# taz.de -- Schlagloch Israel und Ägypten: Sisis Schulhofpolitik | |
> Präsident Sisi macht Ägypten zum Handlanger Israels, für dessen Massaker | |
> in Gaza es keinerlei Rechtfertigung gibt. Letztlich profitiert der | |
> Westen. | |
Bild: Geschlossen: Grenzübergang Rafah zwischen Gaza und Ägypten | |
Erlauben Sie mir vorweg ein Statement: Es gibt keine Entschuldigung für | |
Israels barbarisches Verhalten in Gaza in den letzten Tagen. Keine. Keine | |
historische, keine gegenwärtige, keine philosophische. | |
Die Menschen in Gaza sind gefangen in einem Gebiet von 360 | |
Quadratkilometern, blockiert von Israel auf der einen und von Ägypten auf | |
der anderen Seite. Sie werden von einer der stärksten Armeen der Welt | |
bombardiert, aus der Luft und vom Boden. | |
Mehr als 400 Palästinenser wurden bereits getötet, ein Viertel der Opfer | |
sind Kinder. Die Regierungschefs dieser Welt warten mit den üblichen feigen | |
Phrasen auf. Trotzdem war ich von Angela Merkels einseitiger Unterstützung | |
des israelischen Massakers enttäuscht. | |
Doch mein Thema ist ein anderes, micht beschäftigt noch der ägyptische | |
Staatsstreich vom letzten Sommer, den ich als „von der Mehrheit gewollt“ | |
bezeichnet habe. Diese Einschätzung hat mir viel Ärger eingebracht, denn | |
für viele meiner Freunde war das ein klassischer Staatsstreich. Aber ich | |
bleibe dabei: Große Teile der Ägypter wollten das Militär zurück, für | |
andere Sichtweisen fehlt jedes Indiz. | |
## Blick nach Syrien und Libyen | |
Angesichts der massenhaften Verhaftungen der Aktivisten, Islamisten und | |
Journalisten und der Verhängung der Todesstrafe für etliche Muslimbrüder | |
protestierten und beteten viele von uns, dass dieser Wahnsinn bald aufhöre | |
und die Gefangenen freigelassen würden, sobald sich die Hysterie wieder | |
gelegt habe. | |
Mit Blick nach Syrien und Libyen spekulierten wir auch darüber, welches | |
Schicksal wohl Ägypten ereilt hätte, wäre der ehemalige Präsident Mursi im | |
Amt geblieben und hätte sich mit den religiösen Rebellen verbündet. Seit | |
Neuestem fragen wir uns auch, was der Aufstieg der Dschihadisten wie jenen | |
des Isis dann für uns bedeutet hätte. | |
Aber um brutal ehrlich zu sein: Meine persönliche rote Linie hat das Regime | |
von General Sisi erst jetzt überschritten. Sisis Versuch, zwischen der | |
Hamas und Israels Regierung zu vermitteln, hat Ägypten zu einem | |
Vasallenstaat Israels gemacht. Das ist immer und in jeder Hinsicht | |
inakzeptabel; angesichts von Hunderten getöteten Zivilisten ist es grotesk. | |
Israel behauptet, sich „selbst zu verteidigen“ gegen die lächerlichen | |
„Raketen“ der Hamas, die man besser als Feuerwerk bezeichnete, ineffektiv, | |
wie sie sind. Die Brutalität der israelischen Reaktion aber lässt vermuten, | |
dass Netanjahu die Gelegenheit nutzt, um das „große Israel“ von | |
Palästinensern zu säubern. | |
Dabei stand es so gut für Israel wie vielleicht noch nie in seiner | |
Geschichte. Alle klassischen Feinde Israels – Iran, Hisbollah und das | |
Assad-Regime – sind mit Kriegen gegen Araber beschäftigt. Gleichzeitig hat | |
sich wohl vor allem wegen der Muslimbrüder in Ägypten eine eingefleischte | |
kritische Haltung gegenüber Islamisten unter Muslimen breitgemacht. Das ist | |
eine gute Wendung für Israel. Aber seine Regierung glaubt weiter, nur die | |
lückenlose Unterdrückung von Arabern sei in ihrem Interesse. Dabei war der | |
Druck von außen seit Beginn der Arabellion so gering wie noch nie zuvor. | |
## Die Operation ist entsetzlich | |
Und nun diese entsetzliche Operation in Gaza. Der perfekte Schritt, um | |
wieder alle Araber gegen Israel aufzubringen und für den eigentlichen | |
Destabilisator der Region zu halten. | |
Nun verbinden manche den Aufstieg von Sisi mit dem Angriff der Israelis auf | |
Gaza. Ich denke, das Gegenteil ist der Fall: Israels zunehmend blutige | |
„Okkupation“ (ein Euphemismus, „ethnische Säuberung“ wäre der passend… | |
Begriff) entspricht zutiefst der Mentalität der auf Sicherheit fixierten | |
Militärstaaten im Nahen Osten. Diese Sicherheit ist das Herzstück der | |
westlichen Außenpolitik und legitimiert die arabischen Diktatoren, an ihrer | |
Macht festzuhalten – häufig mit der Unterstützung einer angesichts des | |
Post-Arabellion-Chaos besorgten Bevölkerung. Kurzum: Israels Aggression | |
geht den arabischen Diktaturen voraus. Nicht umgekehrt. Israels | |
Okkupationspolitik hat uns Sisi beschert. | |
Seine Staatsmedien füttert Sisi mit einer nicht enden wollenden Propaganda: | |
Die Hamas habe ägyptische Soldaten getötet, weswegen sie der Feind sei und | |
Ägypten deshalb den Grenzübergang bei Rafah geschlossen halten müsse. | |
Hunderte verletzte Kinder müssen demnach draußen bleiben. Ätsch, Hamas. Wir | |
kennen diese Engstirnigkeit aus dem Gericht von Minya, wo Hunderte | |
Muslimbrüder unter dem Applaus der Medien zum Tode verurteilt wurden (von | |
insgesamt über 1.000 Urteilen wurden die meisten später aufgehoben, knapp | |
über 200 jedoch bestätigt; d.Red.). Ägypten verdient diese Schulhofpolitik | |
nicht, aber offenbar kann es das Sisi-Regime nicht besser. | |
Ich mache mir über die Hamas keine Illusionen. Genauso wenig wie über die | |
Muslimbrüder, den Verbündeten der Hamas. Die Hamas schlägt auf ihre Weise | |
Profit aus den toten Palästinensern. Aber klar ist auch: Ohne Raketen würde | |
sich niemand mehr um Gaza scheren. | |
## Keine militärische Lösung | |
Trotzdem ist der Hamas das eigene Überleben wichtiger als das aller | |
Palästinenser. Umfragen zeigen, wie unzufrieden viele in Gaza mit der Hamas | |
sind. Es gibt keine militärische Lösung für die Palästinenser. | |
Den Ägyptern, die versuchen ihr Gewissen zu beruhigen, indem sie die Grenze | |
bei Rafah nicht öffnen, um die Hamas zu treffen, sei daher gesagt: | |
1. Rafah aus humanitären Gründen zu öffnen, ist richtig. Denn Ägypten kann | |
zwischen einem verwundeten Kind und einem Terroristen unterscheiden. | |
2. Ägypten in die Position des Handlangers von Israel zu bringen, ist nicht | |
nur moralisch, sondern auch strategisch ein Fehler. Man möge sich bitte | |
daran erinnern: Die jährlich wachsende Arroganz Israels hat der arabischen | |
Welt die vom Westen unterstützten Diktaturen gebracht, weswegen die einzige | |
Alternative islamistische Gruppen zu sein scheinen, die ihrerseits dem | |
Westen dienen werden, sobald man sie lässt. | |
Was bleibt? Inmitten dieser Katastrophe bleibt uns nur, uns von den | |
grausamen Fakten nicht unsere Humanität nehmen zu lassen. Sonst nämlich | |
haben sie tatsächlich gewonnen. Wenn Schweden allen Syrern, die in ihr Land | |
kommen, Asyl gewähren kann, dann kann Ägypten auch die Grenze für | |
terrorisierte Palästinenser öffnen. | |
25 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Sarah Eltantawi | |
## TAGS | |
Muslimbrüder | |
Ägypten | |
Israel | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Hamas | |
Abdel Fattah al-Sisi | |
Gazakrieg 2014 | |
Gaza | |
Gaza-Krieg | |
Zehn Jahre Arabischer Frühling | |
Ägypten | |
Krieg | |
Israel | |
Gaza | |
Israel | |
Hamas | |
Gaza | |
Israel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte Ägypten nach der Revolution: Der Tod des Frühlings | |
Vor fünf Jahren stürzten die Demonstranten des Kairoer Tahrirplatzes das | |
Regime von Husni Mubarak. Die erhoffte Demokratie brachte das nicht. | |
Ägyptens Präsident Al-Sisi besucht Berlin: Wo Tote zum Tode verurteilt werden | |
Fragwürdige Verfahren, Folter, erpresste Geständnisse, Massenhinrichtungen: | |
Die ägyptische Justiz ist in einem desolaten Zustand. | |
Kolumne Roter Faden: Friedensbewegung dringend gesucht | |
Es herrscht Krieg und das Industrienationenpublikum schaut mit Gruseln zu | |
und wieder weg. Frieden ist anstrengend - er ist out. | |
Krieg in Gaza: Israel bombardiert UN-Schule | |
Mindestens 15 Menschen sterben bei einem Angriff auf die Einrichtung in | |
Gaza. Premier Netanjahu zeigt sich nicht bereit, die Kampfhandlungen | |
einzustellen. | |
Gaza-Konflikt: Israels Kriegsgegner | |
Nicht nur Israels arabische Bürger protestieren gegen die Militäroperation | |
im Gazastreifen. Immer mehr jüdische Israelis fordern ein Ende des Krieges. | |
Resolutionsentwurf für Frieden in Nahost: Gazakrieg nach New York? | |
In einem Resolutionsentwurf für den Sicherheitsrat fordert Jordanien einen | |
Waffenstillstand – und ist besorgt über die hohe Opferzahl, besonders unter | |
Kindern. | |
Die Türkei und die Hamas: Der letzte Freund der Islamisten | |
Für die radikalislamische Hamas gibt es seit dem Putsch in Ägypten wenig | |
Unterstützung, außer aus der Türkei. Waffen kann die aber nicht liefern. | |
Kommentar Nahost-Konflikt: Menschen in Not die Tür versperren | |
Die Bevölkerung von Gaza ist zwischen Hammer und Amboss gefangen. Ägypten | |
könnte nun helfen, indem es die Grenze für Flüchtlinge öffnet. | |
Friedensbemühungen in Nahost: Kerry versucht's | |
Israel und Hamas bleiben hart, ein Waffenstillstand ist nicht in Sicht. | |
US-Außenminister Kerry reist nach Kairo und versucht zu vermitteln. |