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# taz.de -- Syrischer Bürgerkrieg: Die Frauen der Revolution
> Syrien kämpft – um Demokratie: ein Besuch bei Aktivistinnen, die sich um
> eine gewaltfreie Konfliktlösung bemühen – und der Einschüchterung
> trotzen.
Bild: Eine Frau steht neben den Trümmern von zerstörten Häusern in der syris…
BEIRUT taz | Nehmen an der syrischen Revolution eigentlich auch Frauen
teil? Studiert man die Berichterstattung der letzten drei Jahre ist die
Frage schnell beantwortet: Nein. Von Frauen im Kampf gegen die syrische
Diktatur findet sich so gut wie keine Spur. Oula Ramadan ist Mitglied der
„Syrian Women Inititiative for Peace and Democracy“ und erklärt die
Leerstelle so: „Weil die Medien auf die Front und die Islamisten fixiert
sind und die politische Dimension unseres Kampfes um Würde und
Menschenrechte nicht ernst nehmen, übersehen sie die vielen aktiven
Syrerinnen.“
Warum fällt es so schwer, den Blick auf diejenigen zu richten, die inmitten
der Katastrophe etwas aufbauen? Der Hausverstand verlangt doch gerade für
sie Respekt. Doch die friedlichen Akteure in den Fokus zu rücken und damit
auch die vielen Aktivistinnen, bedeutet, etwas zu unterbrechen, das für
Unbeteiligte im Ausland sehr kommod ist: Das Sprechen über die große, weite
Geopolitik.
Doch nur die Distanznahme davon erlaubt denen die Aufmerksamkeit zu
schenken, die die Brücken bauen werden von den Menschen und der Situation
vor Ort zu den Mächtigen, die in Genf und anderswo ihr eigenes Süppchen
kochen. So weit so einfach. Der gängige Einwand jedoch lautet: Wie kannst
du den Einfluss der Zivilgesellschaft so überschätzen? Es herrscht Krieg!
Sicher, es herrscht Krieg. Säkulare und religiöse Extremisten setzen alles
daran, damit die um sich greifenden Demokratiebewegungen sich nicht
verwurzeln können. Und sowohl im Falle Syriens als auch jüngst bei der
Ukraine schrauben sich die Staatenlenker in ein Blockdenken hinein, das mit
der Situation und den Lösungsmöglichkeiten vor Ort kaum mehr etwas zu tun
hat.
Wer aber keinen kontinuierlichen Kontakt zu den Demokratiebewegungen sucht,
der schätzt auch die demokratiefeindlichen Reaktionen falsch ein und
überlässt am Ende den Extremisten das Feld. Syrien ist dafür das grausamste
Beispiel. 150.000 Tote und 9 Millionen Menschen, die fliehen müssen: Wenn
das kein Anlass für ein Umdenken ist, was dann?
## Seminare unter schwersten Bedingungen
Oula Ramadan war nach der Niederschlagung des ersten demokratischen
Aufbruchs 2001 durch den Vater von Baschar al-Assad nur noch im Untergrund
tätig. Seit Sommer 2012 lebt die heute 30-Jährige im Exil und findet, dass
sie dringend ihren Master schreiben müsste. Doch immer bleibt für den
Schreibtisch zu wenig Zeit übrig, und seit knapp einem Jahr geht nun
„Bada’il – Alternativen“ vor.
Das Projekt wird von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt und führt in
den Gebieten in Syrien, die nicht unter Regierungskontrolle stehen,
Seminare zur gewaltfreien Konfliktlösung durch. Es geht um die Suche nach
Alternativen: „Alternativen zur Gewalt, Extremismus und zu Assad“ – Oula
Ramadan ist es gewöhnt, Sachverhalte zu pointieren. Rund 600 Leute haben an
den Workshops teilgenommen, 30 Prozent davon waren Frauen. Auch von den 12
Trainern, zumeist Ärzte, Anwälte und Lehrer mit hohem örtlichen Ansehen,
sind drei Frauen.
Die Seminare finden unter schwierigsten Bedingungen statt, aber sie finden
statt. Denn die Nachfrage ist enorm. Friederike Stolleis, verantwortlich
für die Syrien-Aktivitäten der Friedrich-Ebert-Stiftung, hat sich
entschieden. Sie, und keineswegs nur sie, fördert Projekte, die Demokratie
von unten aufbauen. Dazu gehören Trainings, die darüber informieren, wie
man bei internationalen Stiftungen Anträge einreicht, Zeitpläne aufstellt
und Zielvorgaben formuliert, kurzum die Antragsprosa lernt.
Solche wenig glamourösen Handreichungen sind die Voraussetzung dafür, dass
auch Gruppen an Gelder kommen, die Möglichkeiten zur Versöhnung ausloten,
trotz allem. Sie werden massiv von Assad-Anhängern und von Islamisten
bedroht. Letztere nämlich kennen keine Geldnot und gewinnen darüber
zusehends an Einfluss.
Doch mit dem Mut zum thematischen Pragmatismus allein ist es nicht getan.
Wer die DemokratInnen in Kriegsgebieten unterstützen will, muss bereit
sein, auch bei den Abrechnungen unorthodoxe Wege zu gehen. So gut wie keine
syrische AktivistIn kann im Moment Originalbelege für ausgegebene Gelder
beibringen. Wer mit einer Quittung über 100 medizinische Nadeln erwischt
wird, läuft Gefahr, sofort verhaftet zu werden. Denn humanitäre Hilfe stuft
das Assad-Regime als terroristischen Akt ein. Was wohl auf den Transport
von Materialien zur gewaltfreien Konfliktlösung steht?
Desgleichen können sich nur NGOs registrieren lassen, die auf Seiten Assads
stehen. Halten die Internationalen daran fest, allein mit den offiziell
gelisteten Gruppen zusammenzuarbeiten, unterstützen sie von einigen wenigen
im Ausland registrierten NGOs abgesehen, allein das Regime.
Ramadan hat unzählige Fotos von den Workshops auf ihrem Laptop gespeichert.
Sie zeigen ganz „normale“ Szenen: Männer und Frauen, die zwischen 25 und 45
alt sind, sitzen im Kreis und diskutieren. Es gibt Flipcharts, auf denen
viele bunte Zettel kleben, und es stehen Teekannen und Wasserflaschen
herum. Dass viele TeilnehmerInnen hungern und oft wegen der Bomben von
einem Ort zum nächsten umziehen mussten, davon erzählen die Fotos nichts.
Auch nicht, wer alles fehlt, weil er und sie getötet wurden oder fliehen
mussten. Doch so furchtbar das ist, es ist nicht das Schwierigste. Die
größte Herausforderung besteht in der Vertrauensbildung unter den Leuten,
die da sind. In den Seminaren sollen ja Mitglieder unterschiedlichster
politischer Gruppen zusammenkommen und lokale Probleme diskutieren.
## „Besucht eure Kranken mit Blumen, nicht mit Waffen“
Ein Workshop im Umland von Idlib im Nordwesten Syriens etwa führte zu einer
gemeinsamen örtlichen Plakataktion: „Besucht eure Kranken mit Blumen, nicht
mit Waffen“. Die Kämpfer sollen ihre Waffen an den Eingängen zu Hospitälern
abgeben. Die Zivilgesellschaft verteidigt sich gegen den Machtmissbrauch
der Waffenträger, auch auf Seiten der Rebellen. Aktivistinnen spielen hier
eine wichtige Rolle. Denn der Kampf gegen das Regime und gegen die
Islamisten ist ja in erster Linie einer für etwas: für Emanzipation, für
politische Teilhabe, für Freiheit – auch für Frauen.
Für Ramadan ist völlig klar: Wir brauchen nicht erst eine demokratische
Alternative zum Assad-Clan und dann reden wir über Frauenrechte: Beides
muss gleichzeitig angegangen werden. Sexuelle Gewalt ist natürlich auch ein
Problem. Wie überall auf der Welt nimmt sie in Kriegszeiten massiv zu. Doch
das Reden darüber ist hochgradig tabuisiert. Das Thema lässt sich nur in
reinen Frauengruppen ansprechen, es hat aber keine Priorität. Das ist einer
der Kompromisse, die wir eingehen müssen, sagt Ramadan.
Die berühmteste Menschenrechtlerin Syriens hat Kompromisse eher abgelehnt:
Vor der Revolution verteidigte die Rechtsanwältin Razan Zeitouneh
politische Gefangene unabhängig von ihrer Einstellung gegen das
Assad-Regime. Das machte sie berühmt und sicherte ihr den Respekt in den
verschiedenen Anti-Assad-Lagern. Bis letzten Dezember dokumentierte sie auf
ihrer Webseite Violence Documentation Center so präzise wie niemand sonst
Menschenrechtsverletzungen sowohl durch das Regime als auch auf Seiten der
Rebellen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde sie von Islamisten entführt und ist
seitdem gemeinsam mit ihrem Mann und zwei weiteren KollegInnen
verschwunden. Es gibt Anzeichen dafür, dass sie noch lebt. Doch es fehlt an
Engagement von oben, um sie freizubekommen – sagen die Aktivisten aus ihrem
Umfeld. Ihre Familie hat sich jüngst [1][mit einem offenen Brief erneut an
die Öffentlichkeit gewandt] und um Hilfe gebeten.
In der syrischen Revolution riskieren viele Frauen ihr Leben für ein
demokratisches Syrien. Auch sie zu sehen, ist eine Herausforderung, die
verlangt, sich von Stereotypen zu befreien. Entsorgt gehört die Idee, dass
„die“ Araber noch nicht reif wären für die Demokratie, sprich, dass
Diktaturen und Folter in Einzelfällen übertrieben, aber im Prinzip der
Region angemessen wären. Gleichermaßen fallen muss das Klischee von „der
Araberin“ als ewigem Opfer. Die Alternative ist die Bereitschaft, die
demokratischen AktivistInnen als ExpertInnen der Emanzipation ernst zu
nehmen: Sie können uns viel beibringen.
Ines Kappert kommt gerade aus Beirut zurück. Sie verfolgt die Arabellion
von Beginn an. Denn von ihr kann man viel über Revolution und
Konterrevolution lernen - und darüber wie wenig die linksorientierten
Menschen bereit sind, sich von ihrem heimeligen Provinzialismus zu
verabschieden. Die Arabellion und ihre Niederschlagung erzählt auch die
Geschichte von der Krise der Demokratien im friedlichen "Westen".
27 Apr 2014
## LINKS
[1] http://www.adoptrevolution.org/erneutes-statement-der-familie-razan-zeitoun…
## AUTOREN
Ines Kappert
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