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# taz.de -- Debatte Ägypten nach der Revolution: Der Tod des Frühlings
> Vor fünf Jahren stürzten die Demonstranten des Kairoer Tahrirplatzes das
> Regime von Husni Mubarak. Die erhoffte Demokratie brachte das nicht.
Bild: Enttäuschte Hoffnungen: Demonstranten auf dem Tahrirplatz in Kairo am 30…
Als „Tag des Zorns“ hatten die Demonstranten den fünften Tag ihres Protests
deklariert, weil dieser 29. Januar 2011 ein Freitag war und man sich da
größeren Zulauf versprach. Es kam wie erwartet: Die ägyptische Hauptstadt
erlebte die größte Demonstration seit Jahrzehnten. Nicht nur auf dem
Tahrirplatz – dem „Platz der Freiheit“ –, sondern auch in anderen Teilen
Kairos und in anderen Städten versammelten sich die Menschen im Protest
gegen das Regime von Präsident Husni Mubarak, der Ägypten seit fast 30
Jahren mit harter Hand regiert hatte. Dreizehn Tage später, am 11. Februar,
hatten die Demonstranten ihr Ziel erreicht: Mubarak trat zurück.
Nach Tunesien schien der „Arabische Frühling“ nun auch im politisch
wichtigsten Land der arabischen Welt die Machtverhältnisse verändert und
die Tür geöffnet zu haben zum Weg in eine freiheitliche Demokratie, von der
viele Ägypter seit jenen Tagen im Jahr 1952 geträumt hatten, als die
„Freien Offiziere“ König Faruk stürzten und in Ägypten die Republik
ausriefen.
Es sollte ein Traum bleiben: Die Offiziere befanden, dass es für die
Partizipation des Volkes noch zu früh sei. Das Militär behielt die Macht in
Händen. Und es konnte sich immer mehr zahlreicher Privilegien erfreuen. Bis
der 1928 geborene Husni Mubarak – Nachfolger des 1981 ermordeten
Präsidenten Anwar as-Sadat – auf die Idee kam, seinen Sohn Gamal langsam
als Nachfolger aufzubauen und dazu sogar die Verfassung ändern ließ.
Der Sohn Gamal wollte die Wirtschaft des Landes modernisieren und scharte
zu diesem Zweck Geschäftsleute und Unternehmer um sich, von denen viele
sehr schnell sehr reich wurden. Das Militär misstraute Gamal, weil dieser
nicht gedient hatte, auch weil die bisherigen Privilegien gefährdet sein
könnten.
Vor diesem Hintergrund wurde Ägypten Teil des „Arabischen Frühlings“.
Obwohl die Demonstranten vom Tahrirplatz überwiegend andere Sorgen hatten:
Die einen wurden von wachsender Armut getrieben und von Verärgerung über
die grassierende Korruption, andere von der Hoffnung auf eine freie
Gesellschaft wie in Westeuropa, wieder andere vom Zorn auf das repressive
System Mubaraks. Sie alle machten sich etwas vor, wenn sie dachten, das
zunächst tatenlos beiseite stehende Militär befände sich auf ihrer Seite.
Denn letztlich war es das Militär, das zunichte machte, was Anfang 2011
erreicht wurde. Heute ist Ägypten fest in der Hand des Militärs. Mehr als
je zuvor: Presse- und Meinungsfreiheit sind abgeschafft, Tausende
vermeintlicher Regimegegner füllen die Gefängnisse und Präsident Abdel
Fattah al-Sisi wirkt wie eine Neuauflage seines Vorgängers. Nur radikaler
und unnachgiebiger.
Beim Rücktritt Mubaraks hatte der „Oberste Militärrat“ sich als neuer
Machthaber präsentiert. 18 hohe Offiziere übernahmen die Rolle des
gestürzten Staatspräsidenten und erklärten, sie wollten das Land auf den
Weg zu einer neuen und demokratischen Ordnung bringen: Mit einer
Verfassungsreform, mit Parlamentswahlen und schließlich der Wahl eines
neuen Staatsoberhaupts.
## Unterschätzte Muslimbrüder
Was die Militärs nicht bedacht hatten: Auf diesem Weg würde man nicht nur
mit kleinen liberalen und vielleicht auch nationalistischen Gruppen zu tun
haben, sondern immer mehr auch mit religiös-fanatischen Gruppen. Besonders
mit den Muslimbrüdern.
In den zwanziger Jahren in Ägypten entstanden, hatte diese Bewegung eine
wechselhafte Entwicklung durchgemacht und befand sich besonders seit 1952
die meiste Zeit im Untergrund oder war durch andere Restriktionen von einer
Teilnahme an der Politik des Landes ausgeschlossen. Obwohl gut organisiert,
hatten die Muslimbrüder sich an den Demonstrationen im Frühjahr 2011 nicht
beteiligt, als dann aber der Militärrat Wahlen ausschrieb, traten sie auch
als politische Kraft auf. Mit Erfolg, denn sie hatten sich längst einen
Namen gemacht als hilfsbereit gegenüber den sozial Schwächeren, vor allem
aber: als fern jeder Korruption.
Dies dürfte den Wahlsieg Mohammed Mursis bei den Präsidentschaftswahlen
2012 erklären. Die Genugtuung, freie Wahlen abgehalten zu haben, währte
aber nicht lange. Denn Mursi machte sich daran, die Grundlagen – vor allem
der Verfassung – so zu verändern, dass der Unmut unter der Bevölkerung
wuchs: Die wirtschaftliche Lage des Landes blieb desolat, dafür aber
bewegte es sich in Richtung auf einen religiös orientierten und
reglementierten Staat.
Es kam zu gewaltsamen Massenprotesten gegen Mursi, und obwohl immer wieder
spekuliert wird, dass letztlich das Militär diese Proteste initiiert habe,
scheint hierbei doch wirklich eine breite Ablehnung des Kurses des
Präsidenten manifestiert worden zu sein. Das Militär sah seine Stunde
gekommen und ging gegen demonstrierende Anhänger Mursis vor, schließlich
verkündete es – fast genau ein Jahr nach Mursis Wahl –, dass der Präsident
abgesetzt sei und man wieder die Macht übernehme. Wenig später wurde der
Chef des Militärrats, Abdel Fattah al-Sisi, neuer Präsident und begann mit
rigoroser Verfolgung nicht nur der Muslimbrüder, sondern jeden Ansatzes von
Forderungen nach mehr Liberalität und Rechtsstaatlichkeit.
## Rückkehr der Repression
Schwer lastet auf dem Militärregime auch, dass unter seiner Herrschaft
Hunderte, wenn nicht Tausende von Anhängern Mursis bei Zusammenstößen
umkamen. Sisis Vorgänger schließlich kamen vor Gericht: Mubarak wurde
zunächst zu lebenslänglicher Haft, Mursi hingegen zum Tode verurteilt –
gegen das Urteil ist Berufung eingelegt.
Besonders das Ausland tat sich schwer mit den Entwicklungen in Ägypten. Man
war nicht begeistert vom Wahlsieg der Muslimbrüder, aber auch nicht von der
Machtübernahme des Militärs. War es ein Staatsstreich? Kann, ja darf man
solch ein Regime unterstützen? Bei aller Kritik scheint derzeit die Meinung
zu überwiegen, dass unter den gegebenen Umständen dies wohl das kleinere
Übel sei, und dass Ägypten jetzt erst einmal Ruhe brauche und
wirtschaftlichen Aufschwung. Trotz des rigiden Militärregimes und trotz des
sich inzwischen auch in Ägypten intensivierenden Konflikts mit Terroristen
des „Islamischen Staats“.
30 Jan 2016
## AUTOREN
Peter Philipp
## TAGS
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