetzt prüft ein Gericht, ob die „Fünfte Kolonne Moskaus“, die | |
| angeblich gemeinsame Sache mit den prorussischen Kämpfern gemacht hat, ganz | |
| verboten werden kann. Übrigens eine perfekte Steilvorlage für die russische | |
| Propaganda, die den Ostukrainern ohnehin schon das Hirn vernebelt. | |
| Ist diese Regierung noch bei Trost?, muss man sich fragen. Denn ein Verbot | |
| der Kommunisten – sollte es wirklich kommen – mutet wie ein billiger | |
| Rachefeldzug an und dürfte viele Menschen in den östlichen Landesteilen | |
| erst recht gegen „die da in Kiew“ aufbringen. | |
| Das war so auch schon bei dem Vorhaben, dem Russischen den besonderen | |
| Status einer Regionalsprache abzuerkennen. Wenngleich das Gesetz dann doch | |
| nicht verabschiedet wurde, war der bei den russischsprachigen Ukrainern | |
| angerichtete Flurschaden immens und wirkt bis heute nach. | |
| ## Die Verheerungen des Krieges | |
| Offensichtlich haben die Machthaber in Kiew daraus jedoch nichts gelernt, | |
| oder sie begreifen es einfach nicht. Dabei geht es um nichts Geringeres als | |
| die Frage, ob nach den Verheerungen, die dieser Krieg mit zahlreichen | |
| Toten, Verletzten und Vertriebenen schon jetzt angerichtet hat, ein | |
| Zusammenleben der Ukrainer künftig überhaupt noch möglich sein wird. | |
| Nein, eine Regierung, die in einer Ausnahmesituation wie dieser nichts | |
| Besseres zu tun hat, als Konflikte anzuheizen, anstatt einer weiteren | |
| Polarisierung entgegenzuwirken, tut vor allem eins: Sie handelt dumm, | |
| kurzsichtig und verantwortungslos. | |
| Bliebe noch die Europäische Union, mit der die Kiewer Regierung ein | |
| Assoziierungsabkommen unterzeichnet hat, um mahnend ihre Stimme zu erheben. | |
| Doch das ist, wie das erbärmliche Gefeilsche um Sanktionen gegen Russland | |
| zeigt, nichts anderes als Wunschdenken. | |
| 25 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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