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# taz.de -- Volkswirt zum Konjunkturprogramm: „Es fehlt der große Wumms“
> Das neue Konjunkturpaket wird den Konsum erst mal nicht ankurbeln, sagt
> der Volkswirt Sebastian Dullien. Er warnt vor einer sozialen Schieflage.
Bild: Die Bundesregierung hofft, dass die Menschen das Geld ausgeben – und di…
taz am wochenende: Herr Dullien, 130 Milliarden Euro umfasst [1][das neue
Konjunkturpaket der Bundesregierung]. Wird das viele Geld sinnvoll
ausgegeben?
Sebastian Dullien: Das meiste ist sinnvoll, aber man hätte mehr erreichen
können. Zudem wirken viele Maßnahmen frühestens ab 2021. Es wird leider
nicht gelingen, den Konsum kurzfristig anzukurbeln.
Aber der Staat senkt doch die Mehrwertsteuer.
Dieses „Herzstück des Pakets“ ist sehr teuer und ein bisschen fragwürdig.
Es kostet 20 Milliarden Euro, die Mehrwertsteuer im zweiten Halbjahr um 2
bis 3 Prozentpunkte zu senken. Aber bei den Kunden dürfte davon wenig
ankommen. Das meiste Geld wird bei den Unternehmen hängen bleiben und den
Konsum nicht beleben.
Immerhin haben die Firmen dann mehr Geld, um zu investieren.
Das Problem ist aber, dass die Senkung der Mehrwertsteuer wie eine
Gießkanne wirkt. Davon profitieren auch Firmen, denen es jetzt in der
Coronakrise bestens geht, zum Beispiel der Onlinehandel.
Werden die Kunden nicht rebellieren, wenn die Unternehmen die Gelder für
sich behalten? Autokäufer verlangen doch bestimmt, dass der Listenpreis
gesenkt wird.
[2][Der Absatz von Autos] dürfte im zweiten Halbjahr tatsächlich etwas
steigen. Wenn ein Neuwagen 40.000 Euro kostet, dann beträgt die
Steuerersparnis rund 1.000 Euro. Allerdings gibt es ein Problem, das oft
übersehen wird: 60 Prozent aller neu zugelassenen Fahrzeuge sind
Firmenwagen. Den Unternehmen nutzt es aber nichts, wenn sie weniger
Mehrwertsteuer für ihre neuen Fahrzeuge zahlen, weil dies dann die
Vorsteuer reduziert, die sie beim Finanzamt geltend machen können. Also
wird der Absatz von Firmenwagen nicht zunehmen. Die Senkung der
Mehrwertsteuer ist nicht der große Wumms, von dem Finanzminister Olaf
Scholz gesprochen hat.
Wie hätte man die 20 Milliarden Euro denn sinnvoller ausgeben können?
Man hätte mehr für die Bahn tun können. Geplant ist jetzt, dass der Bund
nur etwa die Hälfte der coronabedingten Verluste übernimmt. Die Bahn dürfte
auf einem Minus von 5 Milliarden Euro sitzen bleiben. Sie kann also nicht
investieren, sondern wird an Personal und Material sparen. Das ist das
Gegenteil von einem Konjunkturpaket, und auch die Verkehrswende vom Auto
weg kommt nicht voran.
Was noch?
Auch der öffentliche Nahverkehr hätte mehr Geld benötigt. Er soll jetzt 2,5
Milliarden Euro erhalten. Das reicht aber nicht, um die coronabedingten
Verluste auszugleichen. Also werden auch die Verkehrsunternehmen anfangen
zu sparen, was die Wirtschaft dann belastet.
Weitere Vorschläge?
Vor allem hätte man einen höheren Kinderbonus zahlen können. Momentan soll
es einmalig 300 Euro pro Kind geben. Wir hatten vorgeschlagen, zweimal je
500 Euro zu zahlen – einmal jetzt gleich und dann noch mal Anfang nächsten
Jahres.
Aber würde dieses Geld nicht ebenfalls versickern? Viele Leute wollen jetzt
lieber sparen, als zu konsumieren, weil die Coronazeiten so unsicher sind.
Die meisten Menschen würden das Geld in etwa drei Monaten ausgeben. Dies
belegen Daten aus den USA, wo nach der Finanzkrise 2008/2009
Steuergutscheine verschickt wurden. Dabei zeigte sich: Die Menschen, die
überhaupt keine Ersparnisse hatten, haben dieses Geld auf die hohe Kante
gelegt. Wer aber schon Ersparnisse hatte, der hat konsumiert – also die
Mittelschicht. Direkte Hilfen an die Familien sind sehr wirkungsvoll.
Zugleich wären die Familien für die Belastungen entschädigt worden, die
jetzt in der Coronakrise aufgetreten sind.
Immerhin wird der Staat dafür sorgen, dass die Sozialbeiträge in diesem und
im kommenden Jahr nicht steigen. Eine gute Idee?
Das ist richtig. Aber die eingeplanten Summen werden nicht reichen. Bisher
sind dafür nur 5,3 Milliarden Euro vorgesehen.
Es gibt die Befürchtung, dass der Sozialstaat stranguliert wird, wenn die
Sozialbeiträge gedeckelt werden. Zum Beispiel braucht man deutlich mehr
Geld für die Pflege.
Diese Kritik ist unberechtigt. Es wurde ein Konjunkturpaket beschlossen,
keine strukturelle Sozialreform. Es geht nur darum, in den nächsten zwei
Jahren zu verhindern, dass die Sozialbeiträge steigen, weil durch die
Coronakrise die Einnahmen der Arbeitslosen- oder Krankenkassen wegbrechen.
Trotzdem fällt auf, dass in dem ganzen Konjunkturpaket nichts zur Pflege
gesagt wird, obwohl die Missstände in den Altersheimen während der
Coronapandemie überdeutlich wurden.
Es gibt viele Themen, die in dem Konjunkturpaket fehlen, weil sie dort
nichts zu suchen haben. Zum Beispiel wurde auch nichts über die
grundsätzliche Verbesserung der Kinderbetreuung gesagt. Das sind
mittelfristige strukturelle Reformen. Jetzt geht es darum, kurzfristig die
Wirtschaft anzukurbeln.
Andersherum gefragt: Was fehlt in dem Konjunkturpaket?
Es gibt kein Konzept dafür, was man mit den Akademikern macht, die jetzt
die Universitäten verlassen und keine Stelle finden. Genauso wenig gibt es
Pläne für Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz bekommen. Es wäre gut
gewesen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aufzulegen – und zwar für
Notbetreuungen in Schulen und Kitas. Viele Einrichtungen können nicht
richtig öffnen, weil die Kindergruppen in Coronazeiten kleiner sein müssen
und dafür das Personal fehlt.
Welche Lücken gibt es noch?
Es wird zu wenig für die Kommunen getan. Der Bund will zwar künftig einen
größeren Teil der Wohnkosten von Hartz-IV-Empfängern und armen Rentnern
übernehmen, was zusätzliche 4 Milliarden Euro in die Gemeindekassen spült.
Aber ansonsten werden die Kommunen nicht ausreichend entlastet. Die
Gemeinden erhalten nur eine Kompensation für die absehbaren
Einnahmeausfälle bei der Gewerbesteuer 2020. Aber auch 2021 wird die
Gewerbesteuer niedrig bleiben. Gleichzeitig müssen die Kommunen
Zusatzausgaben stemmen. Was fast niemand weiß: Wenn jemand in Quarantäne
geschickt wird oder Eltern „Kurzarbeitergeld“ bekommen, weil sie ihre
Kinder betreuen müssen, dann zahlt das die Gemeinde. Denn diese
Coronakosten wurden im Infektionsschutzgesetz versteckt. In der Summe
werden die Kommunen also gar kein Geld haben, um zu investieren.
Stattdessen werden sie sparen müssen.
Sehr enttäuscht sind auch die Soloselbstständigen. Für sie findet sich
nichts im Konjukturprogramm.
Das stimmt. Es sollen zwar 25 Milliarden Euro für Künstler, Barbesitzer
oder Jugendherbergen zur Verfügung gestellt werden, aber es bleibt dabei,
dass nur Betriebskosten abgedeckt werden, nicht der Lebensunterhalt.
Fairerweise muss man aber sagen, dass Soloselbstständige Grundsicherung
beantragen können – zu sehr günstigen Bedingungen. Die Miete wird gezahlt,
egal wie hoch sie ausfällt, und das Vermögen wird fast nie angetastet. Das
gilt für Häuser, die Altersvorsorge, das Auto, und außerdem darf man noch
Finanzmittel von 60.000 Euro besitzen. Ich habe den Eindruck, dass viele
Soloselbstständige gar nicht wissen, wie großzügig die Grundsicherung für
sie ausgestaltet ist.
In der Gesamtschau: Ist das Konjunkturpaket sozial gerecht?
Richtig gerecht würde ich das Konjunkturpaket nicht nennen. Es gibt eine
soziale Schieflage. Die Hilfen für Familien und Arme sind sehr begrenzt.
Stattdessen profitieren eher die Unternehmen: Sie werden einen großen Teil
der 20 Milliarden kassieren, die die Senkung der Mehrwertsteuer kostet. Und
auch die 11 Milliarden, mit denen die EEG-Umlage beim Strom stabilisiert
wird, kommt nur zum Teil den Privathaushalten zugute.
Warum? Die EEG-Umlage zahlen doch alle, auch die normalen Stromkunden.
Das ist richtig, aber 60 Prozent der EEG-Umlage werden von den Unternehmen
aufgebracht. Es mag in der aktuellen Situation richtig sein, die Firmen zu
entlasten, aber das hilft nun einmal den armen Haushalten nicht. Zudem
dürfte auch diese Maßnahme fast nichts dazu beitragen, die Konjunktur zu
beleben. Die EEG-Umlage wird nur minimal sinken – und das erst ab 2021.
Um nicht nur zu kritisieren: Was ist gelungen?
Man muss auch sehen, was verhindert werden konnte. Es ist super, dass es
keine dauerhaften Senkungen bei der Unternehmensteuer gibt, die den
Bundeshaushalt für immer belastet hätten. Es konnte auch verhindert werden,
dass der Soli komplett abgeschafft wird. Denn davon hätten nur die
reichsten 5 Prozent der Bevölkerung profitiert. Indem diese Steuergeschenke
an die Wohlhabenden vermieden wurden, ist künftig Geld da, um
beispielsweise die Pflege besser auszustatten. Insgesamt würde ich über das
Konjunkturpaket sagen: Das Glas ist mehr als nur halb voll.
Rechnen Sie mit weiteren Konjunkturpaketen?
Spätestens im Herbst werden weitere Maßnahmen nötig sein. Ganz Europa
befindet sich im Abschwung, und hier in Deutschland stellt sich unter
anderem die Frage, wie man den Jugendlichen helfen kann, die keinen
Ausbildungsplatz haben.
5 Jun 2020
## LINKS
[1] /130-Milliarden-Euro-als-Coronahilfe/!5690564
[2] /Konjunkturpaket-ohne-Auto-Kaufpraemie/!5686554
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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