# taz.de -- Frieden in der Ostukraine: Privatbataillone zur Verteidigung | |
> In der Nachbarstadt von Donezk leben die Leute in Frieden, Wohlstand und | |
> Vielfalt. Dafür sorgt ein Milliardär, der keine Einmischung duldet. | |
Bild: Hält die Separatisten fern: Milliardär Igor Kolomojskij. | |
DNJEPROPETROWSK taz | Die Erregung über den Abschuss der Boeing 777 über | |
der Ostukraine vor sechs Tagen ist in Dnjepropetrowsk bereits etwas | |
verpufft. „Das waren doch die Russen“, sagt ein Mann und meint: „Jetzt | |
müssen wir Donezk befreien.“ | |
Anders als in der umkämpften Donbassmetropole, die 240 Kilometer entfernt | |
liegt, geht hier das Leben seinen gewohnten Gang. Mitten auf der Strecke | |
hält die Straßenbahnfahrerin plötzlich an. Geduldig streift sie sich eine | |
orangefarbene Jacke über und geht mit einer Eisenstange in der Hand auf die | |
Weiche an der Straßenkreuzung zu. Manuell stellt sie diese um, dann steigt | |
sie wieder ein. „Unsere Stadt hat die besten Raketenspezialisten der Welt“, | |
beklagt sich ein Passagier. „Aber immer noch haben wir viele Weichen, die | |
nur im Handbetrieb umgestellt werden können.“ | |
Die Uhren in der Millionenstadt Dnjepropetrowsk ticken anders. Auch hier | |
wird fast nur Russisch gesprochen. Das Leben pulsiert. Dass viele Bürger | |
der Stadt mehr als nur bescheidenen Wohlstand haben, davon zeugen die | |
vielen Juweliergeschäfte und teuren Modeboutiquen. Politisch trennen die | |
Stadt, aus der die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko und der | |
frühere Präsident Leonid Kutschma stammen, und die Nachbarstadt Donezk | |
Welten. Man ist hier noch patriotischer als in der Hauptstadt Kiew. | |
Unzählige ukrainische Fahnen schmücken Autos und Wohnungen. | |
Dass das so ist, liegt vor allem an einem Bürger der Stadt, Igor | |
Kolomojskij. Der Oligarch, Besitzer der größten ukrainischen Bank, der | |
„Privat“-Bank, ist nicht nur Gouverneur des Gebietes Dnjepropetrowsk. Das | |
Bataillon „Dnjepr“, das in der Vergangenheit immer wieder durch sein | |
rücksichtsloses Vorgehen im Gebiet Donezk von sich reden machte, wird von | |
ihm finanziert. Als Besitzer des einflussreichen Fernsehkanals 1+1 übt der | |
Milliardär auch politischen Einfluss aus. Beobachter sehen in ihm zunehmend | |
einen Gegenspieler von Präsident Poroschenko. An fast jeder Straßenecke | |
gibt es einen Geldautomaten der „Privat“-Bank. Im städtischen Park | |
vergnügen sich Kinder auf einer teuren aufblasbaren Rutsche. | |
## Zu tun gibt es genug | |
Überall in der Stadt finden sich Zentren für die Aufnahme von Flüchtlingen | |
aus dem Donbass und von der Krim. Drinnen warten Mütter mit ihren Babys auf | |
dem Arm geduldig, bis sie an die Reihe kommen. Sie warten auf humanitäre | |
Hilfe und eine Unterkunft. Freiwillige nehmen ihre Passdaten auf, weisen | |
ihnen eine Wohnung zu, geben ihnen materielle Hilfe. | |
Aber auch eine andere Schlange in den Büros für die Aufnahme von | |
Flüchtlingen aus dem Donbass ist groß. Es sind die vielen Bürger der Stadt, | |
die sich als Freiwillige registrieren lassen wollen, die etwas tun wollen | |
für die Flüchtlinge. Und zu tun gibt es genug. Kleidung wird gesucht, | |
Babynahrung und Geld. | |
Mitten auf dem Karl-Marx-Prospekt liegt das Hotel Astoria. Hier hatte der | |
ukrainische Anarchistenführer Nestor Machno während des Bürgerkrieges sein | |
Hauptquartier. „Machno hat ein paar sehr kluge Befehle erlassen“, meint der | |
Taxifahrer, als er an dem Gebäude vorbeifährt. „Plünderer und Räuber wurd… | |
auf der Stelle erschossen. Und da war es ruhig in der Stadt. Heute regiert | |
Kolomojskij die Stadt. Und seinem entschiedenen Eingreifen ist es zu | |
verdanken, dass es uns in der Stadt so gut geht.“ | |
Solange Kolomojskij die Stadt regiere, da ist man sich in Dnjepropetrowsk | |
einig, brauche man ein Herannahen der Front nicht zu fürchten. „Sechs | |
Bataillone hat er um die Stadt aufgestellt. Da werden die Separatisten nie | |
durchkommen“, fährt er fort. | |
## Ruhe und Ordnung dank Mafia | |
„Willkommen in der Hauptstadt der Mafia“, begrüßt eine Kellnerin den Gast | |
aus Deutschland. In Dnjepropetrowsk sei die Welt noch in Ordnung, hier | |
könne man in Ruhe leben und arbeiten. Und das liege vor allem an der Mafia. | |
Es gebe drei große Clans, die die Geschicke der Stadt bestimmen. „Doch die | |
Mafia lässt mich in Ruhe, solange ich nur kellnere und mich nicht in deren | |
Geschäfte einmische“, meint sie. Überhaupt sei das Leben in Dnjepropetrowsk | |
besser als in Kiew oder gar in Donezk. Die Bewohner seien in ihrer | |
überwiegenden Mehrheit Einheimische. | |
Man habe schon längst einen Modus Vivendi gefunden, um friedlich | |
zusammenzuleben. „Wir sind nicht so chaotisch wie die Bevölkerung von Kiew, | |
die sich zum großen Teil aus Zugereisten zusammensetzt, oder die | |
hochnäsigen Bergarbeiter von Donezk. Und wir sind tolerant. Bei uns leben | |
orthodoxe Christen, Muslime und Juden friedlich zusammen.“ Ein erster | |
Eindruck der Stadt zeugt von der kulturellen Vielfalt. Und vom friedlichen | |
Miteinander. | |
Die Nachricht von der Teilmobilisierung regt die Menschen indes nicht auf. | |
„Die ist doch erst mal nur beschlossen. Bis man sie umsetzt, wird es noch | |
Monate brauchen“, versucht man sich zu beruhigen. | |
24 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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