| # taz.de -- Wahl im Berliner Abgeordnetenhaus: Wegner im dritten Anlauf gewählt | |
| > Kai Wegner ist Berlins neuer Regierender Bürgermeister. Die dafür | |
| > erforderliche Mehrheit bekam er erst nach dem dritten Urnengang. | |
| Bild: Neun Stimmen fehlen Kai Wegner im ersten Wahlgang zur Wahl des Regierende… | |
| Berlin taz | Der CDU-Politiker Kai Wegner ist nach langem Zittern neuer | |
| Regierender Bürgermeister von Berlin. Der 50-jährige Landesvorsitzende, der | |
| an der Spitze einer Koalition mit der SPD die bisherige Amtsinhaberin | |
| Franziska Giffey (SPD) ablöste, war am Donnerstag im Abgeordnetenhaus, dem | |
| Berliner Landesparlament, in den ersten beiden Wahlgängen gescheitert. Im | |
| dritten Wahlgang aber, in dem anders als zuvor die einfache Mehrheit | |
| reichte, stimmten 86 Abgeordnete für ihn. Wegner ist damit der erste | |
| CDU-Politiker als Berliner Regierungschef, seit der langjährige Regierende | |
| Bürgermeister Eberhard Diepgen 2001 im Zuge des Berliner Bankenskandals | |
| seit Amt verlor. | |
| Die Berliner AfD-Fraktion hat erklärt, dass sie im dritten Wahlgang für | |
| Wegner gestimmt habe. „Dieser Schritt ist uns nicht leichtgefallen, denn | |
| wir halten den zwischen CDU und SPD geschlossenen Koalitionsvertrag für die | |
| weitgehende Fortsetzung rotgrünroter Politik mit teilweise anderem | |
| Personal“, teilte die Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker mit. „Dennoch | |
| überwiegt für uns die gesamtstädtische Verantwortung, der wir uns stellen.“ | |
| Da die Wahl geheim ist, lässt sich ihre Aussage nicht überprüfen. | |
| Im ersten Wahlgang hatte Wegner nur 71 Stimmen von 159 Stimmen erhalten, 80 | |
| wären nötig gewesen. Weil seine schwarz-rote Koalition 86 Sitze im | |
| Parlament hat, hatten ihm damit mindestens 15 Leute aus den eigenen Reihen | |
| die Unterstützung verweigert. Im zweiten Durchgang stimmte nach einer | |
| halbstündigen Unterbrechung der Parlamentssitzung zwar acht Abgeordnete | |
| mehr für ihn. Aber auch das war genau eine Stimme weniger als die nötige | |
| absolute Mehrheit. | |
| In der ersten Sitzungsunterbrechung hatte eine Probeabstimmung in der | |
| 52-köpfigen Fraktion der Christdemokraten nach CDU-Angaben komplette | |
| Unterstützung für Wegner ergeben, weshalb die fehlenden Stimmen bei der SPD | |
| verortet wurden. Auch dort aber wies man die Verantwortung von sich. | |
| Bei den Sozialdemokraten war in den vergangenen Wochen von fünf Abgeordnete | |
| zu hören, dass sie eine schwarz-rote Koalition ablehnen würden. Das am | |
| Sonntag ausgezählte Mitgliedervotum der Berliner SPD über die | |
| Zusammenarbeit mit der CDU aber hatte eine knappe Mehrheit von 54,3 zu 45,7 | |
| Prozent für die Koalition ergeben. Der Landes- und Fraktionsvorsitzende | |
| Raed Saleh legte sich deshalb nach der Auszählung darauf fest, dass die | |
| Abgeordneten seiner Fraktion den Parteiwillen umsetzen würden. Ein | |
| Durchfallen Wegners im ersten Wahlgang galt dennoch als nicht | |
| ausgeschlossen. Allenthalben ging man aber davon aus, dass der CDU-Mann | |
| spätestens im zweiten Wahlgang gewählt werden würde. | |
| ## Auch Klaus Wowereit und Heide Simonis fehlten Stimmen | |
| Dass ein von beiden Parteien zuvor als künftiger Regierungschef | |
| abgesegneter Kandidat im ersten Wahlgang durchfällt, das gab es in Berlin | |
| in diesem Jahrhundert erst einmal: 2006 fehlten dem seit 2001 regierenden | |
| SPD-Politiker Klaus Wowereit zwei Stimmen, um erneut zum Regierenden | |
| Bürgermeister gewählt zu werden. | |
| Damals wichen aber weit weniger Abgeordnete als jetzt von der Parteilinie | |
| ab: Wowereit erhielt 74 statt der nötigen 75 Stimmen. 73 Abgeordnete | |
| stimmten gegen ihn, zwei enthielten sich. Das war zwar eine Mehrheit, aber | |
| nicht die in den ersten beiden Wahlgängen nötige absolute. Die damalige | |
| rot-rote Koalition hatte 76 Stimmen. Bei Wegner hingegen standen den 71 | |
| Stimmen für ihn 86 Gegenstimmen und nur eine Enthaltung gegenüber. | |
| Prominentestes Beispiel für gescheitere Anläufe ist die frühere | |
| schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD). Statt wie | |
| vereinbart von ihrer Partei, den Grünen und den südschleswigschen | |
| Wählerverbund gewählt zu werden, fehlte ihr eine einzige Stimme zur | |
| Mehrheit. Dreimal wiederholte sich im März 2005 im Landtag dieses | |
| Schauspiel, bevor Simonis ihre Kandidatur zurück zog. In Berlin ist | |
| verfassungsgemäß nur von „einem weiteren Wahlgang“ die Rede, in dem statt | |
| der absoluten nur die einfache Mehrheit erforderlich ist. | |
| ## Wegner galt zunächst als „König ohne Land“ | |
| Die CDU war aus [1][der Wiederholungswahl am 12. Februar] als bei Weitem | |
| stärkste Kraft hervorgegangen und kam auf 28,2 Prozent, so viel wie seit | |
| 1999 nicht. SPD und Grüne lagen weit dahinter gleichauf bei 18,4 Prozent, | |
| wobei die Sozialdemokraten nur 53 Stimmen Vorsprung hatten. Kai Wegner galt | |
| trotz des klaren Wahlsiegs dennoch vorerst als „König ohne Land“: SPD, | |
| Grüne und Linkspartei schienen ihre 2021 begonnene bisherige rot-grün-rote | |
| Koalition fortsetzen zu wollen, Wegner trotz Rekordergebnis | |
| Oppositionsführer zu bleiben. | |
| Wegner lud dennoch zu Sondierungsgesprächen sowohl mit der SPD als auch mit | |
| den Grünen ein. Vor allem in den Gesprächen mit den Grünen deutete sich | |
| eine Annäherung an – auch Grüne berichteten, man sei sich so nah gekommen | |
| wie noch nie. Aber auch die SPD-Verhandler berichteten zunehmend von | |
| zahlreichen Übereinstimmungen. Dennoch sah es bis Ende Februar so aus, als | |
| laufe es auf eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot hinaus. | |
| ## Bei SPD-Mitgliedern nur knappe Mehrheit für Schwarz-Rot | |
| Dann aber, [2][noch während der letzten Sondierungsrunde] zwischen CDU und | |
| Grünen, bot SPD-Verhandlungsführerin Franziska Giffey, Landeschefin der | |
| Sozialdemokraten und Regierende Bürgermeisterin, Wegner eine schwarz-rote | |
| Koalition an. Die Noch-Regierungschefin wollte freiwillig auf ihren Posten | |
| verzichten, weil sie – so ihre Darstellung – bei Rot-Grün-Rot | |
| sozialdemokratische Ziele nicht mehr für umsetzbar hielt. Verbunden damit | |
| war heftige Kritik an den beiden bisherigen Regierungspartnern. | |
| In der SPD, vor allem beim Nachwuchsverband Jusos, wurde sofort Ablehnung | |
| laut. Die Jusos kündigten die größte je erlebte Gegenkampagne für den nun | |
| folgenden Mitgliederentscheid über den in nur drei Wochen ausgehandelten | |
| Koalitionsvertrag an – Rot-Grün-Rot hatte dafür 2021 noch fünf Wochen | |
| gebraucht. Am vergangenen Sonntag, nach gleichfalls gut dreiwöchiger | |
| Abstimmungszeit, [3][lag das Ergebnis vor]: 54,3 Prozent für, 45,7 Prozent | |
| gegen ein schwarz-rotes Bündnis. | |
| Was die Parteichefs Giffey und ihr Co-Vorsitzender Raed Saleh als klare | |
| Mehrheit einordneten, nannte in einer ersten Reaktion auch der Chef eines | |
| bestimmt nicht Schwarz-Rot-kritischen großen Wirtschaftsverbands bloß eine | |
| knappe Mehrheit. Am folgenden Tag stimmte erwartungsgemäß auch die CDU – | |
| nicht per Mitgliederentscheid, sondern bei einem Parteitag mit gut 300 | |
| Delegierten – dem Koalitionsvertrag zu, und zwar [4][ohne jede Aussprache | |
| und Gegenstimme]. | |
| Nun konnten bloß noch Abweichler innerhalb der SPD-Fraktion im | |
| Abgeordnetenhaus Wegner vom Einzug ins Rote Rathaus, der Berliner | |
| Regierungszentrale, abhalten. Bevor das Ergebnis des SPD-Votums vorlag, | |
| hatten fünf der 34 Mitglieder der SPD-Fraktion zumindest angedeutet, große | |
| Probleme mit Schwarz-Rot und Wegner zu haben. Saleh, nicht nur Partei-, | |
| sondern auch Fraktionschef, versprach vor Journalisten am Sonntag: Die | |
| würden dem Parteivotum folgen. | |
| Erster CDU-Bürgermeister seit 2001 | |
| Fünf fehlende Stimmen hätte Wegner allerdings auch verkraften können: | |
| Zusätzlich zu den 52 Abgeordneten seiner eigenen CDU-Fraktion waren nur 28 | |
| der 34 SPDler nötig, um ihn gleich im ersten Wahlgang ins Amt zu wählen, | |
| als ersten CDUler seit Eberhard Diepgen, der bis Juni 2001 regierte. | |
| Seither stellte durchweg die SPD den Regierungschef: Erst Klaus Wowereit | |
| bis 2014, dann Michael Müller bis 2021 und seither – als erste Regierende | |
| Bürgermeisterin Berlins überhaupt – [5][Franziska Giffey]. | |
| Nach seiner Wahl und Vereidigung durch die Parlamentspräsidentin hätte für | |
| Wegner eigentlich sofort die Fahrt zum Roten Rathaus angestanden, um dort | |
| die weiteren zehn Mitglieder des Senats zu ernennen. [6][Sieben davon | |
| sollten Frauen sein], darunter Giffey als Wirtschaftssenatorin. | |
| 27 Apr 2023 | |
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